Neue Flugrost-Plage an Autos ? liegt?s am Streusalz?

Braune Masern befallen vor allem silberne und weiße Lacke / Zweifel an Qualität von Importsalz, aber keine Beweise

24.03.2006 | Stand 24.03.2006, 17:51 Uhr

„Ich dachte, ich muss wieder mit dem Rauchen anfangen“ – der 37-jährige Familienvater aus der Nähe von Straubing war entsetzt, als er seinen eben erst gekauften Seat im Januar mal genauer betrachtete. Der Van war von vorn bis hinten überzogen mit Rostpünktchen. Auch eine gleichaltrige Frau aus dem Kreis Cham wollte es kaum glauben, dass ihr neuer silberner Peugeot die braunen Masern hat.

Lackier-Spezialisten wie Auto Steinbauer oder Zollner (beide Regensburg) rätseln, warum seit ein bis zwei Jahren ihre Kunden um ein vielfaches häufiger als früher über Flugrost klagen. Vor allem silberne und weiße Autos sind betroffen, beobachtet Firmeninhaber Markus Zollner. Die Marke spiele hingegen keine Rolle.

Autohersteller oder Reparaturbetriebe winken bei Reklamationen ab. Der oberflächliche Rost, der Kunststoffflächen genauso befällt wie Blech, rührt offenbar nicht von mangelhaften Lacken her. Dr. Michael Golek ist sich ganz sicher. Der Pressesprecher von BASF Coatings, ein führender Zulieferer von Autolacken, schließt mangelhafte Qualität aus: „Am Material kann‘s nicht liegen.“

Dem stimmt Hubert Paulus vom ADAC-Technikum zu. Die simple Formel des Fahrzeugexperten: Lässt sich der Rost wegpolieren, dann liegt das Problem nicht beim Fahrzeug. Er vermutet, dass schlechte Streusalz-Qualitäten mit metallischen Verbindungen eine Rolle spielen könnten. Diese Metall-Partikel lagerten sich am Auto ab und – rosten. Nach der langen Frostperiode ging vielerorts das Streugut aus. Die Lieferanten hatten Mühe, Nachschub zu organisieren und kauften nahezu in der ganzen Welt.

Auch die Firma Sonax aus Neuburg/Donau ist hellhörig geworden. Der Hersteller von Auto-Pflegemitteln freut sich über eine steigende Nachfrage nach seinen Rostentfernern und beobachtet verstärkten Flugrostbefall vor allem an Schwellern und den unteren Türhälften. „Es muss ein direkter Zusammenhang mit dem Salz bestehen“, ist sich Diplom-Ingenieur Richard Hanauer sicher. Eine mögliche Erklärung: Am Auto klebt Eisenabrieb von Bremsscheiben, weil Streufahrzeuge angefeuchtetes Salz verwenden, das besser auf der Fahrbahn haftet. Diese Haft-Eigenschaft habe das Salz allerdings auch am Auto.

Laut der Autobahn-Direktion Südbayern wird in ihrem Zuständigkeitsbereich sowohl trockenes Salz als auch Feuchtsalz gestreut. An der Qualität werde nicht gespart. Andererseits: Feuchtsalz wird dort nicht erst seit ein, zwei Jahren gestreut, womit die neue Flugrost-Plage also nur schwer erklärbar ist.

Anders ist die Lage bei den samt und sonders finanzklammen Kommunen und Landkreisen. Die haben beim Streusalz Einsparpotenziale entdeckt. So etwa im Landkreis Cham. Karl Holmeier, der dortige Kreisvorsitzende des Bayerischen Gemeindetages, organisierte einen gemeinsamen Einkauf der Kommunen, mit Preisnachlässen in Höhe von 15 bis 20Prozent, sagt der Weidinger Bürgermeister auf Anfrage der MZ. Nach seiner Kenntnis holt der Lieferant das Salz auch aus dem Ausland, zuvorderst aus Rumänien. Laut Holmeier ist das nicht ungewöhnlich. Streusalz werde „immer schon“ aus allen möglichen Ländern importiert. Man habe Analysen des Salzes bekommen, und „wir sind mit dem Salz sehr zufrieden“. Das Problem Flugrost sei ihm „noch nie zu Ohren gekommen“. Ähnlich sind auch die Auskünfte der Gemeinden Parsberg (Kreis Neumarkt) und Laaber (Kreis Regensburg), die beim gleichen Lieferanten kaufen. Die Qualitätsprüfungen hätten einwandfreie Ergebnisse erbracht, sagt der Parsberger Bauhofleiter Peter Lehmeier. Jenes Unternehmen, das inzwischen viele ostbayerische Kommunen beliefert, gab keine Stellungnahme ab.

Kritischer sehen diese Praxis zwei Salzhändler aus Ostbayern. Ihnen ist das Flugrost-Problem sehr wohl geläufig. Und sie haben ernste Zweifel an der Qualität des Import-Salzes, aber eben keine Beweise für Mängel wie etwa Metall-Anteile. Auch wenn der Lieferant Analysen vorweisen könne, die einwandfreie Ware attestieren – jede Charge könne unterschiedlich ausfallen. Um sicher zu gehen, müsste man jede einzelne Lieferung analysieren lassen, sagt ein Branchen-Insider.

Dass es Qualitätsschwankungen gibt, ist für Dieter Krüger, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit beim Verband der Kali- und Salzindustrie, sicher. „Wir haben Hinweise von Kommunen, dass sie trotz gegenteiliger Zusagen unterschiedlichste Qualitäten bekommen haben.“ Es gebe eine TL-Streu (technische Lieferbedingungen), eine Verpflichtung zwischen Kommunen und Herstellern. In ihr sind Gütebestimmungen des Streuguts festgelegt. Aber „Papier ist geduldig“, resigniert Krüger. „Mit Sicherheit werden Salze verkauft, die nicht der TL-Streu entsprechen.“ Das Billig-Salz wirke verführerisch: „Die Kommunen haben bei schlechter Qualität ja kaum Nachteile.“

Seit der Öffnung der Grenzen zu Osteuropa herrsche ein „knallharter Wettbewerb“, geführt mit Dumpingpreisen auf Kosten der Qualität. Die Kommunen wüssten, dass sie „auf Risiko kaufen“. Aber aufgrund ihrer Finanznot sei das Verhalten nachvollziehbar. Sie verzichteten auf eigene Analysen. „Das kostet ja Geld. Warum einen Aufwand betreiben für so ein banales Produkt?“, sei die gängige Denke in den Rathäusern. Er resümiert: „Das ist die Globalisierung in ihrer ganzen Blütenpracht.“

Nur – ob nun wirklich Metall-Anteile in den Importsalzen enthalten sind und es somit für den zunehmenden Flugrost verantwortlich gemacht werden kann, weiß auch Krüger nicht. Dazu wären Langzeituntersuchungen notwendig, sagt ein Sprecher der Firma Südsalz in Heilbronn. „Sonst ist es gefährlich, dazu eine Aussage zu treffen.“ Allerdings widerspricht er Holmeiers Aussage, der internationale Salzeinkauf sei schon seit langem üblich. „Das ist nicht richtig.“

Es gibt noch eine mögliche Erklärung des Flugrostes: Die metallene Schürfleiste der Räumfahrzeuge werde beim Schneeräumen abgehobelt, weiß Bauhofleiter Peter Lehmeier. Auch diese Partikel könnten den Flugrost verursachen. Nur – die Schneeschaufeln haben sich schon immer auf der Straße abgeschabt.

Fakt ist jedoch, dass es plötzlich mehr Flugrost gibt und dass für die Autobesitzer ein gewisser Schaden entsteht. Andererseits gibt es aber niemanden, der dem Problem auf den Grund geht. Bleibt nur: sich ärgern und polieren.