MZ-Serie
Die Zeit vergeht, die Uhren bleiben

Turmuhren der Firma Rauscher hängen weltweit – von Ostbayern bis Vorderasien. Die Technik ändert sich, der Rest ist zeitlos.

17.03.2018 | Stand 16.09.2023, 6:14 Uhr
Jana Wolf

Christine Rauscher führt die Regensburger Turmuhrenfabrik gemeinsam mit ihren Schwestern und ihrem Schwager in vierter Generation. Foto: Jana Wolf

Fährt man von der Würzburger Straße in Regensburg etwa 3670 Kilometer in ostsüdöstliche Richtung, landet man in Nachitschewan. Drei Zeitzonen-Stunden trennen die Turmuhrenfabrik Rauscher im Stadtnorden und ihren neuesten Auftragsort in der kleinen Enklave in Aserbaidschan, irgendwo zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer. Und trotzdem schlagen in Ostbayern und in der autonomen Republik die gleichen Uhren.

Das Traditionsunternehmen fertigt gerade ein besonderes Exemplar nach nachitschewanischem Geschmack: eine Turmuhr mit einem LED-beleuchteten Ziffernblatt, darauf römische Ziffern aus Edelstahl. Dazu wünscht der Auftraggeber ein Glockenspiel mit 20Glocken, für das die Firma Rauscher die Mechanik inklusive Schlaghämmer liefert. Auch ein Figurenumlaufspiel mit 1,70 Meter großen Holzfiguren soll entstehen, ebenfalls betrieben mit Regensburger Technik. Die aufwendige Konstruktion wird ein neues Luxushotel in Nachitschewan schmücken. „Das ist ein tolles Projekt – richtig groß, richtig schwierig“, sagt Christine Rauscher, die mittlere der drei Rauscher Schwestern, die den Familienbetrieb in vierter Generation führen.

Region voll mit Rauscher-Uhren

Es muss gar nicht Vorderasien sein, um Schmuckstücke aus dem Hause Rauscher zu bewundern.Es reicht ein Spaziergang durch die Regensburger Altstadt, vorbei an der Dompost und der Stiftskirche St. Johann, an der Neupfarrkirche und am Alten Rathaus, am Brücktor an der Steinernen Brücke und am Ostentor – überall hängen Rauscher-Uhren. Ebenso am Kloster Weltenburg, in Adlersberg, Chammünster, Roding oder Abensberg. Christine Rauscher erzählt, dass früher, zu Schulzeiten, Mitschüler manchmal stichelten, dass der Vater „bloß“ Turmuhren herstelle und die Familie davon doch gar nicht leben könne. Der Papa ermutigte seine Tochter und riet ihr: „Sag‘ denen, in jedem Dorf steht eine Kirche.“ Und an jeder Kirche hängt eine Uhr. Und die allermeisten in ganz Bayern stammen aus der Rauscher-Werkstatt.

Dass sich die Unternehmer keine Sorgen um ihre Existenz machen müssen, zeigt die Auftragslage:Rund 200 Zifferblätter werden pro Jahr neu gefertigt oder alte ausgetauscht.Dazu kommen 100 bis 150 Schlag- und Zeigerwerke, 80 bis 150 Quarzuhren, 15 bis 20 Großprojekte für Glockenanlagen. Den Löwenanteil von rund 60 Prozent des Umsatzes macht die Renovierung von Glocken aus.

Christine Rauscher, ihre beiden Schwestern Elisabeth und Ingrid sowie Ingrids Ehemann Sören Draack führen das Unternehmen heute. Die Betriebswirtin Christine ist verantwortlich für Privatkunden und Aufträge im Ausland. Elisabeth, die älteste Schwester, kümmert sich als gelernte Feinmechanikerin und studierte Elektroingenieurin um die Technik. Ingrid, auch Betriebswirtin, managt die Logistik und koordiniert Aufträge. Sören Draack, ein studierter Volkswirt, ist häufig im Außeneinsatz, prüft Aufträge vor Ort und übernimmt die Konstruktion und Entwicklung von Glockenanlagen. Die Aufgabenverteilung greift ineinander wie die Zahnräder eines Uhrwerks.

Im Video sprechen Christine Rauscher und Sören Draack über das Familienunternehmen und seine Besonderheiten:

Zusammenspiel aus Uhrwerk, Zeigerantrieb und Glockenspiel

Insgesamt hat der Betrieb 17Mitarbeiter, darunter Feinmechaniker, Schlosser, Elektriker. Die Handwerker sind hoch spezialisiert und müssendas Zusammenspiel aus Uhrwerk, Zeigerantrieb und Glockenspielüber Jahre erlernen. „Neue Mitarbeiter fahren die ersten zwei Jahre als zweite Person bei älteren Mitarbeitern mit, damit sie die besonderen Anforderungen kennenlernen“, sagt Christine Rauscher.

Die Geschichte des Unternehmens führt auf Georg Rauscher zurück, den Urgroßvater der heutigen Geschäftsführer. Nach dem Ersten Weltkrieg gründete er 1920 in Stadt am Hof – damals noch kein Stadtteil Regensburgs, sondern eine eigene Stadt am anderen Donauufer – die Turmuhrenfabrik.Es war die Zeit mechanischer Uhren, bis zu 700 Kilo wogen die Ungetüme und die Fertigung nahm bis zu zwei Monate in Anspruch. 1926 erfand Georg Rauscher seine erste elektromechanische Turmuhr, eine Sensation zu dieser Zeit.

52Jahre später gelang dem Enkel des Gründers mit einer funksynchronisierten Quarzuhr erneut ein großer Sprung. 84 Turmuhren in der Stadt folgten dem Takt der Hauptuhr, die im Rathaus hing. Regensburg verfügte damit als erste Stadt Deutschlands über eine öffentliche, funkgesteuerte Uhrenanlage. Diese Technik wurde immer weiterentwickelt. Inzwischen bauen Rauschers den sogenannten Digitimer, die von einem Mikroprozessor gesteuerte Hauptuhr, in vierter Produktgeneration.

Jeder Zeiger ein Unikat

Nicht nur die Technik hinter den Fassaden, auch der sichtbare Teil an den Turmmauern bedarf speziellen Know-hows. Das Besondere am Rauscher-Stil sind die barocken, vergoldeten Zeiger, sagt Christine Rauscher. Jeder Zeiger wird per Hand aus Kupfer getrieben. „Deswegen ist jeder Zeiger anders.“ Auch Gotische oder ganz Schlichte gehören zum Sortiment. Die Ziffernblätter werden aus glasfaserverstärktem Polyester gefertigt, ein besonders langlebiges Material. Auf Wunsch bekommen Kunden die Ziffernblätter auch aus Kupfer oder Edelstahl, wie der Kunde aus Nachitschewan, und in allen erdenklichen Größen und Farben. Die größte Rauscher-Uhr mit einem Durchmesser von fünf Metern hängt in der libyschen Hafenstadt Bengasi an einem Leuchtturm. Mit dem längsten Minutenzeiger von 4,50Meter trumpft der Stadtturm in Straubingauf.

Auch an exotischen Orten wie einem Hafenhotel auf der Insel St. Lucia in der Karibik, einer Moschee im Irak oder in Salalah im Oman hängen sie. „Es ist schon so, dass ‚Made in Germany‘ oder ,Made in Bavaria‘ noch etwas zählt“, sagt Christine Rauscher. Deswegen würden viele Auslandskunden gerne auf die Regensburger Fertigungen zurückgreifen, lieber als auf die Konkurrenz in den USA oder in China.

Die Philosophie des Unternehmens tut ihr Übriges. Der Vater habe den Töchtern vorgelebt, dass man den guten Ruf der Firma pflegen muss, sagt die Tochter. Auf den Namen kommt es an – dieser Gedanke habe sich über die Generationen hinweg erhalten. Deswegen würden Anlagen nur ausgeliefert werden, wenn sie rund laufen, und kleinere Reparaturen gingen auch mal aufs Haus. „Wir sind eine von wenigen Firmen, die noch so kulant sind.“ Langfristig zahlt sich diese Qualität offensichtlich aus. Denn auch wenn die Zeit verstreicht, die Rauscher-Turmuhren ticken seit Jahrzehnten.

Groß, größer – oder sogar Weltmarktführer: In Niederbayern und der Oberpfalz gibt es viele Unternehmen, die in ihrem Bereich national und/oder international Champions sind.In unserer Serie porträtieren wir die ostbayerischen „Champions“.