Schule
Der lange Weg zum Mädchenabitur

Eine Ausstellung widmet sich einer entscheidenden Entwicklung in Sachen Bildung, die in Regensburg ihren Anfang nahm.

01.07.2016 | Stand 16.09.2023, 6:52 Uhr
Katja Meyer-Tien
Dieses Foto aus dem Jahr 1916 zeigt den ersten Abiturjahrgang einer Mädchenschule in Bayern – aufgenommen in der Schule der Englischen Fräulein in<br id="N1024A"/>Regensburg. −Foto: Fotos: Bayerisches Hauptstaatsarchiv

Ernst schauen die jungen Frauen in die Kamera. Es ist ein Moment für die Ewigkeit, die Schärpen über ihren Kleidern und die Kränze in ihren Händen belegen: Ihnen ist etwas gelungen, was lange kaum jemand für möglich gehalten hatte. Die elf Frauen auf der Fotografie aus dem Jahr 1916 sind der erste Abiturjahrgang einer Mädchenschule in Bayern.

Aufgenommen worden ist die Fotografie in der Schule der Englischen Fräulein Regensburg. Zu sehen ist sie momentan im Bayerischen Staatsarchiv in München, das noch bis zum 29. Juli dem Jubiläum des ersten bayerischen Mädchenabiturs, dem Orden der Englischen Fräulein und deren Gründerin Maria Ward eine kleine Ausstellung widmet. Denn Maria Ward hat schon vor 400 Jahren eine Frage beschäftigt, die bis heute hochaktuell ist: wie Mädchen und Frauen die gleichen Bildungschancen bekommen wie Jungen und Männer.

Orden für katholische Mädchen

Maria Ward hat dafür schwer gekämpft. Als Kind katholischer Eltern im England zu Zeiten der Katholikenverfolgung lernte sie früh, was es heißt, für seinen Glauben einstehen zu müssen. Sie ging nach Flandern, um Nonne zu werden, war aber gesundheitlich den Anforderungen des Lebens als Laienschwester nicht gewachsen und beschloss als 25-Jährige im Jahr 1610, in Saint-Omer in Flandern ihren eigenen Orden zu gründen. Einen Orden, der sich dem Ziel verpflichtet, katholische Mädchen zu unterrichten, orientiert an den Regeln der Jesuiten, ohne Klausur und direkt dem Papst unterstellt.

Denn Maria Ward hat schon vor 400 Jahren eine Frage beschäftigt, die bis heute hochaktuell ist: wie Mädchen und Frauen die gleichen Bildungschancen bekommen wie Jungen und Männer.

„Das war zu jener Zeit unvorstellbar“, sagt Elisabeth Weinberger, die gemeinsam mit Laura Scherr, Ingrid Sauer und Andrea Schiermeier die Ausstellung konzipiert hat. Weinberger ist wie ihre Kolleginnen Archivarin am Bayerischen Hauptstaatsarchiv, und dort lagert die Abschrift jenes Empfehlungsschreibens, das Ward im Jahr 1616 von der Konzilskongregation bekam: Der Bischof von Saint-Omer wird darin aufgefordert, die Engländerinnen zu beschützen und ihnen zu helfen.

Das Schreiben ist der zweite Anlass der Ausstellung: Schwester Ursula Dirmeier, die Oberin der Bamberger Niederlassung der Congregatio Jesu, wie der Orden der Englischen Fräulein heute heißt, hatte im Staatsarchiv angefragt, ob man dieses Dokument anlässlich des 400. Jubiläums nicht einmal ausstellen könnte. Und weil es tatsächlich gut zum 100. Jubiläum des Mädchenabiturs passt, ist daraus eine runde Ausstellung geworden, die das Leben von Maria Ward und ihren lebenslangen Kampf um die Anerkennung des Papstes nachzeichnet.

Gymnasialklasse für Mädchen

In Bayern waren es die Wittelsbacher, die Ward unterstützten, ihr erst in der Münchner Innenstadt, später in Nymphenburg Räume für ihre Schule zur Verfügung stellten. Von hier aus gründete der Orden zum Ende des 19. Jahrhunderts mehrere Mädchenschulen in ganz Süddeutschland, darunter 1903 auch die höhere Töchterschule in Regensburg. Und die tat Revolutionäres: Schon 1910, noch vor dem offiziellen Erlass der Schulordnung, die dies erlaubte, richtete sie für ihre Mädchen eine Gymnasialklasse ein.

Die Absolventinnen des ersten Jahrgangs in Regensburg schnitten durchweg gut ab, fast nur Einser und Zweier prangen auf den Zeugnissen, die ebenfalls in der Ausstellung zu sehen sind.

Zwar hatten auch vorher schon Mädchen in Bayern die Abiturprüfung abgelegt, dafür mussten sie allerdings teuren Privatunterricht nehmen und sich dann als Externe an einem Knabengymnasium prüfen lassen. Die Regensburger wurden zum Vorreiter: Ab 1911 ermöglichte ein Erlass des Kultusministeriums bayernweit die Einrichtung von Gymnasialklassen für Mädchen, und ab 1917, ein Jahr nach dem ersten Mädchenabitur in Regensburg, durften dann auch offiziell an den bayerischen Mädchenschulen Abiturprüfungen abgelegt werden.

Fast nur Einser und Zweier

Die Absolventinnen des ersten Jahrgangs in Regensburg schnitten durchweg gut ab, fast nur Einser und Zweier prangen auf den Zeugnissen, die ebenfalls in der Ausstellung zu sehen sind. Und es sind nicht nur die Sprachen, in denen die Mädchen glänzten: Auch in Mathe, Physik und Chemie holten sie sich fast durchweg gute Noten.

Das könnte ein Indiz für die These sein, dass die Verfechter von monoedukativen Systemen recht haben könnten mit ihrer Annahme, dass Mädchen und Jungen sich besser entfalten können, wenn sie in geschlechtergetrennten Systemen unterrichtet werden. Dabei war der getrennte Unterricht ja eigentlich in den meisten Schulen im Zuge der Modernisierung und Gleichberechtigung weggefallen.

Doch an den Maria-Ward-Schulen im deutschsprachigen Raum, die heute nicht mehr in Trägerschaft des Ordens, sondern meist in Trägerschaft von Stiftungen sind, orientiert man sich noch heute am Konzept der Gründerin. Und das erfolgreich: Aus den elf Abiturientinnen im Jahr 1916 sind im Jahr 2016 am Regensburger St. Mariengymnasium schon 96 geworden.

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