MZ-Serie
Seine Mission ist Gesundheit für alle

Der Regensburger Physiotherapeut Hubert Brüderlein spricht im Interview über Schmerz, Glück, Fitness und vegetarisches Essen.

04.11.2017 | Stand 16.09.2023, 6:24 Uhr

Hubert Brüderlein hat nicht nur kleine Skelette im Griff, sondern auch große.Foto: Koller

Hubert Brüderlein sieht ein wenig abgekämpft aus. Mehr als vier oder fünf Stunden Schlaf gönnt er sich selten. Der 58-Jährige bringt seinen Sohn und Praktikanten Etienne (20) mit, der mit größter Aufmerksamkeit alles besorgt, was der Papa braucht. Als Brüderlein um Material zu Meniskusverletzungen bittet, holt Etienne fünf Aktenordner aus dem Nebenraum der Praxis, stapelt sie auf dem Tisch und erklärt: „Wir geben immer 100 Prozent.“ Brüderlein selbst springt mehrmals auf, um vorzuführen, wie man die Seite dehnt oder Rückenbelastung ausgleicht.

Herr Brüderlein, Sie kümmern sich tagaus tagein um andere Menschen. Wie halten Sie sich selbst fit?

Für mich als Physiotherapeuten ist Bewegung ein zentrales Thema. Ich laufe regelmäßig am Baggersee, manchmal auch mit unserem Geh- und Lauftreff. Diesen Läufern versuche ich, meine Erfahrungen weiterzugeben. Ihnen wurde geraten, wegen ihrer Rücken-, Knie- oder Hüftbeschwerden nicht mehr zu joggen. Dabei ist die Angst vor Bewegung der Risikofaktor Nummer eins für chronischen Schmerz. Sie schonen sich und das ist gegen das Naturgesetz. Die Evolution hat uns dafür gemacht, pro Tag bis zu 40 Kilometer zu gehen und zu laufen.

Welche Strecke legt der durchschnittliche Deutsche täglich zurück?

Zwei Kilometer. Wir rufen also nur fünf Prozent ab. Wenn die Angst dazukommt, werden Sie noch inaktiver und der Körper baut ab, auch geistig. Deshalb möchte ich die Menschen wieder zur Aktivität animieren.

Zurück zu Ihrer eigenen Fitness.

Ich jogge nicht nur, sondern bewege mich, wann immer es möglich ist. Täglich mache ich Schmerzfrei-Übungen nach Liebscher und Bracht. Das hat mein Leben extrem verbessert. In Gratisvorträgen gebe ich das an meine Patienten weiter. Ich esse gesund.

Wie sieht das aus?

Ich bin seit 20 Jahren Vegetarier, mache aber keine Religion daraus. Ich ernähre mich überwiegend pflanzlich. Aber Sie können noch so gesund essen, es muss auch langsam gehen, mit Genuss und Freude. Wenn ich esse, dann esse ich und tue nichts anderes. Am besten schmeckt mir meine selbst gekochte Gemüsepfanne.

Damals waren Sie als Vegetarier noch Vorreiter, heute ist das ein Trend.

Ich habe das Buch „Fit for Life“ gelesen. Es ging um die Vorzüge der pflanzlichen Kost. Heute sind es ethische Gründe, 98 Prozent der tierischen Eiweiße kommen aus der Massentierhaltung. Wenn man sieht, wie mit unseren Mitgeschöpfen, den Tieren, umgegangen wird – das kann ich nicht mittragen. Als Mitwisser sind Sie auch mitverantwortlich.

Wegen Ihrer Schmerztherapie nach Liebscher und Bracht reisen die Patienten sogar aus dem Ausland an. Sie halten Hunderte Vorträge, sind unermüdlich. Wie begegnen Sie dem Stress?

Meine Einstellung zum Leben spielt eine große Rolle. Ich fühle mich nicht als Opfer, sondern als Schöpfer. Mein Leben kann ich selbst bestimmen. Ich denke nicht in Problemen, sondern in Lösungen. Mein innerer Kompass ist wichtig für mich. Ich habe mich entschieden, ein frei denkender Mensch zu sein. Diese geistige Einstellung hält mich fit und gesund.

Sie behandeln austherapierte Patienten, die keine Hoffnung mehr hegen.

Ja, ich habe mich vor 30 Jahren dafür entschieden. Am häufigsten kommen Menschen mit Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule, mit Nacken- Kopfschmerzen und Migräne. Sehr oft suchen Arthrosepatienten mit Hüft-, Knie- und Schulterproblemen Rat. Sie hätten längst operiert werden sollen und brauchen mit Schmerztherapie nach fünf bis acht Jahren immer noch kein neues Gelenk. Viele Patienten leiden unter unerklärlichen Schmerzen im Bewegungsapparat, obwohl schulmedizinisch alles gemacht wurde.

Auf Ihrer Praxis-Website lassen Sie Kritik an der Schulmedizin durchblicken.

Für mich gibt es nur ganzheitliche Medizin, bei der ich die Schulmedizin genauso brauche wie alternative Heilmethoden. In über 30 Jahren habe ich ein Netzwerk mit Schulmedizinern geknüpft, die hervorragend operieren, denn die brauchen wir. Ein guter Physiotherapeut kennt seine Grenzen, lässt los und schickt den Patienten zum Spezialisten.

Seit Jahren wird in der Öffentlichkeit die Frage diskutiert, ob Orthopäden zu viel operieren.

Es wird definitiv zu viel operiert: an Rücken, Knie und Hüfte. Ein Versuch mit Scheinoperationen in den USA wegen Meniskusverletzungen hat das gezeigt. Die einen wurden wirklich operiert, die anderen erhielten nur einen Schnitt. Bei einer Nachuntersuchung nach zwei Jahren stellte sich heraus, dass es keinen Unterschied gab. Deshalb halte ich im Jahr 50 bis 60 Vorträge, um das den Leuten zu vermitteln. Ich möchte ein Brückenbauer zwischen der westlichen und der alternativen Medizin sein.

Ein Beispiel?

Ein Patient hat ein Meniskusproblem. Ich versuche, ursächlich mit der Schmerztherapie nach Liebscher und Bracht zu behandeln. Der Patient wird angeleitet, zuhause zu üben. Wenn sich die Symptome und Alltagsfunktionen in sechs bis neun Monaten nicht deutlich verbessert haben, schlage ich eine nochmalige Abklärung beim Spezialisten vor. Ich liebe die Schmerztherapie, weil ich zu 90 Prozent sagen kann, das wirkt oder nicht.

Wie kommen Sie runter?

Ganz wichtig ist mir die Meditation nach Dr. Joe Dispenza. Dafür nehme ich mir jeden Tag nach dem Aufstehen eine Dreiviertelstunde. Ich entleere meinen Kopf, indem ich den Fokus auf die Atmung lenke. Wenn ein Problem aus meiner Praxis hochkommt, beobachte ich den Gedanken und lasse ihn wieder gehen. Kämpfe ich dagegen an, wird es ein Fiasko. Nicht opponieren, sondern komponieren, lautet mein Motto. Energie-Übungen aus der asiatischen Medizin, um die Chakren und Meridiane anzuwerfen, folgen.

Der Großteil sitzt im Job. Wie kann man den Rücken trotzdem biegsam halten?

Nach einer halben Stunde Sitzen muss eine Mikropause von 30 bis 60 Sekunden kommen. Wenn Sie länger als eine halbe Stunde sitzen, haben Sie in der Bandscheibe keinen Stoffwechsel mehr und sie verschleißt. Durch die Bewegung kurbeln Sie den Stoffwechsel an. Die Natur ist toll! Viele argumentieren, sie werden aus der Arbeit herausgerissen, aber auch die Gehirnleistung verbessert sich in der Pause. Die Übung: 15 bis 20 Rumpfbeugen nach hinten. Das gilt auch für Fernseh- und Netflixzuschauer.

Was halten Sie vom Fitnessstudio?

Es ist eine Kompensation für unsere schlechte Lebensweise. Ich habe lange an Geräten trainiert, aber das verkürzt die Muskeln. Man muss ausgleichen. Wenn man die Brust beim Bankdrücken trainiert, muss das mit einer Dehnübung ausgeglichen werden.

Mögen Sie Regensburg?

Ich bin dankbar, dass ich in dieser Stadt leben darf. Ich war weltweit unterwegs. Die meisten sagen „Wow, eine der schönsten Städte“. Ich möchte der Stadt etwas zurückgeben, deshalb biete ich im Sommer Bewegung im Stadtpark. Ich stehe auf einem Tisch und mache Übungen vor. Teilweise kommen die Leute von weither.

Vorsätze muss man Ihrer Meinung nach in 72 Stunden verwirklichen, sonst sinkt die Chance der Umsetzung. Welche Vorsätze haben Sie für 2018?

Ich möchte ein Gleichgewicht zwischen Arbeit und Erholung erreichen. Über Jahrzehnte habe ich vier bis viereinhalb Stunden geschlafen und 16 Stunden gearbeitet. Mein Körper gibt mir Zeichen wegen des Schlafdefizits.

Was macht Sie glücklich?

Mein Sohn. Wenn ich sehe, wie er sich entwickelt, bin ich dankbar. Die vielen Rückmeldungen, dass ich Menschen wieder die Tür zu einem besseren Leben öffnen kann, machen mich glücklich und schenken mir Kraft.

Alle Teile unserer MZ-Serie „Reden über Gott und die Welt mit...“ lesen Sie hier!