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Ein teurer Energie-Hebel

Deutschland ist Spitzenreiter bei Windkraftanlagen, sagt Energie-Experte Dr. Nikolai Ziegler. Das wirke sich aber nicht aus.

04.09.2019 | Stand 16.09.2023, 5:32 Uhr
Nikolai Ziegler

Dr. Nikolai Ziegler, Energie-Experte

In Deutschland stehen rund 30 000 Windkraftanlagen. Nach China und USA belegen wir damit Platz drei in der Welt. Nirgends ist die Windraddichte höher als bei uns. Die Bedeutung der Stahlriesen ist dennoch eher zwergenhaft: Sie decken 2,8 Prozent unseres Energiebedarfs. Für eine Dekarbonisierung um 90 Prozent bis 2050 würde dreimal mehr Strom gebraucht als heute – Verkehr und Wärme müssten elektrifiziert werden. Wegen Speicherverlusten müsste die Wind- und Solarkapazität verzehnfacht werden. Das bedeutet 160 000 (!) Windkraftanlagen neuester Bauart und 4000 Quadratkilometer Solarfläche. Für Mensch und Natur bliebe kein Platz.

Dieses Horrorszenario wirft Schatten voraus und beruht auf zwei Problemen der Windkraft: Ihre geringe Energiedichte, die massiven Flächenbedarf bedingt, und die extrem schwankende Erzeugung: Gefährdung der Netzstabilität, Abhängigkeit von (Kohle- und Atom-) Importen und die Entsorgung von „Schrottstrom“ (im 1. Halbjahr 2019 wurde bereits sechs Tage lang Energiemüll produziert) sind sichtbare Folgen. Von Flora, Fauna und Strompreisen ganz zu schweigen. Die Energieversorgung sollte umweltverträglich, preiswert und verlässlich sein und stets dahingehend optimiert werden. Davon sind wir weit entfernt.

Der letzte Sommer zeigte, wie die Fixierung auf Solar- und Windenergie an Grenzen stößt: In Europa herrschten wochenlang niedrige Luftdruckunterschiede. Die Windstromproduktion brach im Juli 2018 im Vergleich zum Juli 2017 um 19 Prozent ein. Solarzellen konnten viele Stunden produzieren, aber hitzebedingt sank ihr Wirkungsgrad. Im Hinblick auf Klimawandel und künftige Extremwetterlagen ist es unvernünftig, die Versorgung eines Industrielandes mit einem Lebenselixier an Launen der Natur zu koppeln. Vernünftig wäre es, das für Symbolpolitik ver(sch)wendete Geld in technologieoffene Forschung zu investieren. Ansonsten sollte der Wettbewerb zur Geltung kommen. So würden die effizientesten Lösungen gefunden. Denn wer CO2 über erneuerbare Stromerzeugung einsparen will, setzt einen schwachen (aber teuren) Hebel an falscher Stelle an: Strom macht nur ein Viertel des Energiebedarfs aus. Anderswo entfalten gleiche Mühen viel mehr Wirkung. Sparsamere Fahrzeuge, effektivere Heizungen, Nutzung der Abwärme von Blockheizkraftwerken seien beispielhaft genannt.

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