Exklusiv-Interview
Klimaforscher Latif: Wir sind bei Klimaerwärmung auf Kurs in Richtung drei Grad

18.07.2022 | Stand 15.09.2023, 4:20 Uhr
sder Klimaforscher und Meteorologe Professor Mojib Latif, Präsident der Akademie der Wissenschaften in Hamburg −Foto: Ulrich Perrey. dpa

Das Ziel, die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen, könne nicht mehr erreicht werden, warnt der Klimaforscher und Meteorologe Professor Mojib Latif, Präsident der Akademie der Wissenschaften in Hamburg, im Interview der Mediengruppe Bayern (Montags-Ausgabe Passauer Neue Presse, Donaukurier, Mittelbayerische Zeitung).



„Die 1,5 Grad werden wir nicht mehr erreichen. Das muss man klar sagen“, betonte Latif: „Mit dem heutigen Ausstoß an Treibhausgasen werden wir diese Marke schon in knapp zehn Jahren reißen.“ Vermutlich werde man nicht einmal 2 Grad schaffen. Seine Prognose ist dramatisch: „Nimmt man das, was die Politik weltweit derzeit macht, sind wir eher auf dem Kurs drei Grad.“

„Wir nähern uns dem Punkt, an dem man sich eingestehen muss: Die Zeit ist abgelaufen“

Aktuell sei die Welt schon bei gut einem Grad Erwärmung angekommen, sagt er mit Verweis auf die Auswirkungen an, die sich jetzt mit der Hitzewelle und Extremwetterlagen schon zeigen. „Drei Grad wären eine Katastrophe.“ Es gebe scheinbar immer Wichtigeres als den Umweltschutz, beklagt der Klimaforscher. „Weltweit betrachtet haben wir in den letzten Jahrzehnten das Klimaproblem praktisch ignoriert“, sagt Latif. Die internationale Politik habe auf der ganzen Linie versagt, trotz Paris und anderer Konferenzen. Sein trauriges Resümee: „Wir nähern uns dem Punkt, an dem man sich eingestehen muss: Die Zeit ist abgelaufen.“

Wert von Klimakonferenzen wie den Petersberger Klimadialog „darf man nicht überschätzen“

Zum Petersberger Klimadialog, der am Montag startet, äußerte sich Latif ernüchternd: „Den Wert solcher Konferenzen darf man nicht überschätzen. Im Herbst haben wir inzwischen die 27. Weltklimakonferenz. Und was ist das Resultat all dieser Treffen? Der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen ist explodiert.“ Dennoch hätten sie zumindest den Sinn , die öffentliche Aufmerksamkeit auf den Klimaschutz zu lenken und „eine ,Allianz der Willigen’ zu schmieden, die bei dem Thema weltweit vorangehen und Tempo machen wollen“.

Das Interview im Wortlaut:

Deutschland steht vor einer Hitzewelle, leidet verstärkt unter Dürre und Extremwetterlagen. Ist das die Quittung für Klimaschutz-Versäumnisse?

Mojib Latif:Das ist so, auch wenn eine einzelne Hitzewelle kein Beleg für den Klimawandel und die durch den Menschen verursachte Erderwärmung ist. Aber es geht um die Häufung solcher Ereignisse, die wir erleben. Nehmen wir als Beispiel die heißen Tage, solche mit 30 Grad oder mehr. Wenn man sich das über Jahrzehnte anschaut, ist deren Zunahme offenbar, und vor allem dort, wo es ohnehin schon wärmer ist: Also im Südwesten, dem Westen und im Osten Deutschlands. Im Osten, hatten wir im letzten Jahrzehnt einen Durchschnitt von etwa 20 solcher Hitzetage. Vor wenigen Jahrzehnten war es die Hälfte. Das heißt: Die Erderwärmung wird auch bei uns immer spürbarer.

Die Bundesregierung will einem Gasmangel durch die Reaktivierung von Kohlekraftwerken begegnen. Ist das klimapolitisch vertretbar?

Latif:Nein. Und weltweit betrachtet haben wir in den letzten Jahrzehnten das Klimaproblem praktisch ignoriert. Die internationale Politik hat auf der ganzen Linie versagt, trotz Paris und anderer Konferenzen. Beleg ist, dass der weltweite Treibhausgas-Ausstoß immer weiter steigt, und nur der zählt. Echte grundlegende Erfolge sehe ich keine. Wenn die Politik von solchen spricht, ist das aus wissenschaftlicher Sicht nicht nachzuvollziehen. Wir gehen global immer noch in die falsche Richtung. Der Schritt der Bundesregierung zeigt daher eines: Wir stecken in einer Sackgasse, haben weltweit so gut wie nichts getan und keine Zeit mehr. Damit haben wir auch keine Flexibilität bei der Minderung der Treibhausgase und aktuell nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera – zwischen Kohle und Kernkraft.

Muss man nicht das Ziel, die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen, aufgeben und von einem höheren, noch erreichbaren Wert sprechen?

Latif:Die 1,5 Grad werden wir nicht mehr erreichen. Das muss man klar sagen. Mit dem heutigen Ausstoß an Treibhausgasen werden wir diese Marke schon in knapp zehn Jahren reißen. Selbst zwei Grad sind eine gigantische Herausforderung. Vermutlich werden wir nicht einmal die schaffen. Nimmt man das, was die Politik weltweit derzeit macht, sind wir eher auf dem Kurs drei Grad. Aktuell sind wir schon bei gut einem Grad Erwärmung angekommen. Und schauen Sie sich die Auswirkungen an, die das schon hat an. Drei Grad wären eine Katastrophe.

Drückt momentan der Ukraine-Krieg den Klimaschutz in den Hintergrund?

Latif:Das ist so und ein Muster, das ich seit langem beobachte. Denken Sie an die Ölkrise in den 70ern, die im Grunde schon zeigte, dass wir unsere Energieversorgung auf nachhaltigere Wege umstellen sollten. Doch das ging vorbei und es ging so weiter wie zuvor. Dann kam 2007 ein Moment mit den Nobelpreisen für den früheren US-Vizepräsidenten und Umweltschützer Al Gore und den Weltklimarat, ab dem ich dachte, jetzt bekommt der Klimaschutz einen Schub. Doch wenig später wischte die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise das vom Tisch. So läuft es immer wieder und eben nun mit der Ukraine. Es gibt scheinbar immer Wichtigeres als den Umweltschutz. Doch die ganz großen Aufgaben, bei denen es um die Lebensbedingungen auf der Erde geht, den Klima-, den Arten, den Meeresschutz, die bleiben liegen. Auf diesen Feldern kann man keine Kompromisse mehr schließen. Mit der Natur klappt das nicht. Wir nähern uns dem Punkt, an dem man sich eingestehen muss: Die Zeit ist abgelaufen.

Am Montag steht der Petersberger Klimadialog an. Sind solche Konferenzen mehr als eine Schauveranstaltung?

Latif:Den Wert solcher Konferenzen darf man nicht überschätzen. Im Herbst haben wir inzwischen die 27. Weltklimakonferenz. Und was ist das Resultat all dieser Treffen? Der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen ist explodiert. Zumindest einen Sinn haben sie dennoch: Sie lenken die öffentliche Aufmerksamkeit auf den Klimaschutz. Und sie bieten die Chance, dabei eine ,Allianz der Willigen’ zu schmieden, von Ländern, die bei dem Thema weltweit vorangehen und Tempo machen wollen. Bundeskanzler Olaf Scholz nennt das einen Klima-Club.