MZ-Serie
Schluss mit Bayerisch-Disneyland

Das Wirtshaus Zum Geiss in Straubing ist ein Traditionslokal, durch das seit einiger Zeit erfreulich frischer Wind weht.

13.06.2015 | Stand 16.09.2023, 7:10 Uhr
Nur das Echte ist gut, und ein Weißbier geht immer: Michaela Stöberl, die Wirtin „Zum Geiss“, mit ihrem Küchenchef Salvatore. Früher trug die weibliche Bedienung hier Dirndl, heute sind es Lederhosen. −Foto: Gabi Schönberger

Schon von weitem sticht einem das elegante, grau-blaue Haus mit den markanten Treppengiebeln ins Auge: Das Wirtshaus Zum Geiss ist ein Straubinger Schmuckstück. Und wie gerne flaniert man über den Stadtplatz, nachdem das Parken in dieser Stadt wieder mal so herrlich unkompliziert war. Irgendetwas machen die hier schlauer als anderswo, denkt sich der auswärtige Gast.

Der erste offizielle Eintrag des Hauses findet sich im Steuerbuch der Stadt von 1462, die erste Ansicht wurde 1568 gezeichnet. 1620 kam eine Brauerei dazu, neue Besitzer traten ein, bauten um („barockisieren“ war eine Zeit lang Mode), viele versanken in Schulden, andere wirtschafteten mit glücklicher Hand – so ging es über Jahrhunderte.

Jeden Tag wurde gerauft

Noch heute erzählt man sich Anekdoten aus den 20er Jahren, als es im Geiss einen berüchtigten Stammtisch gegeben haben muss, dessen Mittelpunkt eine Maurers-Witwe namens Pexen-Lini war. „Jeden Tag wurde gerauft“, kann man in den „Häusergeschichten der Stadt Straubing“ von Dr. Hanns Rohrmayr von 1961 lesen.

Schlimm wurde es nach dem amerikanischen Luftangriff am 5. Februar 1945, bei dem 460 Straubinger starben und der das westliche Drittel des Hauses, in dem Brauerei und Ställe lagen, zerstörte. Heute ist es um die Hälfte kleiner als früher. In den 1990er Jahren war das Anwesen schwer verkommen und nahezu baufällig, der Schwamm wucherte vom Keller bis in den einsturzgefährdeten Dachstuhl.

Dann erschien, im Februar 2010, Michaela Stöberl. Die gelernte Fotografin hatte zuvor vier Jahre lang im „il tomato“, dem Restaurant des Hotels Villa am Bahnhofplatz, gearbeitet. Mit ihr wechselten Küchenchef Salvatore (Salva) Fierro, ein fränkischer Halbitaliener und das gesamte, gut eingespielte „il tomato“-Team zum Geiss. Nun galt es, Bewährtes und Traditionelles zu pflegen, aber gleichzeitig junges und gesundheitsbewusstes Publikum zu gewinnen und überhaupt einen unkonventionellen Ansatz zu finden – ein Spagat, bei dem man sich leicht verrenkt. Im Wirtshaus Zum Geiss scheint er geglückt.

Essen & Trinken: einzig, nicht artig!

„Bayerisch, urig, anders, regional, besonders, traditionell“, steht auf der Speisekarte, „Essen & Trinken: einzig, nicht artig!“ – was auf ein modernes, anspruchsvolles Heimatverständnis zielt, mit dem man die Glut weiterträgt und nicht die Asche: „Schluss mit Bayerisch-Disneyland!“, sagt die Wirtin. „Ich möchte den bayerischen Lebensstil mit guter Laune und besseren Produkten verbinden.“

Küchenchef Salva hat sich mit originellen und hochwertigen Gerichten (Zanderfilet im Parmaschinkenmantel, Semmelknödel carpaccio; „I hoid fit“-Energiesalat mit Hanfsamen) bio, fair und regional in die Mägen der Gäste gekocht. Die Getränke sind witzig und gut: Es gibt Hopster (Hopfenlimo) oder aphrodisischen Erdbeer-Ingwer-Prosecco – er „regt die Durchblutung und die Sinne an“. Im ersten Stock liegt die „Bussi-Bussi-Bar“, in der auch die „Goass House Band“ spielt, der Weinkeller ist wohlsortiert, und außerdem gibt es eine hinreißende Bierschmankerl-Karte. Ehrungen hat die Geiss-Truppe reihenweise abgeräumt, im Michelin, Gault Millau und zweimal im Feinschmecker bei den „500 besten Restaurants für jeden Tag“.

Das Gästebuch liest sich wie ein Who’s who: von Werner Schneyder, Barbara Wussow und Joe Bausch über Konstantin Wecker, Udo Wachtveitl bis zu Prinz und Prinzessin von Orléans: „Die waren bezaubernd“, sagt Michaela Stöberl und ist – mit Recht – stolz auf das Geleistete: „So lange wie ich hat noch keiner durchgehalten.“