Sterbebegleitung
Sie sind da, wenn der Tod anklopft

Wie verbringt man seine Zeit, wenn einem keine mehr bleibt? Ein Tag zwischen Leben und Sterben im Johannes-Hospiz Pentling.

07.05.2016 | Stand 16.09.2023, 6:51 Uhr
Manchmal hilft es, einfach nur da zu sein: Pflegekraft Juvy Adam bei einem Gast im Johannes-Hospiz in Pentling. −Foto: altrofoto.de

Wann kommt er? Heute, morgen, nächste Woche? Klopft er sanft an die Tür oder tritt er mit voller Wucht ein? Er, der Tod, der im Johannes-Hospiz in Pentling (Lkr. Regensburg) ein regelmäßiger Besucher ist. Niemand sieht ihn gerne, doch er wird respektiert. Weil es keinen Verhandlungsspielraum gibt. Fast 200 Mal haben Hospizleiterin Sabine Sudler, Pflegedienstleiterin Beate Hochmuth und ihre Kollegen in zwei Jahren die Tür geöffnet und den Tod hereingelassen. Jeder seiner Besuche hat Spuren hinterlassen.

Sabine Sudler holt die beiden dicken Gästebücher aus dem Besprechungszimmer und fängt an darin zu blättern. Auf den Sterbebildern und Familienfotos sind Eltern, Großeltern, erwachsene Söhne und Töchter. Die Oma bei ihrem 70. Geburtstag, glücklich inmitten ihrer großen Familie. Wenige Tage später bekam sie die Diagnose. Ein bunter Regenbogen, gemalt von zwei Mädchen, neun und elf Jahre alt. Sie sahen ihn am Himmel über dem Hospiz, als ihre Mama starb. „So etwas geht auch uns nahe“, sagt Sabine Sudler.

Aus dem Patient wird der Gast

Gerade kam am Telefon eine neue Anfrage. Eine Frau aus dem Amberger Raum. Krebs im Endstadium – wie bei den allermeisten Gästen, die ins Hospiz einziehen. Der Begriff Patient fällt an diesem Punkt des Lebens nicht mehr. Wenn Menschen ins Hospiz gehen, gibt es keine ärztliche Therapie mehr. Die Hoffnung auf Heilung ist gestorben.

Und doch ist das Leben längst nicht zu Ende.Mehr als 330 Tage begleitete Sabine Sudler einen Mann, Anfang 60, herausgerissen mitten aus dem Berufsleben.Als der Tod kam, ging ein Freund. Der alleinstehende Mann war allen ans Herz gewachsen. Meist endet der gemeinsame Weg schon sehr viel früher – nach 20 bis 30 Tagen. Manche Gäste sterben auch unmittelbar nach dem Einzug. Sie wollen nur noch ankommen um loslassen zu können, sagt Sabine Sudler.

Was braucht ein Mensch, der sich auf seinen Abschied vorbereitet? Gestillte Bedürfnisse. Dafür sorgt an diesem Dienstag im April Köchin Edeltraut Hermann. Sie steht am Herd und überwacht den Tafelspitz fürs Mittagessen. Die Köchin erfüllt jeden Wunsch, der an sie herangetragen wird. Wer noch etwas essen kann, der soll dies mit Genuss tun. Leibspeisen werden abgefragt, Speisepläne gemeinsam mit den Gästen gestaltet. Doch ein deftiger Schweinebraten wird selten verlangt, auch vom Tafelspitz werden die Gäste wohl nur die Rindsbrühe essen. Mehr schaffen die von der Krankheit geschwächten Körper nicht mehr. „Aber neulich wünschte sich jemand ein ‚Saures Lüngerl‘, darauf hatten dann gleich mehrere Gäste Appetit. Das macht mir dann auch Freude“, erzählt die Köchin.

Inzwischen ist es später Vormittag und noch immer steht Frühstück in der Küche bereit. Viele Gäste schlafen lange, sagt Beate Hochmuth. Der strenge Zeittakt der Krankenhäuser gilt hier nicht mehr. Jeder lebt die verbleibende Zeit in seinem eigenen Rhythmus. Ganz individuell wird auch der Tag mit den Bewohnern geplant. Reicht die körperliche Verfassung für eine Spazierfahrt im Rollstuhl, ein entspannendes Bad in der Wanne oder einen Spielenachmittag? Alles kann, aber nichts muss mehr, sagt die Pflegedienstleiterin.

An diesem Dienstag bleiben die Gänge und der Aufenthaltsraum leer. Nur die quietschenden Gummisohlen der Pflegekräfte unterbrechen hin und wieder diese Stille in den beiden Gästetrakten. Es ist die Zeit, um mit sich ins Reine zu kommen. Es gibt Sterbende, die sich ganz alleine vorbereiten und andere, die vieles mit ihren Angehörigen zu besprechen haben. Auch die Pflegekräfte und ehrenamtliche Hospizhelfer nehmen sich viel Zeit am Bett. Erinnerungen werden noch einmal aufgefrischt und dabei gibt es auch viel zu lachen, sagen die Begleiter. Leuchtende Tage, regnerische Tage. Niemand weiß, was morgen kommt.

Eine Pflegerin trägt eine Tulpenblüte durch den Gang. Ein Willkommensgruß. Sie wird heute einen neuen Gast empfangen. Das Zimmer hat sie schon vorbereitet, mit persönlichen Gegenständen, die die Kinder der Frau vorbeigebracht haben. An der Wand hängt ein Alpenpanorama. Im Regal stehen die Familienfotos. Fünf Töchter hat die 88-jährige Frau großgezogen, hat die Enkel heranwachsen sehen – und jetzt die Diagnose Magenkrebs. Keine Hoffnung auf Heilung mehr. Dieser Raum wird der Ort sein, an dem sich die Frau von der Welt verabschieden wird.

Der Tod kommt immer anders

Um 14 Uhr ist Schichtwechsel. Für jeden Hospizbewohner wird der bisherige Tagesverlauf besprochen. Wer fühlt sich heute besser, wer schlechter. Wer braucht ein Gespräch, wer eine höhere Medikamentengabe. 14 Pflegekräfte wechseln sich im Johannes-Hospiz in drei Schichten ab. Die zehn Zimmer sind fast immer voll belegt. Die Arbeitsbelastung in den vergangenen Wochen war hoch, sagt Beate Hochmuth. „Wir haben 17 Gäste verabschiedet.“ Die letzten Tage sind die intensivsten für die Pflegekräfte. „Wir gehen den Weg mit. Hören zu, wenn Ängste kommen, atmen mit, wenn der Atem stockt, geben Halt, wenn das Loslassen schwer fällt.“ Der Tod kommt immer anders, sagt die Pflegedienstleiterin. „Mit der Zeit entwickelt man zwar ein gewisses Bauchgefühl, aber niemand kann den letzten Atemzug vorhersagen.“ Erst am Wochenende haben sie zwei Frauen verabschiedet, beide erst Mitte 50. Eine saß noch wenige Stunden vor ihrem Tod am Tisch und bastelte kleine Kunstwerke aus Papier, erzählt Sabine Sudler. „Niemand rechnete damit, dass ihr Tod unmittelbar bevorstand.“

Die Nachmittagssonne wirft ihre Strahlen in den kleinen Garten, auf den die Bewohner von ihren Zimmern aus einen Blick haben. Zwischen den Sträuchern liegen bunt verzierte Steine. Jeder Stein gehört zu einem Verstorbenen. 186 Erinnerungen. Sabine Sudler, Beate Hochmuth und ihre Kollegen kennen alle Lebensgeschichten. Es ist kein leichter Job, sagen sie. Doch sie schätzen sich auch glücklich, dass Menschen ihren letzten Weg gemeinsam mit ihnen gehen wollen. Wenn der Tod im Johannes-Hospiz an die Tür klopft, kann ihn niemand aufhalten. Aber hier ist man mit ihm nicht allein.

Prominente werben um Unterstützung des Hospiz:

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