Kommunen fordern Schutz
Wartung von Nord Stream 1: Sorge vor Gasstopp aus Russland wächst

10.07.2022 | Stand 10.07.2022, 7:01 Uhr
In Lubmin bei Greifswald endet die Ostsee-Pipeline Nord Stream1, durch die seit 2011 russisches Erdgas nach Deutschland fließt. Jetzt wird die Pipeline gewartet und die Sorge vor einem Gasstopp aus Russland wächst. −Foto: Stefan Sauer/dpa

Die zuletzt wichtigste Verbindung für russisches Erdgas nach Deutschland wird am Montagmorgen für Wartungsarbeiten abgeschaltet. Es gibt jedoch Bedenken, dass Russland den Gashahn auch nach Abschluss der Wartungen nicht mehr aufdrehen könnte.



Was passiert, wenn Putin wirklich den Gashahn ganz zudreht? Die deutsche Industrie blickt voller Sorge auf die mehrtägige Wartung der Pipeline Nord Stream 1 ab diesem Montag. Dann soll durch die zuletzt wichtigste Verbindung für russisches Erdgas kein Gas mehr nach Deutschland fließen. Grund sind jährlich wiederkehrende Wartungsarbeiten. Doch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat Bedenken geäußert, es könne nicht nur bei einer vorübergehenden Abschaltung bleiben. Denn das russische Staatsunternehmen Gazprom hatte schon im Juni die Liefermenge von Russland nach Mecklenburg-Vorpommern deutlich gedrosselt.

Lesen Sie dazu auch:

-Habeck zur Gaskrise: "Wir müssen uns auf das Schlimmste einstellen"

Für Nord Stream: Kanada gewährt Ausnahme von Sanktionen

Gazprom hatte dabei auf Verzögerungen bei der Reparatur von Gasverdichtern verwiesen. Der Energietechnikkonzern Siemens Energy hatte daraufhin mitgeteilt, dass eine in Kanada überholte Gasturbine aufgrund der Russland-Sanktionen derzeit nicht aus Montréal zurückgeliefert werden könne. Nun will Kanada die Turbine erst nach Deutschland schicken lassen, statt direkt nach Russland.

Die Ausnahme von den Sanktionen begründete Kanadas zuständiger Minister Jonathan Wilkinson damit, dass der russische Präsident Wladimir Putin versuche, die Alliierten gegen Russlands Angriffskrieg in der Ukraine mit seiner Energiepolitik zu spalten. „Das können wir nicht zulassen“, sagte er.

Aber auch die russischen Gaslieferungen über andere Leitungen nach Deutschland sind zuletzt zurückgegangen. Und mehrere europäische Staaten bekommen schon kein Gas mehr aus Russland. Wie aber soll Deutschland ohne Putins Gas über den Winter kommen?

Bei Engpass: Industrie als erstes betroffen

Vor allem in der energiehungrigen Chemie- und Pharmaindustrie sind die Sorgen vor einem Gasmangel groß. Die Branche ist laut dem Verband der Chemischen Industrie (VCI) mit einem Anteil von 15 Prozent größter deutscher Gasverbraucher. Sie braucht Gas als Energiequelle und als Rohstoff zur Weiterverarbeitung in Produkten - etwa in Kunststoffen, Arzneien oder Düngemitteln. Die Preise für Gas seien derzeit „atemberaubend“ hoch, sagte VCI-Präsident Christian Kullmann am Mittwoch. Um lieferfähig zu bleiben, stocke die Branche Lager auf, um Kunden im Krisenfall trotzdem weiter versorgen zu können.

Derzeit ist die Gas-Versorgung in Deutschland noch stabil. Bei einer Mangellage wäre die Industrie aber als Erste davon betroffen. Als geschützt gelten hingegen private Haushalte, öffentliche Einrichtungen sowie die Gesundheitsbranche etwa mit Krankenhäusern.

So hoch ist die Wahrscheinlichkeit eines Gasengpasses

Doch wie hoch ist die Gefahr eines Gasengpasses denn nun? Beim Blick auf vor kurzem veröffentlichte Berechnungen der Bundesnetzagentur konnte man durchaus in Sorge geraten, denn in immerhin drei von sieben Szenarien ergab sich dabei ein Gasmangel im kommenden Winter.

Eine jüngere Gemeinschaftsdiagnose von mehreren deutschen Wirtschaftsforschungsinstituten kommt dagegen zum Schluss, dass selbst bei einem sofortigen kompletten Stopp von Nord Stream 1 auch im ungünstigsten Fall dieses Jahr kein Gasengpass mehr drohe und im kommenden Jahr auch nur in eher ungünstigen Szenarien.

Auch die Kommunen fordern Schutz

Angesichts der Gaskrise hat der Deutsche Städtetag einen besseren Schutz für die kommunalen Energieversorger gefordert. Der Bund müsse die Stadtwerke „unter den Schutzschirm für die Wirtschaft stellen“, sagte Städtetagspräsident Markus Lewe (CDU) den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Montagsausgaben). „Und wir brauchen Bürgschaften und Kredite für betroffene Versorger sowie ein Insolvenzmoratorium, um die Pflicht zu Insolvenzanträgen auszusetzen.“

Der Oberbürgermeister von Münster betonte: „Die Stadtwerke versorgen Millionen Haushalte, Gewerbe und die Industrie vor Ort. Nahverkehr, kommunale Krankenhäuser, Müllabfuhr und Bäder hängen daran. Die Versorgungssicherheit darf nicht gefährdet werden.“

„...dann könnte es eng werden.“

Die bevorstehende Wartung der Pipeline Nord Stream 1 und die Spekulationen über einen Stopp der russischen Gaslieferungen trieben die Preise immer weiter in die Höhe, warnte Lewe. „Die Stadtwerke müssen immer teurer einkaufen und einen Spagat meistern: Würden die Stadtwerke die hohen Preise weitergeben, könnten das viele Haushalte nicht bezahlen. Wenn sie sie nicht weitergeben, dann könnte es eng werden für viele kommunale Versorger.“

Der Städtetagspräsident rief eindringlich zum Energiesparen auf. „Schon jetzt müssen wir alle jede Kilowattstunde einsparen, die möglich ist. Alles gehört auf den Prüfstand, in jedem Haushalt und am Arbeitsplatz“, sagte Lewe. „Auch die Städte lassen keinen Bereich aus: Straßenbeleuchtung schneller umrüsten und nachts reduzieren, weniger warmes Wasser in öffentlichen Gebäuden, Klimaanlagen kürzer laufen lassen und Heizungen besser einstellen.“

− dpa/afp