Interview
Es geht um Verantwortung, nicht Schuld

Deutsch ist bei jungen Israelis beliebt. Warum, erklärt Wolf Iro, Leiter des Goethe Instituts Israel, der Autorin Jana Wolf.

09.01.2016 | Stand 09.01.2016, 11:00 Uhr

Wolf Iro leitet seit eineinhalb Jahren das Goethe Institut Israel mit Standorten in Tel Aviv und Jerusalem. Foto: Jana Wolf

Sprechen Sie selbst Hebräisch?

Ich lerne die Sprache jetzt relativ konsequent. Das gehört für mich dazu, wenn ich in einem Land arbeite. Ich bin inzwischen auch nicht mehr ganz jungfräulich, was die Sprache angeht.

Im Goethe Institut bieten Sie neben dem Kulturprogramm auch Deutschkurse an. Wie ist die Nachfrage?

In den vergangenen fünf Jahren ist die Nachfrage um 20 Prozent gestiegen. 2014 hatten wir zum ersten Mal über 2000 Kursteilnehmer, was gemessen an unseren Kapazitäten sehr viel ist. Vor 30 Jahren war Deutsch in Israel noch eine sehr stigmatisierte Sprache, die öffentlich nicht gesprochen werden konnte. Das ist jetzt überhaupt nicht mehr der Fall. 2015 ging die Nachfrage zurück. Zum einen hat der Berlin-Hype nachgelassen – der war 2012/2013 am größten. Zum anderen wird die Flüchtlingsfrage stark diskutiert, mit der die Angst vor wachsendem Antisemitismus einhergeht. Aber an der Grundsituation ändert das nichts. Deutsch ist eine Sprache, die nicht mehr stigmatisiert wird.

Woher kommt der Hype?

Viele junge Israelis wollen in Deutschland studieren, weil dort das Studium kostenlos ist. Oder sie lernen Deutsch, um sich ihre eigene Geschichte wieder zurückzuerobern – „Reclaiming History“. Viele haben eine unmittelbare Beziehung zu dem Land, egal ob man die Sprache nun spricht oder nicht. Man möchte die Familiengeschichte aus den Händen der Nazis entwinden und sich die eigene Geschichte nicht nehmen lassen – mit all dem Pathos, das damit verbunden ist.

Und warum Berlin?

Das Besondere an Berlin ist, dass sich die Israelis dort nicht kategorisiert fühlen. In Israel ist man entweder links oder rechts, orthodox oder säkular, aschkenasischer Jude (Bezeichnung für europäische Juden, Anm. d. Red.) oder Mizrachim (orientalische Juden). Du bist hier nie neutral. In Berlin bist du einfach nur ein in Berlin lebender Ausländer. Berlin hat eine Toleranz, die es Neuankömmlingen leicht macht. Es ist zudem eine vergleichsweise billige Metropole, auch das spielt eine Rolle.

„Das Besondere an Berlin ist, dass sich die Israelis dort nicht kategorisiert fühlen.“Wolf Iro, Leiter des Goethe Instituts Israel

2015 war das 50. Jubiläum der deutsch-israelischen diplomatischen Beziehungen. Gab es dazu ein besonderes Programm?

Die 50-jährigen diplomatischen Beziehungen spielen für uns als Goethe-Institut erst mal keine große Rolle, denn das ist ja ein politischer Anlass. Aber wir haben begleitend das Kulturprogramm gemacht. Dabei gab es keine inhaltlichen Vorgaben. Das Goethe-Institut ist eine sogenannte Mittlerorganisation, aber inhaltlich nicht weisungsgebunden, auch wenn wir das Geld etwa zu zwei Dritteln vom Auswärtigen Amt bekommen. Andere Kulturinstitute sind häufig viel enger mit dem Geldgeber verbunden, zum Beispiel die Alliance française oder das British Council. Das Goethe Institut hat einen anderen Ansatz: Erstens die Unabhängigkeit vom Auswärtigen Amt und zweitens der starke Fokus auf das einzelne Institut. Wenn die Zentrale anderer Meinung ist als das Institut vor Ort, dann hat das einzelne Institut immer das letzte Wort. Das macht das Goethe Institut stark, weil es damit wirklich vor Ort agiert und mit den Szenen verbunden ist.

Verbundenheit beinhaltet auch Kritikfähigkeit. Wie weit kann man da als Deutscher in Israel gehen?

Klar muss sich jeder Deutsche, der hier arbeitet, gerade in offizieller Funktion, des besonderen Verhältnisses bewusst sein, aus dem eine Verantwortung erwächst. Man spricht mittlerweile nicht mehr von Schuld – völlig logisch, weil es nicht mehr die Generation ist, die im Dritten Reich agierte. Ich bin 1970 geboren. Aber ich bin auch der Meinung, dass der Begriff der Verantwortung häufig zu leicht über die Lippen kommt. Ich meine, man muss beides sein: kritisch und empathisch. Das halte ich für sehr wichtig. Wenn sie sich manche Politikerreden anhören, die in den letzten 50 Jahren gehalten wurden, dann sind die beides nicht. Man kann sich leicht in einer Routine einrichten, in der man nicht viel falsch machen kann. Aber eigentlich geht es darum, aus einer empathischen Position heraus Israel gegenüber auch kritisch zu sein.

„Ich meine, man muss Israel gegenüber beides sein: kritisch und empathisch.“Wolf Iro, Leiter des Goethe Instituts Israel

Würden Sie in der Öffentlichkeit Kritik an der israelischen Politik äußern?

Wir arbeiten mit Partnern und konzipieren Projekte als Reaktion auf gewisse Umstände. Diese Projekte haben in vielen Fällen kritischen Charakter. Eines heißt zum Beispiel „Respekt – Comics gegen Fremdenfeindlichkeit“. Wir lassen also das Projekt sprechen, nicht die einzelne Person. Wenn ich als Leiter des Goethe Instituts eine politische Position abgebe, könnte diese Meinung mit der Position des Instituts verwechselt werden. Das möchte ich natürlich verhindern. Nichtsdestotrotz setze ich mich mit der politischen Situation in Israel auseinander. Wir sind als Akteur in der hiesigen Kulturszene auch dazu aufgefordert, Raum für Diskussionen zu schaffen.

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