Serie
Chopper, der Spuk aus dem Spucknapf

08.02.2013 | Stand 16.09.2023, 21:01 Uhr
Thomas Dietz
Er scheint der Verzweiflung nah: der spukgeplagte Zahnarzt Dr. Kurt Bachseitz† mit Lehrling Claudia −Foto: Horst Hanske/MZ-Archiv

Auch heute, nach fast 30 Jahren, gibt es immer noch leuchtende Augen, wenn das Wort „Chopper“ fällt. Sofort hört man: „Ah, das verliebte Gespenst“, „der Spuk aus dem Spucknapf“, „wunderbare Geschichte – unvergesslich!“ Der rätselhafte Geist aus der Zahnarztpraxis des Dr. Kurt B. in Neutraubling, für den man über quälende Monate hinweg keine physikalische Erklärung fand, besaß von Anfang an einen Kultstatus vom Range eines Naegeli (der geniale Sprayer von Zürich) oder Dagobert (Kaufhauserpresser).

Am Ende spukte der oberpfälzische Kobold weltweit durch die Schlagzeilen und machte ganz Neutraubling verrückt. Exotische Fernsehteams strichen durch die Straßen. Scharlatane packten Pendel, Ruten und selbstgebaute Energie-Sensoren aus und nahmen okkulte Schwingungen auf. Die Polizei bildete die „Soko Geist“ und die „Sondergruppe 16“. Die Deutsche Bundespost schickte Peiltrupps des Fernmeldetechnischen Zentralamtes in Darmstadt, die mit unerhörtem Equipment anrückten.

Das Gespenst war schwer verliebt

Aber sie konnten ihn nicht dingfest machen: „Chopper“, die rotzfreche Phantomstimme, die sich irgendwo in der Zahnarztpraxis verbergen musste, war nicht zu fassen. Und das Gespenst war auch noch verliebt: in die hübsche Claudia, Lehrling des Zahnarztes, die damals knapp 17 Jahre alt war.

Benno Hurt (71), Jurist, Autor und Fotograf, musste damals, im September 1983, als Jugendrichter am Amtsgericht Regensburg über die irdische Urheberin des Spuks urteilen. Eine heikle Sache: Der Chopper war so populär wie „Nessie“, das schottische Seemonster. Längst hatten sich „Chopper“-Fanclubs gegründet, es kursierten Gedichte und Schlager: „Was brabbelt und schwabbelt fürn komisches Ding? Man nennt es den Geist von Neutraubling.“ In der „Oberhessischen Presse“ aus Marburg an der Lahn wurden schon „Chopper-Seminare“ für Zahnmediziner angeboten.

„Es war klar, dass dies ein spektakuläres Verfahren war“, sagt Benno Hurt heute. „Auf der einen Seite sah man diese hübsche, junge Frau, die alle Lacher, alle Sympathien und die unsterbliche Chopper-Story auf ihrer Seite hatte. Auf der anderen Seite ich als Ungetüm, als Vertreter einer schwerfälligen und rachsüchtigen Justiz.“

Denn fast ein Jahr lang hatte die „kratzige und blecherne Geisterstimme“ die Patienten „bis zu 90 Mal am Tag“ erschreckt. Mal brüllte sie Obszönitäten aus Spucknapf oder Nierenschale, mal röhrte sie aus Abflüssen und Telefonhörern, mal grölte sie aus der Steckdose, mal flüsterte sie aus Heizkörperrippen zart „Ich liebe Dich“. Eine Patientin soll kreischend aus der Toilette geflohen sein, weil eine hohle Stimme aus dem Becken grunzte: „Mach mir nicht ins Gesicht.“

Während die unheimliche Stimme mit Lehrling Claudia immer erstaunlich höflich umging, traktierte „Chopper“ den Zahnarzt, seine Frau, Angestellte und Patienten mit Flüchen und Beschimpfungen. Die Stimme, sagten Zeugen, wirke „metallisch-roboterhaft“ wie bei einem am Kehlkopf Operierten (ein kehlkopfkranker Mann aus der Nachbarschaft geriet auch prompt in Verdacht). Dass der Chopper montags, wenn Claudia in der Berufsschule saß, immer Ausgang hatte, fiel offenbar niemandem auf.

Die Kunde von den mysteriösen Vorfällen in der Arztpraxis verbreitete sich rasch: „In Neutraubling geistert’s“, sagte man. Zahnarztgattin Margot B. erstattete Anzeige und brachte damit eine Lawine ins Rollen. Die Kripo rückte an, zerlegte die Praxis in ihre Einzelteile – nichts. 55 Wohnungen türkischer Nachbarn wurden gefilzt, Abwässerkanäle mit Ultraschall vermessen. Hochfrequenz-Physiker bauten ihre sündhaft teuren Gerätschaften auf – auch nichts. Die Geisterstimme konnte mitgeschnitten, aber nicht enttarnt werden.

„Hier herrschen starke Kraftfelder“

Inzwischen waren die skurrilsten Gestalten in Neutraubling eingetroffen: Im Fernsehen konnte man sehen, wie ein Poltergeist-Medium ins Mikrofon raunte: „Hier herrschen sehr starke, sich einander bekämpfende Kraftfelder. Mich wundert es gar nicht, wenn da was zu hören ist.“ Sogar der damals bekannteste Parapsychologe Deutschlands, Prof. Ernst Bender vom „Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene“ aus Freiburg, erschien vor Ort. Er blieb allerdings skeptisch und glaubte „doch eher an einen menschlichen Kobold“.

Ende Februar 1982 war’s dann aus mit der Chopperei – aber nur durch einen dummen Zufall: Ein Polizist sah im Spiegel, dass sich Claudias Lippen bewegten, als der Chopper krächzte ...

Ernüchterung machte sich breit. Ganz Deutschland war über diese banale Auflösung des übersinnlichen Treibens von Neutraubling tief enttäuscht. Wochenlang hatte der Geist alle Spezialisten genarrt. Jetzt sollte es nur Claudias Stimmakrobatik gewesen sein, die sie schon in der Schule gern zum Besten gab? Schade, schade.

Die Jugendstrafkammer hörte 32 Zeugen und Richter Benno Hurt fällte ein anerkannt weises Urteil: Claudia erhielt eine Verwarnung und eine Geldstrafe von 1500 Mark wegen Vortäuschens einer Straftat, Beleidigung und Bedrohung. Als Tatmotiv sah Hurt Claudias „Geltungsbedürfnis“: Sie habe „sich eine Figur erschaffen, um von ihr bewundert zu werden.“