Medizin
Regensburg verliert die Druckkammer

Das medizinische Großgerät hat viele Rauchgasopfer gerettet. Nun wird es verkauft. Regensburger Notfälle müssen nach Murnau.

19.11.2014 | Stand 16.09.2023, 7:11 Uhr
Heinz Klein
Der Intensivmediziner und Taucharzt Dr. Michael Pawlik behandelt ein Notfallopfer in der Regensburger Druckkammer im Gewerbepark. −Foto: MZ-Archiv

Regensburg verliert als bedeutsamer Standort für Spitzenmedizin eine Einrichtung, die Leben retten konnte. Die Druckkammer für Hyperbar-Medizin, die von Dr. Urs Braumandl 16 Jahre im Gewerbepark betrieben wurde, wird am 20. Dezember abgebaut. Nach langem Ringen um Unterstützung für einen kostendeckenden Betrieb des großkalibrigen Medizingeräts zog der Tauch- und Hyperbarmediziner gestern einen Schlussstrich und unterschrieb den Kaufvertrag mit einem serbischen Unternehmer. Belgrad wird nun Standort für Hyperbar-Medizin, Regensburg verliert diesen Status und in ganz Bayern gibt es künftig nur noch drei solche Einrichtungen.

„Es ist eine Schande, dass es nicht gelungen ist, die Druckkammer hier in Deutschland für die Behandlung von Patienten zu halten“ , sagt Dr. Michael Pawlik. In der Stimme des Direktors der Klinik für Intensiv- und Notfallmedizin am Caritaskrankenhaus St. Josef schwingen herbe Enttäuschung und Ärger mit. Der Privatdozent Dr. Pawlik, ebenfalls Hyperbar-Mediziner, behandelte in der Druckkammer zusammen mit Dr. Braumandl Notfallpatienten. „Wir haben in den letzten drei Jahren sicherlich zehn Menschen das Leben oder zumindest ihre Gliedmaßen gerettet“, sagt Pawlik. „Wenn der erste Mensch hier wegen der fehlenden Druckkammer sterben muss, werde ich die Verantwortlichen darauf ansprechen“, grollte der Klinikdirektor.

Die „Königin der Nacht“ gerettet

Das Krankenhaus St. Josef hatte vor drei Jahren mit Dr. Braumandl eine Kooperation gestartet und die Druckkammer für die Behandlung von Intensivpatienten aufgerüstet. Menschen, die an einer lebensbedrohenden Kohlenmonoxidvergiftung leiden, bekommen in der Kammer bei zwei Bar Überdruck und reinem Sauerstoff eine so gewaltige Sauerstoffsättigung, dass sie sogar ohne funktionierendes Hämoglobin im Blut überleben. Die Sopranistin Aurora Perry kam im September zusammen mit ihrem Mann als Notfallopfer in die Kammer. Drei Stunden, bevor sie als „Königin der Nacht“ auf der Bühne des Stadttheaters stehen sollte, zog sich Aurora Perry zusammen mit dem Opernsänger Judson Perry beim Duschen eine Kohlenmonoxidvergiftung zu, weil die Gastherme im Bad bei einem unvollständigen Verbrennungsprozess das geruchlose Gas verströmt hatte.

St. Josef wollte die Druckkammer

1,4 Millionen Mark hatte Dr. Braumandl vor 16 Jahren in die Druckkammer und sein Institut für Überdruckmedizin investiert. Doch dann war der Hyperbar-Mediziner nach und nach selbst unter Druck geraten – unter Kostendruck. Braumandl hätte mit seinem Institut für Überdruckmedizin gerne eine gesicherte 24-Stunden-Notfallbereitschaft angeboten, wie dies in Bayern ansonsten nur noch in der Unfallklinik Murnau der Fall ist. Doch für solch eine Notfallbereitschaft gab es keine finanzielle Unterstützung aus dem Ministerium beziehunsgweise den gesetzlichen Krankenkassen.

Und auch für die von Notärzten angeordnete HBO-Therapie in der Druckkammer blieb Braumandl meist auf einem Teil seiner Behandlungskosten sitzen, weil sich die Honorierung über die von den Kassen genehmigten Fallpauschalen nicht erlösen ließ. Die Behandlung eines Kohlenmonoxid-Vergifteten in einer Klinik wird mit rund 600 Euro pro Tag vergütet, die dann von der Klinik angeordnete Behandlung eines Notfallpatienten in der Druckkammer aber schlägt mit rund 2000 Euro zu Buche, klärt Dr. Pawlik die Finanzklemme. Auch wenn das Krankenhaus St. Josef dabei oft auf einem Teil der Kosten sitzen blieb, wollte man Notfallpatienten die Behandlung nicht versagen – auch nicht nachts oder an Sonn- und Feiertagen. Obwohl nicht zur Notfallbereitschaft verpflichtet, meldete Dr. Braumandl seine Druckkammer sofort einsatzbereit, wenn es ihm gelang, schnell eine Notbesetzung zu organisieren – einmal sogar einmal am Heiligen Abend. Bisweilen wurden Notfälle bis aus Norddeutschland nach Regensburg geflogen.

Das Krankenhaus St. Josef wollte die Druckkammer, doch nun werden damit Patienten in Belgrad behandelt. Rund 100 000 Euro hätte der Kauf und die Verlegung der Druckkammer ins Caritas-Krankenhaus gekostet, wo bereits ausgebildetes Fachpersonal zur Verfügung gestanden wäre. Doch dafür gab es keine Unterstützung. „Wir sind von Pontius zu Pilatus gelaufen, haben mit Ministerien und Krankenkassen gesprochen – ohne Erfolg“, sagt ein zerknirschter Klinikdirektor Pawlik. „Wir haben seit 2012 nach Lösungen gerungen, die Behandlung kostendeckend zu gestalten“, bestätigt der Geschäftsführer des Krankenhauses St. Josef, Dr. Joachim Ramming. An den Investitionskosten wollte sich niemand beteiligen und auch bei der Übernahme der Behandlungskosten hätten sich die Krankenkassen sehr zurückhaltend geäußert und meist nur eine Bezahlung in Einzelfällen zugesagt. Auch mit dem Bayerischen Innenministerium habe man gesprochen, das doch Sorge für Tausende von Feuerwehrleuten trage, für die eine Kohlenmonoxidvergiftung zum Berufsrisiko gehöre. Zum Schluss hatten die beiden Hyperbarmediziner noch bei den ostbayerischen Landtagsabgeordneten vorgesprochen, die das Ruder aber auch nicht mehr wenden konnten.

„Dass die Druckkammer nicht zu retten war, ist eine vertane Chance für Regensburg und den gesamten nordostbayerischen Raum“, bedauert auch Dr. Ramming. Die verbleibenden Druckkammern sind in Murnau, München und Traunstein, decken also nur den Süden Bayerns ab. Die Chance, mit einer Regensburger Druckkammer die Mitte und den Norden Bayerns abzudecken, ist nun also vorerst vertan.

20 Mal mehr Sauerstoff ins Blut

Selten sind Kohlenmonoxidvergiftungen keineswegs. Rund 4000 Vergiftungsfälle mit etwa 500 Todesopfern werden jährlich in Deutschland gezählt. In Bayern ereignen sich jährlich an die 1000 Vergiftungsfälle, doch nur etwa 50 Patienten kommen in eine Druckkammer, weiß Dr. Pawlik.

Doch nicht nur bei Kohlenmonoxidvergiftung kann die Hyperbar-Therapie Leben retten und Spätschäden vermeiden. Der Anästhesist erzählt von einer jungen Frau, die nach einer Geburt per Kaiserschnitt an einer lebensbedrohlichen Infektion des Bauchraums litt und auf Antibiotika nicht mehr ansprach. In der Druckkammer kommt 20 Mal mehr Sauerstoff ins Blut und jedes Mikrogefäß bekommt einen Mantel aus Sauerstoff, schildert Dr. Pawlik. Das überlebten die Bakterien nicht, die Patientin aber um so besser.

Für das Überleben der Regensburger HBO-Therapie und der dafür nötigen medizinischen Einrichtung warb im September noch ein Filmbeitrag des Bayerischen Rundfunks, in dem Menschen, die ihr Überleben dieser Einrichtung verdanken, zu Wort kamen. Auch die MZ hatte über die Druckkammer und die Finanzprobleme wiederholt berichtet.

Die Dres. Braumandl und Pawlik hatten zum Schluss noch gehofft, in dem TV-Magazin Report München eine größere Bühne zu finden und so mehr Druck auf die Politik zu erzeugen. Doch selbst diesen mit Überdruck vertrauten Medizinern ist es nicht mehr gelungen, die Einrichtung zu retten. Gestern Mittag unterschrieb Dr. Urs Braumandl den Kaufvertrag. Äußern wollte er sich zu diesem bitteren Entschluß nicht mehr – ebensowenig übrigens wie das Bayerische Gesundheitsministerium, das gestern offenbar unter Termindruck stand.

Damit geht zum sechsten Mal eine deutsche Druckkammer nach Serbien und kommt dort an Krankenhäusern zur Behandlung von Kohlenmonoxidvergiftungen, Weichteilquetschungen, schlecht heilenden Wunden oder schweren Infektionen zum Einsatz. Behandlungen, deren Finanzierung im deutschen Gesundheitssystem mit seinen Fallpauschalen nicht abbildbar und nicht finanzierbar war. In Deutschland gibt es dann nur mehr 16 von einstmals 100 Druckkammern.