Zwangs-Hitlerjugend und Flakhelfer: Joseph Ratzingers Kriegs-Jahre

29.08.2006 | Stand 29.08.2006, 15:06 Uhr

„Vom Hitlerjungen zum Papa Ratzi“ titelte das englische Boulevardblatt „Sun“ einen Tag nach der Wahl von Joseph Ratzinger zum Papst. Vor allem englische und amerikanische Medien haben ihr Interesse schnell auf die Jahre gelenkt, in denen der junge Joseph der Hitler-Jugend angehörte und als Flakhelfer und im Reichsarbeitsdienst eingezogen wurde. Doch was geschah wirklich in den Jahren, in denen die Nationalsozialisten Deutschland beherrschten und Ratzinger das Studienseminar St. Michael in Traunstein besuchte?

„Diese Dinge mussten aufgearbeitet werden“, sagt Peter Pfister, Archivdirektor der Erzdiözese München-Freising. Sein Mitarbeiter Volker Laube hat die Archivbestände des Seminars untersucht. Die Ergebnisse wurden Papst Benedikt XVI. vorgelegt, der einer Veröffentlichung zustimmte. Pünktlich vor Benedikts Besuch in der Heimat ist die Geschichte des Seminars aufgearbeitet ­ wohl auch, um zu verhindern, dass ähnliche Schlagzeilen wie bei der Wahl die Bayern-Reise begleiten. Denn die Untersuchungsergebnisse sprechen für den heutigen Papst und stützen die Ausführungen, die er in einigen seiner Bücher niedergeschrieben hat.

Ratzinger erläutert in seiner Biografie, dass das Gedankengut der Nationalsozialisten in seinem Elternhaus nie Eingang gefunden hatte. „Mein Vater sah freilich mit einer unbestechlichen Hellsicht sehr genau, dass ein Sieg Hitlers nicht ein Sieg Deutschlands sein würde, sondern ein Sieg des Antichristen (...).“ Im Buch „Salz der Erde“ hebt er des Vaters „dezidierte Gegnerschaft gegenüber dem Regime“ hervor.

Das Traunsteiner Seminar, in dem die Buben herangeführt werden sollten an ein Leben als Priester, war den Machthabern ein Dorn im Auge. Die ideologischen Auseinandersetzungen in Seminar und Schule haben Joseph Ratzinger darin bestärkt, Priester zu werden. Ein Nebenportal des Seminargebäudes wurde von Unbekannten beschmiert, auf Druck der Machthaber musste die Kardinal-Faulhaber-Straße vor dem Gebäude umbenannt werden. Im humanistischen Gymnasium, das dem Seminar eng verbunden war, wurden der Obrigkeit missliebige Lehrer ausgetauscht.

Blieb das Problem der Hitler-Jugend, bis 1939 war kein Seminarist eingetreten. Das NS-Regime verlangte aber ab März eine Pflichtmitgliedschaft. Bis Oktober wehrte sich die Seminarleitung, erst dann meldete sie ihre Zöglinge. Auch Joseph Ratzinger wurde als 14-Jähriger „hineingemeldet“, wie er sich erinnert, er habe sich aber gesträubt, an den HJ-Aktivitäten teilzunehmen. Trotz Pflicht-HJ glaubten die Machthaber nicht, dass die Seminaristen nun hinter dem neuen Regime stehen. Die „erzwungen Dienstleistung“ bei der HJ, so schrieb das Kultusministerium, „bietet nicht die Gewähr, dass sich die Zöglinge des Seminars nun auch wirklich in die nationalsozialistische Volksgemeinschaft eingegliedert haben.“ Adolf Wagner, ein entschiedener Kirchengegner, war inzwischen Chef des Kultusministeriums geworden, 1941 leitete er die Schließung des Seminars ein, die Kardinal Faulhaber zwei Monate später aber rückgängig machen konnte.

1943 wurde Ratzinger als Flakhelfer einberufen. Beim Reichsarbeitsdienst im Burgenland, so schreibt er, habe es Rekrutierungsversuche der Waffen-SS gegeben. „Mit einigen anderen hatte ich das Glück, sagen zu können, dass ich die Absicht hege, katholischer Priester zu werden. Wir wurden mit Verhöhnungen und Beschimpfungen hinausgeschickt. Aber diese Beschimpfungen schmeckten großartig (...).“

Eine Randnotiz steuerte jüngst Günter Grass bei. Der Literatur- Nobelpreisträger erinnert sich in seiner Autobiografie an einen bayerischen Jungen namens Joseph, den er im Gefangenenlager Bad Aibling kennen gelernt hat. Tatsächlich war der heutige Papst als Kriegsgefangener der Amerikaner dort untergebracht. „Intensiv bis fanatisch katholisch“ soll er gewesen sein, und er habe in der „kirchlichen Hierarchie aufsteigen“ wollen, berichtet Grass. War es wirklich Joseph Ratzinger? „Ich kann es nur vermuten“, sagt Grass. Viele Indizien sprechen dafür; der Vatikan schweigt dazu.

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