Ermittlungen
Tödliche OP: Experte gegen Experten

Nachdem ein zweiter Gutachter kein Verschulden des Arztes sieht, stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren erneut ein.

02.05.2017 | Stand 16.09.2023, 6:35 Uhr
Walter Schießl

Eine Mandel-OP ist längst nicht so harmlos, wie vielfach angenommen. Foto: dpa

Auch wenn die Regensburger Staatsanwaltschaft jetzt das Verfahren gegen einen Regensburger Arzt eingestellt hat, will Petra Wicha, deren Sohn Michael im Alter von 19 Jahren nach einer Mandel-Operation verstorben ist, nicht locker lassen. Über ihren Rechtsanwalt Matthias Melkus hat sie der Strafverfolgungsbehörde mitteilen lassen, dass sie Zweifel am neuerlichen Gutachten hat, in dem Professor Dr. Betz, der Leiter des Instituts für Rechtsmedizin in Erlangen, zu dem Schluss gekommen war, dass der Arzt, der die Operation durchführte, nicht wegen fahrlässiger Tötung anzuklagen sei.

Der Regensburger Oberstaatsanwalt Theo Ziegler sagte zu unserem Medienhaus, die Regensburger Staatsanwaltschaft habe das Verfahren jetzt zum zweiten Mal eingestellt.Sollten sich neue Gesichtspunkte ergeben, werde das Verfahren gegen den Regensburger Mediziner, der Michael Wicha die Mandeln herausoperiert hatte, wieder aufgenommen. „Man hat jetzt Aussage gegen Aussage“, sagte Matthias Melkus, weshalb man noch weitere medizinische Argumente der Staatsanwaltschaft zukommen lassen wolle. Ein Zivilprozess gegen den Operateur solle auf alle Fälle angestrebt werden, sind sich Petra Wicha und ihr Anwalt einig.

„Einen Verantwortlichen finden“

Zum ersten Mal war die Staatsanwaltschaft tätig geworden, weil die Ärztin, die den Totenschein für Michael Wicha ausstellte, darauf „Todesursache unbekannt“ vermerkt hatte. Die Kripo hatte daraufhin die Unterlagen in den Krankenakten des Wiesenters beschlagnahmt und zur Auswertung nach Erlangen bringen lassen. Auch der Leichnam des jungen Mannes wurde einer Obduktion unterzogen. „Der Vorwurf, der damals im Raum stand“, sagt Oberstaatsanwalt Theo Ziegler, „war das Vorliegen eines ärztlichen Kunstfehlers während der OP“. Das habe das Gutachten aber ausgeschlossen, sodass das Verfahren eingestellt wurde.

Doch auch der Medizinsche Dienst der Krankenkassen (MDK) wurde aktiv und gab ein Gutachten in Auftrag. Der MDK-Experte kam zu dem Schluss, dass nach den Unterlagen des Hausarztes eine „notwendige Indikationsbestätigung nicht gegeben sei, auch nicht bei sehr großzügiger Auslegung der Kriterien“. Auch bei den Unterlagen des HNO-Arztes habe sich kein nachvollziehbares Kriterium für die Häufigkeit der Infektionen ergeben, die eine Operaton notwendig gemacht hätte. Der MDK-Gutachter schrieb, für eine Mandelentnahme habe sich keine eindeutige Indikation ergeben, auch nicht nach den Prüfungen der aktuellen Leitlinien. Zudem sei der Patient nicht über Alternativen wie das Zuwarten aufgeklärt worden.

Die Staatsanwaltschaft hat nach diesem Gutachten erneut den Leiter des Rechtsmedizinischen Institus in Erlangen mit einer ergänzenden Expertise beauftragt. Diesmal sei es um die Frage gegangen, ob die Operation überhaupt vonstatten gehen hätte dürfen. Den Wiesenter zu operieren, so sagte Theo Ziegler zu unserem Medienhaus, „das war keine unvertretbare Entscheidung“. Es sei häufig eine Ermessensfrage, ob zu operieren sei oder nicht. Die Frage, wie hoch der Leidensdruck zu beurteilen sei, spiele hier eine Rolle. „Ein Nachweis, dass ein strafrechtlich relevanter Tatbestand begangen wurde, kann hier nicht geführt werden“, sagt Theo Ziegler. Auch die vom MDK-Gutachter aufgeworfenen nachträglichen Einträge in die Patientenakten stellen laut Theo Ziegler keine strafbare Handlung dar. „Wir haben keinen Hinweis darauf, dass hier bewusst manipuliert wurde“, sagt Theo Ziegler. Es könne zwar ein nachträglicher Eintrag in ärztliche Aufzeichnungen erfolgt sein, aber auch das stelle keine Straftat dar.

Petra Wicha, die Mutter des Verstorbenen, sagte, für sie sei es wichtig, dass ein Verantwortlicher für den Tod ihres Sohnes gefunden werden müsse. „Es kann doch nicht sein, dass Michael wegen einer harmlos geltenden Operation sterben musste und keiner soll dafür verantwortlich sein“, sagt sie.

Kein Verstoß des Arztes

Michael sei zur Operation nach Regensburg gefahren, weil er ein paarmal über Halsschmerzen geklagt und seinen Hausarzt aufgesucht hatte. Ohne eine Überweisung ausgestellt bekommen zu haben, dürfte der Leidensdruck bei dem 19-Jährigen so groß gewesen sein, dass er, so urteilt der Experte, von sich aus einen HNO-Arzt aufsuchte.

Die Empfehlung des Arztes, die Gaumenmandeln entfernen zu lassen, stelle keinen Verstoß gegen die ärztliche Sorgfaltspflicht dar. Der Arzt habe stets den individuellen Patienten mit seiner speziellen Fallkonstellation in seine therapeutischen Überlegungen mit einzubeziehen, schreibt Professor Dr. Betz.

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