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Bundesverband mittelständische Wirtschaft kritisiert Lieferkettengesetz: „Völlig aus der Zeit gefallen“

Volkswirtschaftler Völz spricht von „Konjunkturprogramm für China und die USA“

02.06.2023 | Stand 16.09.2023, 4:44 Uhr
Julian Alexander Fischer

Kleine Unternehmen werden nach Ansicht von Hans-Jürgen Völz, Leiter Volkswirtschaft beim Bundesverband mittelständische Wirtschaft, durch das Lieferkettengesetz bedroht. −F.: BVMW

Berlin. Kleine Firmen werden durch das EU-Lieferkettengesetz bedroht, sagt der Leiter Volkswirtschaft des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft, Hans-Jürgen Völz, im Gespräch mit der Mediengruppe Bayern.

Wie bewerten Sie das geplante EU-Lieferkettengesetz?
Hans-Jürgen Völz: Das Gesetz, das auf uns zukommen wird, ist völlig aus der Zeit gefallen. Wir sind in einer schwierigen Situation. Dass wir uns jetzt noch selbst malträtieren, geht nicht. Es ist der Europäischen Union nicht gelungen, solche Passagen zu Umwelt- und Sozialstandards in Handelsabkommen mit anderen Ländern aufzunehmen. Jetzt werden diese Forderungen auf die Unternehmen abgewälzt. Es wären 15500 Unternehmen direkt betroffen, dazu kommen zahlreiche Zulieferer. Damit sind gigantische Kosten verbunden. Der Mittelstand wird belastet, durch die Verkettung, die es innerhalb der EU gibt.

Das Gesetz findet Anwendung schon ab 250 Mitarbeitern. Was hat das für Folgen?
Völz: Das Geschäftsmodell der Klageindustrie droht, den Mittelstand in die Knie zu zwingen. Es ist vorgesehen, dass Sammelklagen von Nichtregierungsorganisationen zugelassen werden. Daraus droht eine Klagewelle zu werden. Damit sind gigantische Kosten verbunden, die die Unternehmen nicht an die Verbraucher weitergeben können. Das lässt mich zu der Schlussfolgerung kommen, dass es sich nicht um ein Gesetz für, sondern gegen den Mittelstand handelt. Denn große Unternehmen können ihre Geschäfte weltweit verlagern, Mittelständler sind an Europa gebunden. Es scheint vielen Politikern nicht bewusst zu sein, dass Unternehmen keine einheitliche Masse sind, bei denen Gesetze gleich wirken.

Was müsste man an dem Gesetz ändern, dass es verträglich wäre für mittelständische Firmen?
Völz: Die Schwelle darf auf keinen Fall bei 250 Mitarbeitern liegen, die sollte mindestens auf 1000 hochgehen. Und es ist kaum verständlich, weshalb nicht nur die vorgelagerten Schritte dokumentiert werden müssen, sondern auch die nachgelagerten, wie Verkauf, Vertrieb, Entsorgung. Auch wenn ich das gar nicht bestimmen kann, mache ich mich da unter Umständen strafbar. Das zu verlangen, ist ein Konjunkturprogramm für China und die USA. Die kämen niemals auf die Idee, ihre Unternehmen mit solchen Anforderungen zu belasten.

Nehmen Sie es mit Menschenrechten und Umweltschutz nicht so genau?
Völz: Es heißt ja, wir müssen ein Gesetz machen, auch wenn es nur einige schwarze Schafe gibt. Wir haben in Deutschland 3,4 Millionen Unternehmen. Und ein Promillebereich verhält sich strafbar. Deswegen ein riesiges Gesetzeswerk in die Gänge zu bringen, halte ich für völlig überdimensioniert. Ich halte es für besser, wenn man solche Dinge mit bilateralen Abkommen löst.

Sehen Sie denn nicht die Notwendigkeit von Vorgaben?
Völz: Es sollte außer Frage stehen, Umwelt- und Sozialstandards einzuhalten. Deutschland hat sich zur ILO-Kernarbeitsnorm verpflichtet, die Kinder- und Sklavenarbeit verbietet. Es ist eine falsche Sichtweise, zu meinen, Unternehmen würden alles tun, um billige Produkte verarbeiten zu können. Heutzutage ist es ein positives Unterscheidungsmerkmal, sagen zu können, dass Produkte nachhaltig hergestellt werden.

Interview: Julian A. Fischer