Mundart
In da Stum hockan an etle Vodan drin

Die Betrachtung von Verwandtschaftsbezeichnungen liefert aufschlussreiche Einblicke in Geschichte und Gegenwart.

22.07.2010 | Stand 22.07.2010, 19:28 Uhr

Die Bezeichnungen für nahe Verwandte wie „Mutter, Vater, Schwester, Bruder“, erst recht für entferntere Beziehungen bergen einiges Interessante. Das fängt bereits an mit der Lautung. Die gängigsten Anreden für die Eltern sind „Muatta, Vatta“, beide mit kurzem Vokal und „tt“; auch das Paternoster heißt „Vatterunser“. Die zu erwartenden Formen mit Konsonantenschwächung, also „Muada, Voda“, gelten als respektlos und werden im normalen Gespräch vermieden; die nordbairische Variante „Mouda“ ist zur Rarität geworden.

Im 19. Jahrhundert wurde, wie man bei Schmeller liest, „das Haupt einer Wirthschaft nicht blos von seinen Kindern, sondern auch von seinen Dienstboten ‚Vatter‘ genannt.“ Die gesellschaftliche Stellung als Hausherr oder Herr über die Großfamilie dürfte bereits für die Grundbedeutung von indogermanisch „patér“ zutreffen (lateinisch „pater familias“). Wer sich um seine Familie kümmert, ist ein guter „Hausvatter“, und der Verwalter einer Jugendherberge der „Herbergsvatter“. Für „Vater“ in weiterem Sinn notierte Schmeller folgende Belege: „‚Is’s net so, Vatta?‘ spricht mich am 4. Juny 1843 … ein mir ganz unbekannter alter Bauer an. ‚Guetn Abmd, Vatta!‘ grüßt mich auf der Waldtreppe von Ebenhausen nach Schäftlarn hinab ein jüngerer. Das sey die Courtoisie, deren man sich gegen etwas vornehmere Unbekannte zu bedienen pflege, erklärt mir Herr Hagn …“. Heute kann „Voda“ im Sinne von ‚alter Mann‘ verwendet werden, allerdings ohne Respektsbezeugung, etwa wenn jemand feststellt: „In da Wirtsstum hockan bloß an etle Vodan drin“ (einige alte Männer). Eher Mitleid empfindet man mit dem „oidn Muatterl“, das am Stock mühsam den Kirchsteig hinauf wankt.

„Tante“ verdrängte die „Base“

Vertraulich familiär werden die Eltern mit „Màmma“ und „Pàppa (Bàbba)“ angeredet.

Die Kürzungen „d’Màmm, da Bàp“ treten auf, wenn über sie gesprochen wird. Diese Wörter entstanden unter dem Einfluss des Französischen (la maman, le papa), jedoch mit Verschiebung des Akzents auf die 1. Silbe, wie im Deutschen üblich. So decken sie sich mit italienisch „mamma, pappa“. Bei uns wirkt „Mamá, Papá“ (mit Betonung der 2. Silbe) gespreizt, affektiert – oder hat ironischen Beigeschmack. Im 17. Jahrhundert hatte sich das Französische zur kulturellen Leitsprache Westeuropas entwickelt. Neben Aberdutzenden von anderen Lehnwörtern verbreiteten sich unter anderem etliche Verwandtschaftsbezeichnungen. „Tante“ verdrängte „Base“ und „Muhme“. Entsprechendes geschah bei „Onkel“ (französisch „oncle“, zu lateinisch „avunculus“, Verkleinerungsform zu „avus“ – Großvater) als Ersatz für die deutschen Wörter „Oheim“ und „Vetter“. Letzteres Wort kam zu einer neuen Bedeutung, nämlich ‚männliches Kind von Geschwistern der Eltern‘, „Base“ als weibliche Entsprechung. Viel geläufiger geworden sind dafür allerdings „Cousine, Cousin“. Während „Kusine“ eingedeutscht wurde, bleibt „Cousin“ als Fremdwort erkennbar, leicht abgemildert in der bairischen Aussprache „Kusàà“. „Base“ lebt fort in „Bàsl“ für eine weitschichtige weibliche Verwandte sowie in „Frau Bas (Bos)“, was immer leicht spöttelnd gemeint ist.

Der Begriff „Geschwisterkind“ ist auch hochsprachlich, allerdings mit unfester Definition: ‚Nichte, Neffe‘ oder ‚Kusine, Cousin‘ – bei uns einigermaßen eindeutig im letzteren Sinn. Ein raffinierter Terminus liegt vor mit umgangssprachlich „Anderg(e)schwisterkinder“ als Bezeichnung für Verwandte der gleichen Generation, deren Eltern die Kusinen oder Cousins des eigenen Vaters oder der Mutter sind.

Für die Großeltern standen altdeutsche Wortbildungen zum Stamm „Ahn“ zur Verfügung. Noch verwendet wird „Uràhndl“ für ‚Urgroßmutter‘ (jünger dafür „Url“). Als hochgradig veraltet zu betrachten sind „Ahnherr, Ahnfrau, Ähnel (männlich: der Enl, Eel, weiblich: das Àhndl, Ààl). Als Lehnübersetzungen von französisch „grand-mère, grand-père“ entstanden „Großmutter, Großvater“ sowie „Großmama, Großpapa“, kindersprachlich gekürzt zu „Oma, Opa“.

„Freund“ war früher ein Verwandter

Heute versteht man unter „Freund“ einen vertrauten Menschen, auf den man sich verlassen kann, oder eine Liaison, ein „Gspusi“. In Schmellers Wörterbuch erfährt man, dass „Freund“ nicht nur ‚amicus‘ bedeutet hat, sondern ebenso ‚der Verwandte‘. Er schreibt: „Diese Bedeutung ist in Bayern die gewöhnlichste. Als ‚amicus‘ wird ‚Freund‘ vom gemeinen Mann seltener gebraucht.“ Aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert stammen folgende Belege für „Freundschaft“ im Sinne von ‚Verwandtschaft‘. Bei seinem Besuch im Himmel, den ihm der Boandlkramer ermöglicht, freut sich der Brandner Kaspar (in Franz von Kobells Novelle): „Sei Traudl kimmt daher und sei Vatta und Muatta und a ganz Rudl von seiner Freundschaft.“ Bei Ludwig Thoma (Agricola) finden wir: „Beim Einsagen koan vagessen von der Freundschaft, daß’s a richtige Leich wird“, und bei Emerenz Meier: „In unserner ganz’n Freundschaft kenn i koa Dirndl, dös dazua pass’n möcht.“

Zur „Freundschaft“ in der genannten alten Bedeutung gehören auch die Tauf- und Firmpaten. Die ‚Patin‘ heißt „Got(e)“, mundartlich „God, Godn, Goon, Godl“. Ein Roman von Robert Hültner trägt den Titel „Die Godin“ (mit verdeutlichender weiblicher Endung „-in“). Der ‚Pate‘ wird – oder wurde – als „Göt“ bezeichnet, mundartlich „Ged“. Hier ein Satz aus einer Erzählung von Georg Lohmeier: „Die Firmlinge mit ihren Göden und Goden werden allmählich unruhig.“

Für die eigene Familie, insbesondere die Eltern, ist der Ausdruck „meine, seine, ihre Leut“ verbreitet: „Am Sonntag fahr ich wieder einmal zu meine Leut.“ Nicht recht einig ist man sich über die Bedeutung von „Gevattersleut“. Manche verstehen darunter ‚Paten‘; andere angeheiratete Verwandte, insbesondere die Eltern der Schwiegerkinder; wieder andere einfach mit der Familie befreundete Personen.