Menschen
Esa setzt Trends für den Festival-Sommer

Marion Koller spricht mit der Regensburger Modebloggerin über das „Zuckerbrot“, ihre Jugend im „Ghetto“ und die Nasen-OP.

16.05.2016 | Stand 16.09.2023, 6:47 Uhr

Wandert zwischen mehreren Welten: Migrantenkind und Modebloggerin Esa Vokshi Foto: Koller

Esa Vokshi sieht in Wirklichkeit natürlicher aus als in ihren Social Media Accounts. Sie ist unkompliziert und liebenswürdig. Keine Spur von der unnahbaren Fashion-Figur, die sie auf Instagram und Facebook gibt. Die 21-Jährige sitzt vor dem Café Drei Mohren an der Wand, einen Orangensaft vor sich. Vokshi trägt Pferdeschwanz, einen rotbraunen Kurzarmpullover, Sneakers in derselben Farbe und eine weiße, weite Hose. Bei der Begrüßung springt sie auf und bietet ihren Platz an. Der sei gemütlicher und angenehmer zum Schreiben.

Frau Vokshi, Sie sind sehr höflich.

Meine Mutter hat mich so erzogen. Das ist unsere Mentalität. Ich bin zwar in Regensburg aufgewachsen, aber meine Eltern stammen aus dem Balkan.

Aus welchem Land?

Ich weiß nicht, ob ich das sagen soll, weil die Leute so viele Vorurteile haben. Viele Kosovo-Albaner, die in den 90er-Jahren hierhergekommen sind, sind in der Zeit steckengeblieben. Das ist die Erziehung. Die ist sehr streng. Ich habe Regeln gebrochen.

Welche?

Ich trage freizügige Kleidung. Das heißt, ein langes Kleid mit weitem Ausschnitt oder einen Rock mit zwei Schlitzen. Es darf aber nie billig ausschauen. Auch weil ich feiern gehe, habe ich Regeln gebrochen. Ich habe erst mit 19 angefangen, vorher durfte ich nicht raus. Anfangs habe ich meine Eltern belogen und gesagt, ich gehe zu Veranstaltungen, nicht in Diskotheken. Ich habe fast ein Jahr gebraucht, um ihnen klar zu machen, dass das normal ist. Meine Mutter hat gedacht, da geht man nur hin, um Männer kennenzulernen. Aber ich will nur Freunde kennenlernen und Spaß haben. Für meine Mutter gibt es keine Freundschaft zwischen Mann und Frau. Ihrer Hochzeit musste Oma zustimmen.

Und wie ist das bei Ihnen?

Wenn ich einen jungen Herrn kennenlernen würde, würde sich meine Mutter schon die Familie anschauen, aber sie ließe mir die freie Wahl.

Sie haben noch eine Regel gebrochen.

Ja, früher durfte ich nicht mit Jungs sprechen. Aber Sie wissen, dass ich seit Oktober 2015 einen Mädchenflohmarkt veranstalte. Im Team arbeiten fünf Jungs mit mir zusammen.

Jungs beim Mädchenflohmarkt?

Die Jungs sind gute Freunde und können zupacken. Sie müssen 90 Kleiderständer schleppen.

Der nächste Mädchenflohmarkt geht am 5. Juni über die Bühne. Der erste im Oktober war so erfolgreich, dass Sie wegen des Andrangs immer wieder schließen mussten.

2500 Menschen sind ins Haus Heuport geströmt. Es war so voll, nicht mal meine Mutter ist reingekommen. Eigentlich wollte ich einen kleinen Flohmarkt im Secondhand-Laden einer Freundin veranstalten, aber innerhalb von zwei Wochen hatte ich über Instagram und Facebook 1900 Anmeldungen. Meine Online-Reichweite ist groß. Ich stand unter Schock und wollte schon absagen. Ich musste einen Raum und Tische organisieren und Hunderte Mails beantworten. Zum Glück hat mir Micaela Sabatier, die Modenschauen organisiert, ihre Räume zur Verfügung gestellt. Sie ist wie eine zweite Mutter für mich.

Sie haben einen Nerv getroffen.

Es ist eine Art Recycling. Ich will die Sachen nicht wegschmeißen. Viele Verkäuferinnen sind Studentinnen und können sich Geld verdienen. Die Verkäuferinnen tauschen Klamotten unter sich aus. Sie sind 14 bis 25, aber auch eine 85-Jährige hatte einen Tisch.

Mode ist Ihre Leidenschaft. Sie stellen Ihre Lieblingskombinationen auf Instagram vor. Wie hat das begonnen?

Mit 14 habe ich eine Facebook-Seite gegründet. Meine Mutter hat Schneiderin gelernt, ich kann zeichnen. Sie hat immer Klamotten für mich genäht und ich habe es gepostet. Mit 15 hatte ich schon eine Boyfriendhose, wie sie heute in sind – von meinem Bruder. Grau und weit, mit der Käsereibe habe ich Löcher reingemacht. Dann habe ich zu meiner Mama gesagt, sie soll sie nach unten eng verlaufen lassen. Das habe ich mit der Kamera dokumentiert. Die Leute in der Öffentlichkeit fanden die Hose komisch, aber auf Facebook wollten alle wissen, wie ich das gemacht habe. 2013/14 habe ich mit meiner Mama eine Kollektion entworfen, zeitlos und unkonventionell. Einen weißen Rock mit hoher Taille oder asymmetrische T-Shirts mit seitlichem Schlitz zum Beispiel.

Was wollen Sie erreichen?

Ich will nicht viel erreichen. Geld verdiene ich ganz wenig. Mode gehört einfach zu meinem Lebensstil. Produktmarketing mache ich kaum. Zu viel Werbung. Ich bekomme ein paar Produkte, etwa ein Dirndl von Wirkes. Ich mache schöne Bilder und schreibe in meinem Blog, wie man es kombinieren kann. Sie nutzen meine Reichweite. Mit der kalifornischen Cacique Boutique habe ich einen Jahresvertrag. Ich bekomme einen Bikini und Rabatt. Dafür poste ich die Badekleidung.

Damit verkaufen Sie sich an die Hersteller.

Genau deshalb habe ich nur die zwei. Ich mache am liebsten alle zwei Wochen ein Streetstyle-Foto mit meinen Lieblingsklamotten, die ich billig eingekauft oder mit meiner Mama geschneidert habe.

Sie haben Outfits fürs Zuckerbrot & Peitsche-Festival im Juli zusammengestellt.

Ja, unter dem Motto Festival Fever. Ich empfehle drei Stilrichtungen: Hippiemäßig mit langem Blümchenkleid, Riesenausschnitt und Hut, rockig mit schwarzem Kleid, Stiefel und Lederjacke, Casual mit Jeans-Shorts, weißem Top und Chucks.

Was ist angesagt?

Große Lesebrillen ohne Stärke. Ich habe sechs davon. Ich finde das so lässig. Und rockige Band-T-Shirts. Ich habe eins von AC/DC, aber ich höre sie nicht an. Und ein enges Halsband. Die Leute kaufen seidene, ich stelle sie aus Strumpfhosen her.

Sie gehen gerne aus. Wohin?

Zurzeit mag ich Electro. Das Schimmerlos hat die beste Musik, das Gatsby mag ich auch. Aber ich wechsle die Clubs.

Haben Sie einen Freund?

Nein, ich habe noch niemanden kennengelernt, der zu mir passt. Vielleicht bin ich zu unabhängig. Wenn ich einen Freund habe, möchte ich sicher sein, dass wir lange zusammenbleiben. Ich habe Angst, etwas falsch zu machen. Mit elf hatte ich einen Freund, meinen kleinen Nachbarn. Wir haben Händchen gehalten. Meine Mutter hat mich angeschrien, als sie das gesehen hat.

Hat Ihr Arbeitgeber, die Sparkasse, nichts gegen Ihren Blog?

Ganz ehrlich? Das weiß ich nicht. Nach dem erstenMädchenflohmarktwaren sie stolz. Was cool ist: Ich mache ihren Instagram-Account und kann viel einbringen. Sie sponsern das Farbgefühle-Festival, ich habe 2013 und 2014 dort für die Sparkasse fotografiert.

Sie bewegen sich in verschiedenen Freundeskreisen. Mit Studenten aus allen Schichten sind sie genauso unterwegs wie mit berufstätigen Migranten. Sie fotografieren für Disco-Betreiber und halten Kontakt zum Kreativforum.

Es macht Spaß, alle Seiten anzuschauen. Da lernt man viel. Ich wohne in der Humboldtstraße. Das ist noch immer das abgestempelte Ghetto – nein, heute eigentlich nicht mehr. Aber es ist ganz anders als die Wohngegenden der Studenten. Als wir eingezogen sind, haben alle gesagt: Du wohnst im Ghetto. Ich bin fast arm aufgewachsen, in einer kleinen Zweizimmerwohnung beim Arnulfsplatz. Andere bekommen alles in die Wiege gelegt. Meine Eltern können mir kaum helfen. Ich musste mir alles selbst erarbeiten. Heute bin ich froh, dass ich schon in der Grundschule alles selbst erledigen musste, weil meine Eltern kein Deutsch konnten.

Es wird gemunkelt, dass Sie sich die Lippen aufspritzen haben lassen.

Nein, das habe ich doch nicht gewagt. Aber meine Nase habe ich operieren lassen, weil sie so groß war.

Sie machen Gleichaltrigen das Falsche vor.

Das machen extrem viele, doch keiner gibt es zu. Mein Bericht über die Nasen-OP auf Facebook war mein meistgeklickter.

Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?

Für mich zählt der Moment. Mein einziges Ziel ist, unabhängig zu sein.