Medizin
Wenn die Docs bald selbst Notfälle sind

Kelheims Hausärzte haben lange Tage. Man muss den Job schon lieben, sagt Dr. Alfons Stiegler. Die Zukunft bereitet ihm Sorge.

03.02.2017 | Stand 16.09.2023, 6:39 Uhr
Dem stellvertretenden Vorsitzenden des Ärztlichen Kreisverbands Kelheim, Dr. Alfons Stiegler, macht die Zukunft seines Berufsstands Sorgen. −Foto: Weigert

Eigentlich wollte er als Unfallchirurg und Orthopäde durchstarten. Beim Abstecher in die Herzchirurgie merkte er aber, dass ihm das Reden mit Menschen fehlte. So landete er als niedergelassener Allgemeinarzt in Kelheim. Das ist 23 Jahre her. Dr. Alfons Stiegler hat seine Entscheidung nie bereut. Doch wenn er an die Zukunft seines Berufsstands denkt, legt sich seine Stirn in Falten.

Zwar versucht Stiegler, der auch stellvertretender Vorsitzender des Ärztlichen Kreisverbands ist, mit Kollegen seit zehn bis 15 Jahren gegenzusteuern und es hat sich auch einiges getan. Dennoch tun sich Allgemeinmediziner im Landkreis Kelheim immer noch schwer Praxiskollegen oder Nachwuchs zu finden. Ein Hausarzt, der weder seinen Namen noch den Praxissitz in der Zeitung lesen möchte, kann ein Lied davon singen.

Ein Kollege sucht und findet nicht

Seit einiger Zeit sucht er einen Partner, der bei ihm mit einsteigen will. Vergeblich. Seit einem halben Jahr hat er die Bemühungen intensiviert. Doch wer nicht gleich hinter der Landkreisgrenze zu Regensburg sitzt, tut sich schwer. Der Arzt hat Kontakt zu umliegenden Kliniken aufgenommen. Doch die Konkurrenz Krankenhaus sei groß. Dort könnten junge Ärzte Elternzeit nehmen. In seiner Praxis undenkbar.

Apropos Studium: Es ziehe viel mehr Städter als junge Leute an die Uni, sagt Dr. Stiegler. Und die Städter blieben dann eben auch in der Stadt. Der Nachwuchs, den die Landärzte hätten, der käme meist auch vom Land Der Beleg für seine These sitzt in seiner Gemeinschaftspraxis nur ein paar Türen weiter. Dr. Markus Hantschel, ein gebürtiger Saaler, ist ein „bekehrter“ Apotheker, sagt Dr. Stiegler.

Ihn sprach er schon während der Ausbildung aktiv an. Das sei die beste Strategie. Der Kelheimer Hausarzt tut sich in der Hinsicht leichter als mancher Kollege. Denn er führt eine sogenannte Lehrpraxis. Seit 2002 absolvieren Studenten der Uni Regensburg hier ihre Praktika. Auch zum Praktischen Jahr könne man herkommen. Aber dafür sei noch nie ein angehender Mediziner dagewesen.

Stiegler kritisiert, dass es in Regensburg immer noch keinen Lehrstuhl für Allgemeinmedizin gebe. Studenten eiferten nun mal ihren Professoren nach. Außerdem sollte es mehr Studienplätze und ein anderes Auswahlverfahren geben, bei dem ein Professorengremium mitreden darf.

Den Einstieg in die Medizin fand Dr. Stiegler als 16-Jähriger als „begeisterter Rettungsassistent“. Auch heute gebe es unter den Kelheimern zwei Handvoll, die Arzt werden wollten. Doch sie bekämen keinen Studienplatz. Von ihnen würden nach der Ausbildung sicher ein paar gerne als niedergelassene Ärzte zurück nach Kelheim kommen, ist sich der 54-Jährige sicher.

Dr. Stiegler Job ist breitgefächert. Er kümmert sich um Kleinkinder, übernimmt Leichenschauen, betreut Schwerkranke palliativ. Zu ihm kommen Patienten mit Schnupfennase, Diabetiker und Herzkranke genauso wie Leute, die sich Hautflecken entfernen lassen wollen. Der Hausarzt „sieht alles, macht alles und kann fast alles“. Er kennt seine Patienten, deren soziales Umfeld, die Vorgeschichte, oft auch die der Eltern. Statt Hightech sind seine wichtigsten Mittel „Hinhören, Anlangen, Riechen“. Zwei bis drei Stunden täglich macht er Hausbesuche, zwei Stunden sitzt er am Schreibtisch, 30 Minuten bildet er sich fort, der Rest der Zeit zwischen 7.30 und 20 Uhr hat er Sprechstunde.

Man habe am Land mehr Freiheiten, aber man sei dort auch mehr auf sich allein gestellt. Man arbeite mehr und „man muss das Land mögen“. Man hat mehr Verantwortung und man werde immer beobachtet. Wenn man in der Stadt Fehler mache oder unfreundlich ist, dann spiele das keine Rolle. Am Land könne man dann einpacken, sagt Dr. Stiegler.

Andererseits habe sich einiges getan. Es gebe Niederlassungszuschüsse, durch Hausarztverträge weniger Bürokratie und seit fünf Jahren sei die Residenz- und Präsenzpflicht aufgehoben. Höchstens sechs Kilometer von der Praxis weg durfte ein Hausarzt früher wohnen. Heute könne die Wohnung auch in Regensburg sein.

Zukunft: Gemeinschaftspraxis

Effekte sind bislang jedoch kaum spürbar. Die Zukunft seien egal wo Gemeinschaftspraxen, sagt Stiegler. Weil sie flexiblere Arbeitszeiten ermöglichen. Ärztinnen könnten in Teilzeit arbeiten. Alles wichtige Bausteine, damit nicht bald viele Anrufbeantworter statt belegter Leitungen geschlossene Praxen verkünden.

So sieht’s der Kollege von der Goldbergklinik

Chefarzt Dr. Michael Reng, der an der Goldbergklinik, einem Lehrkrankenhaus der Universität Regensburg, selbst Studenten zum Mediziner ausbildet, glaubt, dass es grundsätzlich von der Begeisterungsfähigkeit der Dozenten abhängt, wofür die Studenten sich erwärmen oder nicht.

Aber auch mehr Respekt für niedergelassene Kollegen bräuchte es. Oft sprächen Menschen in der medizinischen Spitze den Allgemeinmedizinern ab, dass ihr Metier „ein intellektuelles Geschäft ist“. Mehr Anerkennung würde vermeiden helfen, dass Allgemeinärzte am Land aussterben, sagt Reng.

Genauso wichtig sei es, dass die gesamte Ausbildung bis hin zum Facharzt auch künftig am Land stattfindet. „Der Großteil der heutigen Allgemeinärzte sind Gewächse der Goldbergklinik“, so Dr. Reng. Wem die Ausbildung hier gefalle, der wolle dann vielleicht nicht mehr weg und lasse sich nieder.

Klinik- und niedergelassene Ärzte „müssen sich gegenseitig einschätzen können und schätzen“, sagt Reng. An der Klinik „können wir uns gute Leute wieder aussuchen“. Bei der gestiegenen Zahl der Bewerbungen spielt wohl auch das Praxisjahr-Ranking eine Rolle.Kelheim rangiert bei 466 Kliniken auf Rang 27.

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