Serie
Der Sozialpädagoge aus Strunzenöd

Kabarettist Michael Altinger schaut in seinem imaginären Dorf den Menschen in die Seele. In Regensburg probte er etwas Neues.

27.09.2016 | Stand 16.09.2023, 6:46 Uhr
Kabarettist Michael Altinger im Regensburger Statttheater: In seinen Programmen hält er den Menschen gerne den Spiegel vor. −Foto: Gabi Schönberger

Strunzenöd liegt in diesen Tagen in einer kleinen Regensburger Gasse. Ein bisschen versteckt im Keller. Dort steht Kabarettist Michael Altinger vor mehreren Reihen blaugepolsterter Stühle auf einer fast unbeleuchteten Bühne im „Statttheater“. Es gibt kein Publikum. Nicht, weil den 45-Jährigen niemand hören will, sondern weil er will, dass ihn niemand hört. Also zumindest tagsüber. Altinger probt mit seiner Ein-Mann-Band namens Martin Julius Faber in dem kuscheligen Ambiente der kleinen Kabarettbühne für sein neues Bühnenprogramm. Von Vormittags bis in den späten Nachmittag hinein. Dann ist aber immer noch nicht Feierabend. Am Abend gibt er die letzten Vorstellungen von „Ich sag’s lieber direkt“. „Das artet tatsächlich gerade in Arbeit aus“, sagt er und lacht.

Kabarett ist auch Psychologie

Zum Interview sitzt Altinger in schwarzem T-Shirt und Jeans an der kleinen Bar. Das beige Sommersakko, das er fürs Foto überzieht, ist aus Baumwolle. Bequem, aber nicht knitterfrei. Würde er sich als Streetworker oder Familientherapeut ausgeben – man würde es ihm sofort abkaufen. So ein bisschen Sozialpädagoge ist halt doch hängen geblieben nach 16 Semestern Studium. Altinger sagt, dass Kabarett auch Psychologie und Soziologie ist. So gesehen war das Studium nicht völlig umsonst, auch wenn es den Weg auf die Bühne verzögert hat. Altinger studierte bis er das Diplom in der Tasche hatte. „Ich habe mein Studium tatsächlich bis zum Ende durchgezogen. Darum beneiden mich viele Kollegen.“

Schon während des Studiums nimmt der gebürtige Landshuter Schauspielunterricht und Sprechtraining. „Aber alles selbst finanziert!“ Sein Chef im Lehrlingswohnheim in Landshut, wo Altinger jobbte, ist derjenige, der ihm nach dem Abschluss rät, es doch auf der Bühne zu versuchen. „Er sagte: ‚Gibt dir ein Jahr. Danach kannst du ja immer noch als Sozialpädagoge arbeiten.‘“

Aus dem einen Jahr sind mittlerweile über 20 Jahre geworden. Denn schon mit seinem ersten Programm gewinnt Altinger das Passauer Scharfrichterbeil. Damals noch ein undotierter Preis für Nachwuchskünstler. „Jetzt kannst 1000 Mark mehr verlangen“, habe ihm der Wirt vom Scharfrichterhaus versprochen. Ein frommer Wunsch, wie der Kabarettist schnell feststellen musste.

Doch Altinger beißt sich durch. Spielt mal vor mehr, mal vor weniger Publikum. Schreibt jede Idee in eine Art Tagebuch und erarbeitet daraus alle zwei bis drei Jahre ein neues Programm. Der Fleiß zahlt sich aus. Bald wird er auch fürs Fernsehen entdeckt. Ab 2000 ist er in der Comedyserie „Die Komiker“ zu sehen. Auch als Schauspieler probiert er sich aus, übernimmt kleinere Rollen in den Fernsehserien „Die Rosenheim-Cops“, „München 7“ und „Der Kaiser von Schexing“. 2008 bekommt er mit „Altinger mittendrin“ seine eigene Sendung. Er moderiert Galas wie die „Sternstunden“ und ist Gastgeber beim Bayerischen Kabarettpreis. 2013 übernimmt er mit Christian Springer die Nachfolge an Ottfried Fischers Schlachthof-Stammtisch.

Seltene Zucchini-Pokémon

Dort lästert er etwa über Helikopter-Eltern und Pokémon-Go-Spieler. Das Publikum lacht, ertappt fühlt es sich meist nicht. Man selbst würde ja niemals nicht einen seltenen Pokémon mit einem gelben Zucchini verwechseln. Das passiert, wenn überhaupt, doch nur den Bewohnern von Strunzenöd! Jenem Ort, mit dem uns Altinger gerne mal den Spiegel vorhält. „Strunzenöd, das ist mein privates Entenhausen“, sagt er. Es ist dort, wo jeder jeden kennt und jeder über jeden etwas weiß. „Jeder von uns hat sein Bild von diesem Ort im Kopf“, sagt der Kabarettist. Wo sein eigenes Strunzenöd liegt? „Vermutlich zwischen Niederbayern und Oberbayern.“ Dort, wo Altinger geboren und dort, wo er aufgewachsen ist.

Altinger schaut auf die Uhr. Noch ein paar Fotos, dann muss er sich zurückziehen. Um 20 Uhr beginnt die Abendvorstellung im Statttheater. Ein neues Programm zu proben und gleichzeitig ein altes Programm zu spielen, das ist eine Herausforderung. Sich verhaspeln, einen Hänger haben oder gar die Pointe versauen, das will der Kabarettist auch in der intensiven Probenphase nicht riskieren. Deshalb liest er sich, bevor er auf die Bühne geht, das komplette Programm durch. „Es ist gelernt bis zum Punkt und Komma“, sagt er. „Wenn die Leute mir sagen, dass es klingt als hätte ich die Geschichten gerade erfunden, dann ist das ein schönes Kompliment.“

Das neue Programm „Hell“, das am 7. Oktober in Garmisch Premiere hat, geht sogar noch einen Schritt weiter. Es ist dramaturgisch wie ein Theaterstück aufgebaut. Mimik und Gestik erhalten noch mehr Bedeutung. Auch das probt der Kabarettist mit einer Regisseurin bis ins kleinste Detail ein. Das Publikum braucht aber keine Angst zu haben, dass er auf der Bühne den Faust gibt. „Es ist ein lustiges Theaterstück“, betont Altinger.

Das Stück beginnt mit einem Verkehrsunfall, in den der Kabarettist tatsächlich selbst verwickelt war. Auf der Bühne wird daraus ein Versicherungsschaden, in dem sich die Wahrheit plötzlich ins Gegenteil verdreht. In dem Menschen aufeinandertreffen, die nach immer Höherem streben, ohne Rücksicht darauf, was das mit dem Umfeld und auch mit ihnen selbst macht. „Wir sind noch immer sexy und brauchbar! Also lasst uns alle zu Leittieren werden und stiften wir eine neue Religion!“, fordert Altinger sein Publikum auf. Wo das enden wird? Das weiß der Kabarettist bislang selbst nur ungenau, sagt er. Denn „Hell“ ist Teil einer Trilogie.

Die blau gepolsterten Stühle im „Statttheater“ sind besetzt. Die letzte Reise nach Strunzenöd beginnt. In die Hölle – oder meint Altinger mit „Hell“ etwa das Helle? – kommen sie noch früh genug. Im Februar, wenn der Kabarettist wieder in Regensburg gastiert.

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