MZ-Serie
Mit den Isarpreißn im veganen Teehaus

Harry G. grantelt am liebsten über die Schickeria. An seiner Regensburger Schule erkannte man sein Bühnentalent noch nicht.

26.04.2016 | Stand 16.09.2023, 6:51 Uhr
Harry G. gibt in seinen Videos und auf der Bühne den bissigen Bayern, der umzingelt von Isarpreißn ist. −Foto: Christian Brecheis

An der Isar, in den Bars in Schwabing, am Starnberger See und am Oktoberfest sowieso. Dort trifft man sie, die Zuagroasten. Menschen, die – aus welchen Gründen auch immer – in Bayern und besonders gerne in München gestrandet sind. Zur besseren Erkennbarkeit kaufen sich die Preißn einen Trachtenjanker, binden sich ein Schnupftabak-Tuch um den Hals und bemühen sich redlich, Fuß in der Schickeria zu fassen. Ist dieser Integrationsprozess erfolgreich abgeschlossen, also schafft es der Preiß beim Oktoberfest ins Hippodrom oder Käfer-Zelt, dann ist aus ihm ein Isarpreiß geworden - sagt der Kabarettist Harry G. Seit knapp drei Jahren widmet sich der gebürtige Regensburger seinen ungewöhnlichen Feldstudien und hat mit seiner grantelnden Art einen Nerv beim Publikum getroffen. Am 4. Mai dürfen ausgewählte Leser den Künstler in der MZ-Kulturkantine live erleben.

„Der Klassenclown war ich nie“

Markus Stoll, wie Harry G. mit bürgerlichem Namen heißt, war eigentlich ein ganz ruhiger Mitschüler, sagen seine früheren Klassenkameraden aus dem Werner-von-Siemens-Gymnasium in Regensburg. Nichts deutete darauf hin, dass sich hier eine Kabarettisten-Karriere entwickeln könnte. Stoll sieht das ganz ähnlich. „Der Klassenclown war ich nie, ich hab mir immer sehr genau überlegt, womit ich unterhalten kann. Wenn ich einen Gag gebracht hab, dann hat der auch gesessen“, sagt er im Interview mit unserer Zeitung. Dass er, der Bub vom Sallerner Berg, eine - Verzeihung - Rampensau werden könnte, ahnte er noch nicht einmal selbst, wenngleich er vor zwei Jahren in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung verriet, dass er in einem Elternhaus aufgewachsen ist, in dem ein besonderer Humor gepflegt wurde. Sein Papa habe bei Geburtstagen Ludwig-Thoma-Stücke performt und die Angewohnheit gehabt, Anrufe mit „Leck mich am Arsch“ entgegen zu nehmen.

Der Weg des Schülers verläuft dennoch zunächst ganz klassisch. Nach dem Abitur geht Markus Stoll nach Innsbruck, beginnt ein Betriebswirtschaftsstudium, macht zwei Auslandssemester in Argentinien, schließt erfolgreich ab und arbeitet als Diplom-Kaufmann bei einem Investmentfonds. „Das war auch gut“, sagt der Kabarettist. Doch die Frage, ob da nicht noch mehr geht, beschäftigt ihn. Im Freundeskreis beginnt er eine Figur einzuführen, die einen frotzelnden Blick auf die Münchner Bussi-Bussi-Gesellschaft wirft. „Den Hausmeister gab es ja schon, also suchte ich etwas anderes, etwas Neues.“ Harry G. setzt sich einen Hut auf und reift zur Persönlichkeit heran. Das G. steht übrigens nicht für G-Punkt, wie mancher vielleicht meinen mag. Das G. steht für einen Nachnamen über den Harry inzwischen kein Wort mehr verliert. „Weil eine real existierende Person dahintersteckt.“

Das erste Video von Harry G. auf dem Internetkanal „YouTube“ erscheint zum Oktoberfest 2013 - zur „Bavarian Fashion Week“. Der Ort, an dem sich Stoll besonders gut auskennt und auch besonders wohlfühlt, wie er sagt. Da war er schon als Kind und später auch jedes Jahr mit seinen Freunden. Also grantelt er sich in seinem zweiminütigen Clip durch die Festzelte vom „Hippodrom“, wo im Tüll-Dirndl der „Wiesn-Fasching“ gefeiert wird bis zum Hofbräu-Zelt, „wo dir die Australier schon um Elfe nackert in dei Hendl eine fall’n“.

Unter den ehemaligen Schulkameraden macht schnell die Runde, dass der Stoll Markus da was ganz Großes am Start hat. Die Clicks werden jede Woche mehr. Inzwischen sind es 60 Millionen und über 300 000 Fans auf Facebook. „Auf so etwas kannst du nicht hinarbeiten. Das passiert oder nicht.“

Auch erste Rollen als Schauspieler

Aus seinen Video-Schnipseln erarbeitet Markus Stoll das 90-minütige Bühnenprogramm „Leben mit dem Isarpreiß“. Deftige Sprüche über die Weißwurt-Zutzler, die Veganer im Teehaus, die Heimwerker im Baumarkt. Mit seinen Beobachtungen ein Live-Publikum zum Lachen zu bringen, ist noch mal eine ganz andere Hausnummer, räumt Markus Stoll ein. „Ein Bühnenprogramm zu erarbeiten bedeutet ganz viel Fleiß und Einsatz. Und Glück gehört auch dazu“ Glück, das Markus Stoll auf Anhieb hat. In München werden die Medien auf den bissigen Kabarettisten mit dem so schön gerollten „R“ aufmerksam. Der Radiosender Antenne Bayern nimmt Harry G. schon ein halbes Jahr nach dem ersten Video in sein Programm. Kurz darauf holt Günther Grünwald den Grantler in die „Grünwald Freitagscomedy“. Und auch als Schauspieler wird Markus Stoll demnächst zu sehen sein. In „Rosenheim Cops“ und der ARD Kultserie „München 7“.

Derzeit sitzt er wieder in den veganen Teehäusern, den bei Touristen beliebten Traditionsgaststätten, den Szeneclubs und spitzt seine Ohren. Er studiert die Gesten seiner Mitmenschen, deren Sprachduktus, achtet auf Kleidung und Körperhaltung. Nach 170 Vorstellungen mit dem Isarpreißn soll im Herbst das neue Programm „#Harry die Ehre“ Premiere feiern. „Es wird wieder schön böse, schließlich bietet München genügend dieser Gschaftler, die meinen, sie wissen schon alles. Denen muss einfach mal einer sagen, dass sie gar nichts wissen.“

Stoff für weitere Geschichten hält der 36-Jährige seit wenigen Wochen zudem im Arm. Söhnchen Ferdinand wird inmitten lauter Isarpreißn aufwachsen müssen. Auch darüber wird es noch Einiges zu granteln geben.

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