Porträt
Als Baby Schimmerlos unsterblich

Franz Xaver Kroetz hat das Theater revolutioniert und wurde als Klatschreporter in „Kir Royal“ berühmt. Jetzt wird er 70.

25.02.2016 | Stand 12.10.2023, 10:21 Uhr
Helmut Hein

Der Schauspieler, Regisseur und Theaterautor Franz Xaver Kroetz wird am 25. Februar 70 Jahre alt. Foto: Tobias Hase dpa/lby

Er wollte spielen und schreiben. Von Anfang an. Und wenn es nicht anders ging, dann schrieb er eben einen Bauernschwank („Hilfe ich werde geheiratet“) für die Ludwig Thoma Bühne Rottach-Egern oder textete für „Fix und Foxi“.

Und wenn auch sein „Romeo und Julia“ aus dem Jahr 1966 ebenso wie eine Reihe anderer Frühwerke weder gedruckt noch aufgeführt wurden, stellte sich der große Erfolg dann doch rasch und unverhofft ein. 1971 wurde für Kroetz das Jahr des Durchbruchs. „Wildwechsel“, später von Rainer Werner Fassbinder in jeder Hinsicht drastisch verfilmt, wurde in Dortmund uraufgeführt, „Heimarbeit“ und „Hartnäckig“ an den Münchner Kammerspielen, kurz darauf „Dolomitenstadt Lienz“ in Bochum und „Stallerhof“ am Deutschen Schauspielhaus Hamburg.

Sprachlose Wünsche und Ängste

Es war die Zeit, als die „Söhne“ der eben wiederentdeckten Marieluise Fleißer die Bühnen und Leinwände eroberten: Rainer Werner Fassbinder, Martin Sperr und eben Kroetz. Alle drei zeigten, wie sehr die Menschen von der Gesellschaft und ihren „Nächsten“ zugerichtet werden und dass die Welt des vorstädtischen und ländlichen Sub-Proletariats zu klein und eng ist für die berstenden Gefühle, die sprachlosen Wünsche und Ängste. Man nennt Kroetz‘ Personal gern sprachlos. Aber Kroetz war durch die Fleißer-Schule gegangen. Er wusste, wieviel man in einem syntaktisch und semantisch reduzierten Kunst-Bairisch ausdrücken konnte.

Stationen einer Passion

Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht? Vielleicht. Aber sie richtet sich meist gegen die, die ihr Leben lang ohnehin Opfer waren. Die Revolte endet in Selbstzerstörung. Das große Drama ist Kroetz‘ Sache nicht. Er zeigt „Bilder“ und „Szenen“, so die Selbstbeschreibungen seiner frühen Arbeiten, die er wie die Stationen eines Passionswegs aneinanderfügt. Entwicklungen gibt es nicht. Das Leben, das er, im Doppelsinn des Worts, vorführt, steht unter dem Bann des Wiederholungszwangs. Die Stücke spielen hier und heute, aber sie scheinen von einem Verhängnis zu künden, das „ewig“ ist.

Schon ein Klassiker: Franz Xaver Kroetz als Baby Schimmerlos im Showdown mit Mario Adorf als Heinrich Haffenloher, Klebstoff-Fabrikant aus dem Rheinland:

Wo der Mythos herrscht, und sei es auch einer, der seine Ursprünge der Rottach-Egerner Bauernbühne verdankt, gibt es Schuld, aber keine Schuldigen. Das gefiel dem Publikum und der Kritik. Als Kroetz nach Zusammenhängen und benennbaren Kausalitäten zu fragen begann, war er plötzlich nicht mehr Jedermanns Liebling. Er trat in die DKP ein und die großen Bühnen begannen sich zu zieren. Martin Walser teilte in den 1970er Jahren dieses Schicksal, nur war er robuster und verfügte über mehrere Identitäten. Kroetz‘ Volksstück in drei Akten „Mensch Meier“ wurde 1978, Not kennt schließlich kein Gebot, in Brasilien uraufgeführt. Dort gehen freilich die Feinheiten der Sprache unter.

Wie Karin Struck, auch ein Kind der Studentenbewegung, das mit der Zeit seltsame Wege ging, wurde der abtrünnige Kroetz vom Suhrkamp Verlag vor die Tür gesetzt. Dafür setzte er in den 1980er Jahren, er war schließlich bauernbühnenerfahren, sehr erfolgreich seine Karriere als Schauspieler fort. Sein Baby Schimmerlos, dieser zynische Gesellschaftsreporter in Helmut Dietls „Kir Royal“, wurde Teil des Volksunbewussten. Aber auch diverse Auftritte im „Tatort“ oder im „Polizeiruf“ waren nie nur routiniert. Kroetz konnte mit seiner lakonischen Präsenz und seiner Präzsion ganze Filme prägen.

Als Theaterautor war er nach den Tagen des großen Erfolgs nicht wählerisch, sondern experimentierfreudig.Er probierte durch, welches der vielen Genres seinem Ausdruckswillen gerecht werden konnte. Auch vor der Oper schreckte er nicht zurück. Fast schon ein Avantgardist war er mit seiner heute weit verbreiteten Lust, fremde, auch epische Stoffe fürs Theater zu bearbeiten. Das erste Stück, das von ihm überhaupt (1968 im Münchner Büchner-Theatrer) gespielt wurde, war seine Version von Iwan Gontscharows legendär ereignislosem Roman „Oblomow“. Später bearbeitete er Büchners „Woyzeck“, diese zur haltlosen Passion sich verdichtende Studie eines beschädigten Lebens und Ferdinand Raimunds Zaubermärchen „Der Bauer als Millionär“. Von den zahlreichen Ehrungen, die ihm zuteil wurden, war derMarieluise-Fleißer-Preisdes Jahres 2007 die logischste, die Wahl zum Pfeifenraucher des Jahres 1999 vielleicht die ihm gemäßeste.

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