Geburtstag
Schneller als der Schatten ist nur er

Lucky Luke wird dieses Jahr 70. Das wird groß gefeiert. Doch der Comic-Cowboy tut, was er eben tun muss: Er reitet weiter.

21.05.2016 | Stand 16.09.2023, 6:46 Uhr
Mit dem Ritt in den Sonnenuntergang enden fast alle Abenteuer von Lucky Luke. −Foto: Filmconfect

Peng! Der Schuss aus dem Hinterhalt trifft den Cowboy in den Rücken. Die erste Comicbuchseite ist noch gar nicht umgeblättert, da liegt der Held schon im Dreck. „Ich habe Lucky Luke getötet!“, jubiliert der Bösewicht.

So beginnt das Album, mit dem der Zeichner und Szenarist Matthieu Bonhomme in diesem Frühjahr in der französischen Comicwelt für Furore sorgte. Zum Comic Salon in Erlangen, der Fans dieser Kunst am kommenden Wochenende nach Franken strömen lässt, ist eine streng limitierte Vorzugsausgabe von „Der Mann, der Lucky Luke erschoss“ erschienen. Im August kommt die deutsche Übersetzung dieser Hommage an den legendären Zeichner Morris dann großflächig in die Läden.

Eine Parodie auf die klassischen Westernfilme

Mit dem späteren Asterix-Texter kam der besondere Witz

Auf einer Amerikareise macht Morris eine Bekanntschaft, die für ihn und Lucky Luke Folgen hat. Er lernt den späteren Asterix-Texter René Goscinny kennen. Erst bei Goscinny wird aus Lucky Luke „der Mann, der schneller zieht als sein Schatten“. Der französische Scherzbold karikiert nach Herzenslust Western-Mythen und -Legenden. Zuhauf baut er Elemente des Western in die Serie ein: warnende Ortsschilder („Bleib nicht zu lange, Fremder, sonst bleibst du für immer“), Leichenbestatter, Rinderbarone, Kopfgeldjäger, Greenhorns, Saloonschlägereien und Postkutschen.

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Hinzu kommt die Fülle an historischen Figuren wie der exzentrische Richter Roy Bean, der Bonbon klauende Billy the Kid, der einfältige Jesse James und die burschikose Calamity Jane. Nicht zu vergessen Lucky Lukes Erzfeinde, die – ebenfalls historischen – Dalton Brüder. Morris hatte die vier gleich aussehenden, aber unterschiedlich großen Banditen Joe, Jack, William und Averell zwar eingeführt, allerdings am Ende seiner Geschichte aufhängen lassen. Zu dumm, dass die Daltons bei den Lesern so gut ankamen, dass sie sich mehr Geschichten wünschten. Goscinny wusste einen Ausweg. Er ließ sie als die idiotischen Cousins der Toten wiederauferstehen.

Das Gespann Morris-Goscinny schuf von 1955 bis 1977 Lucky-Luke-Abenteuer, die ein übersprudelndes Füllhorn an Ideen sind und vor Fabulierlust nur so strotzen. Doch der Verlag Dupuis monierte immer wieder kleinere Szenen. Dabei ging es um zu leicht bekleidete Schönheiten im Saloon, einen am Revolver nuckelnden Billy the Kid oder tote Banditen. Die Anweisung war klar: Lucky Luke sollte ein nie versagender Held sein, ein unfehlbares Beispiel. Morris muss das auf die Nerven gegangen sein, so sehr, dass er einmal für eine Studentenzeitung eine Seite zeichnete, auf der Lucky Luke säuft, Langweiler umbringt und eine heiße Nacht mit einer Cancan-Tänzerin verbringt, während Jolly Jumper seufzt: „So geht das jeden Tag, wenn er nicht bei Dupuis arbeitet....“

In den 1970er Jahren schickte sich der französisch-belgische Cowboy an, den amerikanischen Markt zu erobern. 1983 lief dort eine Zeichentrickserie nach den Comic-Vorlagen im Fernsehen an. Ein lange gehegter Traum von Morris wurde war. Deshalb wohl war er zu Zugeständnissen bereit.

Neben seiner stoischen Ruhe war bis dahin ein pausenloser Zigarettenkonsum untrennbar mit Lucky Luke verbunden. Kaum ein Bild, in dem Morris seinem einsamen Cowboy nicht eine halbabgebrannte Zigarette aus dem Mundwinkel hängen ließ. Wenn er gerade nicht paffte, drehte sich Lucky Luke eine neue Zigarette. Diese Szenen hatten den Zweck, die Geschicklichkeit des Helden zu zeigen. Egal, ob im Sattel oder während eines Duells – Lucky Luke war stets in der Lage, sich eine neue Zigarette zu rollen.

Für den Erfolg in Amerika gab der Cowboy das Rauchen auf

Der Held der Jugendzeit ändert seine Gewohnheiten

In Bonhommes Versuch an Lucky Luke spielt der Tabakentzug eine tragende Rolle. Das geht so weit, dass der sonst keine Miene verziehende Cowboy wegen der Entzugserscheinungen zu zucken und zu zittern beginnt. Bonhomme beschreibt, dass ihn der Moment, als der Cowboy das Rauchen aufgibt, tief beeindruckte. Er ist mit Lucky Luke aufgewachsen. Mit den Alben hat er Lesen gelernt. Die Bilder zeichnete er mit großer Ausdauer ab. Und dann änderte sein Held von einem Moment auf den anderen seine Gewohnheiten. Einfach so. Ohne Erklärung. „Ich wollte den Tod von Lucky Luke inszenieren, weil es für mich als kleiner Junge ein erstaunliches Ereignis war“, sagt der 42-jährige Comickünstler. Bonhomme erinnert sich auch, dass ein Journalist damals schrieb: „Als Lucky Luke aufhörte zu rauchen, ist er gestorben.“

So dramatisch kam es nicht. Aber nach dem plötzlichen Tod von Texter Goscinny 1977 flachte die Serie merklich ab. Verschiedene Szenaristen wagten sich an Lucky Luke heran, aber keiner erreichte eine vergleichbare Qualität. Dem Erfolg der Serie tat das keinen Abbruch – auch nicht die Tatsache, dass Morris seine Glanzzeiten hinter sich hatte. Seinen Zeichnungen fehlte die Dynamik früherer Bände. Die Hintergründe wurden fast schon karg und auch die Spiellust mit verschiedensten Filmtechniken verlies ihn fast völlig.

Der einsame Cowboy konnte insbesondere auch deutschsprachige Fans für sich begeistern. Allein in Deutschland, Österreich und der Schweiz verkauften sich nach Angaben des Dargaud-Verlags bislang rund 30 Millionen Alben. Wer in den 1980er Jahren aufwuchs, dessen Erinnerungen an Lucky Luke sind eng verbunden mit der Stimme von Freddy Quinn. Wenn man es geschafft hatte, seine Eltern zum Kauf einer Hörspielkassette zu bewegen, dann dröhnte Quinns schmachtende Stimme unterlegt mit einer quäkenden Mundharmonika aus dem Rekorder: „Einsamer Cowboy, bist so weit, weit von Zuhaus...“. Die Titelmelodie hat sich in die Gehörgänge eingebrannt – auch dank der Fernsehserie, die ebenfalls von Freddy Quinns Gesang eingerahmt wurde. Hier setzte sich der Heidenspaß aus einem Wilden Westen fort. Den Banditen fliegt die Pistole schon aus der Hand, wenn Lucky Luke seinen Colt auch nur zieht. Anfang der 2000er Jahre folgte eine 52-teilige Serie mit neuen Abenteuern – und deutlich modernerem Titelsong.

Und er reitet immer weiter in den Sonnenuntergang

Noch immer erscheinen neue Bände. Schon seit Jahren steht jedoch nicht mehr Morris hinter den Comics. Der Zeichner stürzte 2001 in seiner Wohnung in Brüssel so unglücklich, dass er wenig später an den Folgen starb. Aber wohlweislich hatte der 77-Jährige Vorkehrungen getroffen, um einen Tod seines Helden zu verhindern. In seinem Testament hatte er verfügt, dass Lucky Luke weitergeführt werden solle. Achdé alias Hervé Darmenton ist der Auserwählte, der nun die Abenteuer des einsamen Cowboys zeichnet.

Morris, der, gleichwohl er von Comicfans verehrt wurde und wird, immer ein wenig im Schatten seines belgischen Kollegen und Tim-und-Struppi-Schöpfers Hergé stand, wird im Jubiläumsjahr als ganz besonderer Künstler wiederentdeckt. In der französischen Comic-Hochburg Angoulême werden noch bis Ende September Originalzeichnungen ausgestellt. Die Verlage Egmont Comic Collection und Egmont Ehapa Media, wo Lucky Luke auf Deutsch erscheint, haben unter anderem für Oktober ein dickes Jubiläumsartbook mit dem Titel „Auf den Spuren von Lucky Luke“ angekündigt.

Aber einer wird trotz des Trubels um seinen Geburtstag mal wieder keine Miene verziehen. Lucky Luke, der statt sich feiern zu lassen, einfach weiter reiten, allein, in den Sonnenuntergang.

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