Menschen
Ein Literatur-Fan setzt alles aufs Buch

Schon im Namen steckt das Wort Schreiben: Skrabut. Er sollte Priester werden – und eröffnete stattdessen ein Literatur-Café in Regensburg.

15.11.2014 | Stand 16.09.2023, 7:11 Uhr
Helmut Wanner
Unterhaltung, Lesen und Lesung: Peter Skrabut, Gründer des Literaturcafés in der Spiegelgasse 8, verwirklicht seinen Traum. −Foto: altrofoto.de

Nach dem Tod seines Vaters hatte Peter Skrabut beschlossen, Friseur und Schere zu meiden. Seit 20 Jahren wächst das Haupthaar und wallt der Bart. Das gäbe ihm das düstere Aussehen eines Asketen der Ostkirche, wären da nicht sein listig-lustiges Augenzwinkern und sein bayerischer Dialekt.

Skrabut erzählt vom Respekt, dem man Bartträgern entgegenbringe. Aber diese Begründung überzeugt nicht. Wahrscheinlich hat er auf diese Weise versucht, posthum den Wunsch seines Vaters zu erfüllen. Der sah in ihm einen Priester der unierten Kirche der Ukraine. Er wollte ihn zum Studieren nach Rom schicken. Der Sohn weigerte sich körperlich. Er wollte nicht weg und bekam hohes Fieber.

„Peter, und was ist mit der Metrik?“

Ganz in Schwarz, die schwarzen Haare mit Silberstreifen zum Pferdeschwanz zusammengebunden, setzt er sich hinter der Literaten-Kanzel in Pose. Es ist ein ausrangierter Altar einer neuapostolischen Kirche, den er bei eBay ersteigert hat. Peter Skrabut, der Literatur-Pope: In seinem „Literatur-Café“, Spiegelgasse 8, inmitten von 100 000 Büchern, hat er auf geheime Weise auch die zweite Frage seines Vaters beantwortet. Er hat sie nach bald 45 Jahren noch immer im Ohr. „Peter, und was ist mit der Metrik?“

Metrik stand bei dem Bauschlosser nicht für das Versmaß, sondern für das Ganze der Bildung. Wenn Peter Skrabut im Hohen Kreuz als letztes von allen Kindern nach Hause kam und an der Tür zur winzigen Wohnung in der Plattlinger Straße 9 läutete, ließ der Vater auf der Couch seine patriotische Zeitung sinken, die er ständig las und fragte auf Ukrainisch, was denn mit der Metrik sei. 47 Quadratmeter hatte die Wohnung. Und ein Zimmer war am Anfang noch an einen ukrainischen Popen vermietet.

Der Name Skrabut erinnert an Skript, die Schrift. Peter Skrabut wuchs zweisprachig auf. Und er hat auch zwei Seelen in der Brust. „Wann hat das ukrainische Volk, während seiner ganzen Existenz, Schritte unternommen, um zu expandieren und seine Nachbarn zu bedrohen? Nie!“ Seine braunen Augen funkeln.

Die dampfende Tasse im Logo des Literatur-Cafés sieht aus wie eine Fackel auf einem offenen Buch. Der Begriff Literatur-Café ist für ihn kein Marketing-Gag. Das Buch ist Peter Skrabut heilig. Kunststück: Der Nationalheld der Ukraine, Taras Schewtschenko, ist zugleich ihr bedeutendster Lyriker. Skrabuts Mutter stammt aus Czernowitz, der Stadt Paul Celans, Rose Ausländers und Joseph Roths. Die mit 75 Jahren noch junge Mutter des 55-Jährigen heißt Wiorika. Sie lebt in der Wohnung, Plattlingerstraße 9. Immer mal wieder besucht Skrabut mit seiner Mutter den griechisch-katholischen Gottesdienst in Mater Dolorosa.

Kirche und Nation gehören in seiner Familie zusammen. In Peter Skrabuts Literatur-Café wurde schon mal eine Messe gefeiert zum Andenken an die 20 Millionen Opfer des Holodomors 1932/1933. Ein Pope und der ukrainische Konsul waren anwesend. Der Konsul zerfloss in Tränen. „Er hatte Angehörige unter den Hungertoten.“ Skrabut zeigte damals als Einziger in Deutschland 34 Exponate einer New Yorker Ausstellung des Stalinschen Genozids.

Wenn man „Hohes Kreuz, Regensburg“ googelt, kommt heute an Rang 4 „Prostitution“. Hätte es die Suchmaschine schon 1950 und 1960 gegeben, wären die Suchergebnisse Körperverletzung, Einbruch und Diebstahl gewesen. Für den Buben aus dem Hohen Kreuz war es ein langer und steiniger Weg in die Spiegelgasse.

Die Autoren lesen vom Altar

Das Viertel zwischen Zuckerfabrik und Gewehrfabrik, Osthafen und Exerzierplatz war im Nachkriegs-Regensburg ein Schmelztiegel der Völker aus dem Osten. Michael Skrabut ging nach der Arbeit bei Myrta Spenden sammeln für den patriotischen Widerstand. Als Kind hatte er im polnischen Teil der Ukraine aus Protest die polnischen Schulbücher in den Fluss geworfen.

Auch für Peter Skrabut war die deutsche Schule intellektuell nicht besonders anregend. Er war ein Einzelkind. „Ich hatte mir immer eine ältere Schwester gewünscht, die auf einer Bibliotheksleiter steht, einen Bücherstapel im Arm und mir die Welt der Bücher erklärt.“ Stattdessen erlebte Peter Skrabut das Fräulein Seelos.Das aufgeheizte Klima am Hohen Kreuzließ jener überforderten Pädagogin offenbar keine andere Wahl, als sich mit Härte durchzusetzen. Peter Skrabut erinnert sich. „Ich bin ja mit Alexander Haubensak in die Klasse gegangen. Der bekam nahezu wöchentlich den Auftrag, einen neuen Bambusstock vom Geschäft mitzubringen.“

Intellektuell angestupst hat ihn der Nachbarsbub Wasil Wojczenko, heute erfolgreicher Arzt in Freyung-Grafenau. Wojczenko war der erste Ukrainer aus dem Hohen Kreuz, der es ins Gymnasium ans AAG geschafft hatte. „Der hatte in seinem Zimmer fünf Meter Bücher: Kafka, Nostradamus, Marx, Freud und alle Russen von Tschechov bis Tolstoi: Das hab ich alles gelesen, sagte er. Das hat mich damals umgehauen.“ Jetzt hat Peter Skrabut zigmal soviel Meter Buch.

„Mein Literatur-Café ist ein No-Budget-Projekt“, sagt Skrabut. Am Anfang stapelten sich die Bücher auf Bierbänken. Jetzt steht da ein riesiger alter Apotheker-Bibliotheksschrank von Rockhausen und Söhne, gefüllt mit Kostbarkeiten wie Knut Hamsuns „Die Stimme des Lebens“. Der Gemütsmensch hat Probleme mit dem Kreuz und wohl auch Angst, ob er dies alles stemmen kann. Hoffnung gibt ihm, dass die Menschen auf das Wort „Literatur-Café“ richtig abfahren. „Ihre Gesichter leuchten, wenn sie das Wort bloß hören.“ Seine Vorstellung von einem Literatur-Café ist die Einheit von Unterhaltung, Lesen und Lesung.

Peter Schober von der Seidenplantage ist sein Vermieter. „Der beste Vermieter der Welt“, sagt Skrabut. „Er glaubt an mich.“ Auf 100 Quadratmetern im Parterre hat er sein Projekt gestartet. Hier waren Kutschen-Remise und Stall der ehemaligen spanischen Gesandtschaft. Bei den ersten Lesungen moderierte seine Lebensgefährtin Monika Bock, Museums-Fachfrau mit eindrücklichem Leistungsausweis, vom Bibliothekarstuhl. Die Autoren lesen vom neuapostolischen Altar.

Wo Manfred Stubers Bücher leben

Gerade schreibt Monika Bock das Frühjahrsprogramm des Literatur-Cafés. Zu Stubers zehntem Todestag will Peter Skrabut an Manfred Stuber erinnern. Mit einer Hommage. Eine Säule seines Antiquariats ist die Bibliothek des verstorbenen Feuilleton-Redakteurs Manfred Stuber. Er hat säckeweise Dichter-Korrespondenz und über 15 000 Bücher hinterlassen. Wer Tuchfühlung zu diesem großen Literaturversteher aufnehmen will: Hier kann man die Regale sehen, mit denen der MZ-Redakteur Zimmer um Zimmer seiner Wohnung im Stadtosten gefüllt hatte. Darin schmiegen sich Hunderte Erstausgaben deutscher Nachkriegsautoren, handsigniert mit Widmung. Wolfgang Koeppen und Hermann Lenz stehen Rücken an Rücken. Skrabut hat Stuber beim Donaustrudl in der Obermünsterstraße kennengelernt. „Er kam zwei bis drei Mal die Woche, immer vormittags. Wenn er seine Taschenbücher beisammen hatte, winkte er damit. Wieviel? Ich zählte einfach, wie oft er wackelte. Zehn mal Wackeln zehn Euro.“