Naturkundemuseum
Zweimal Stieglitz und ganz viel Kunst

Der Stieglitz ist Vogel des Jahres. Das reizt Wolfgang Stieglitz, der auch ein bunter Vogel ist. Er zwitschert Künstlern was.

22.09.2016 | Stand 16.09.2023, 6:47 Uhr
Heinz Klein

Eines von 250 Exponaten: Der Stieglitz als Powermalerei von Walter Bauer Foto: Klein

Es gibt in Regensburg etwa 250 ortstreu lebende Stieglitze, aber Stieglitze auf zwei Beinen gibt es nur zwei. Einer davon ist Wolfgang Stieglitz und der macht gerade seinem Namen alle Ehre. In eineinhalb Jahren trug er alles zusammen, was es an Kunst rund um den Stieglitz gibt und initiierte viel neue Kunst um diesen bunten Vogel.

Das fiel dem pensionierten Lehrer nicht schwer, schließlich leitete er 20 Jahre lang die Galerie Profil in Cham. An die 200 Ausstellungen hat er in dieser Zeit organisiert und dabei viele Künstler aus Ostbayern und darüber hinaus als Freunde gewonnen. Denen flötete er ausdauernd in die Ohren, sich künstlerisch mit diesem Vogel zu befassen. Auf diese Weise entstand eine Ausstellung mit 250 Exponaten, die ein begeisterter Bürgermeister Jürgen Huber bei der Vernissage im Naturkundemuseum als „sensationell“ lobte. Sie weckt zur Freude von Museumsleiter Dr. Hansjörg Wunderer bereits Begehrlichkeiten bei anderen Museen.

Der Stieglitz oder auch Distelfink war im Mittelalter Stammgast auf vielen Gemälden der alten Meister. Auf Raffaels berühmter „Madonna mit Stieglitz“ übergibt ein Knabe dem kleinen Jesuskind einen Stieglitz, den Dornenvogel, als Ankündigung für seinen Opfertod am Kreuz.

Ein Blutspritzer überm Schnabel?

Und schließlich soll der Distelfink, so sagt die Überlieferung, dem gekreuzigten Jesus Dornen aus der Kopfhaut gezupft haben, um seinen Schmerz zu lindern. Dabei bekam er einen Blutspritzer überm Schnabel ab – den roten Gesichtsfleck, den er seitdem trägt.

Raffaels berühmtes Gemälde ist natürlich nur als Repro in der Stieglitz-Sammlung vorhanden, doch ansonsten befinden sich fast alle der 250 Exponate im Besitz des rührigen Sammlers. Der bat an die hundert Künstler, den Stieglitz auch in der neuen Kunst wieder auftauchen zu lassen und initiierte so das Comeback des Distelfinks in Aquarellen, Ölgemälden, Radierungen, Drucken, Zeichnungen und als Skulpturen.

So flatterte der Stieglitz auch auf manches bereits vorhandene Gemälde, beispielsweise auf das Obst-Gemüse-Stillleben von Emil Kerstein. Sogar die „drei großen Malerfürsten“ der Region, Manfred Sillner, Paul Schinner und Günter Dollhopf hat Wolfgang Stieglitz zur künsterlischen Auseinandersetzung mit seinem Lieblingsvogel gewinnen können.

Gottvater übersah den Stieglitz

Auch in einer Comiczeichnung taucht der Stieglitz auf. Erzählt wird die zweite, alttestamentarische Beziehung des Distelfinks zu Gott. Gottvater hatte demnach bei der Schöpfung alle Vögel mit dem Farbpinsel geschmückt und nur einen übersehen. Es war der Stieglitz, der ganz bescheiden im Eck saß und noch immer farblos war. So kratzte der Schöpfer noch alle Farbreste zusammen und bemalte damit den Stieglitz, der nun ein schwarz-rot-weißes Gesicht, einen hellbraunen Rücken, eine gelbe Flügelbinde, schwarze Flügelspitzen und einen weißen Bauch bekam. Das Comic hat mit geübter Hand übrigens Daniel Stieglitz gezeichnet, ein als Zeichner, Regisseur und Autor arbeitender Sohn unseres Kunstsammlers.

Wie der Stieglitz, so darf sich auch Wolfgang Stieglitz als bunter Vogel fühlen. Die Liebe zur Kunst muss ihm schon in die Wiege gelegt worden sein. Als zehnjähriger Pimpf stürmte der kleine Amberger schon die Buchläden und kaufte Kunstbücher. Das Geld dafür verdiente er sich unter anderem beim Blaubeerzupfen.

Die Liebe zur Farbe blau ist geblieben. Dazu mag er natürlich das Stieglitzrot, eine Farbe, die er auch politisch attraktiv findet. Ansonsten liebt Wolfgang Stieglitz Rotwein und Spaghetti mit roter Soße (mit Meeresfrüchten drin), die Rolling Stones, Johnny Cash und Joan Baez. Was er gar nicht mag sind Flugzeuge. „Ich bin der einzige Stieglitz, der nicht fliegt“, grinst Wolfgang Stieglitz.

Der 68-jährige gehört zu den Menschen, die offenbar schier unendliche Energien besitzen. Er ist ständig in Bewegung und flitzt von einem Bild zum anderen. Man müsste diesen Stieglitz wahrscheinlich mit einer Belichtungszeit von einer Tausendstel Sekunde fotografieren, um ihn ganz scharf zu bekommen, was bei den Lichtverhältnissen im Naturkundemuseum aber unmöglich ist.

Herr Stieglitz ist kein Macho

Was zum Stieglitz aus der Biologie zu sagen ist, das erzählt der Ornithologe und Museumsleiter Dr. Hansjörg Wunderer. Der bunte, nicht einmal 20 Gramm schwere Federball macht mit seinem tiglit-tiglit-Gesang von sich hören. Die Stieglitze sind sehr soziale Vögel, die oft im Schwarm vorkommen und kaum revierbestimmend sind.

Es sind zudem die einzigen Vogelpaare, bei denen Männchen und Weibchen so gut wie gleich aussehen. Und dann dürfen die Weibchen sogar noch selbst singen, was bei den Singvögeln eine ziemliche Ausnahme ist (allerdings singen sie ein bisschen leiser als die Männchen). Ein Paradebeispiel an Emanzipation also. Übrigens, so fällt es Wolfgang Stieglitz ein, liegt bei der versammelten Kunst der Frauenanteil der Künstler bei respektablen 40 Prozent.

Und noch einmal zur Biologie: Stieglitze fressen mit Vorliebe Samen und am liebsten Distelsamen. Daran aber hapert es immer mehr, denn wo dürfen heutzutage noch Disteln wachsen? Höchstens auf Brachflächen und Ödland, doch das gibt es in der Stadt kaum mehr. Deshalb gibt es auch nicht mehr viele Stieglitze. 122 Brutpaare hat man in Regensburg jüngst noch gezählt, weiß Hansjörg Wunderer. Anfang der 80er Jahre waren es geschätzt noch bis zu 800.

Die beeindruckende Sonderausstellung ist im Naturkundemuseum noch bis 30. Oktober zu sehen und wird dann auf Reisen gehen.Das Naturkundemuseum Erfurt hat sie bereits für 2017 eingeplant und auch das Heineanum in Halberstadt zeigt Interesse. Dieses Naturkundemuseum ist mit über 34 000 Exponaten zur Vogelwelt und einer Fachbibliothek mit knapp 22 000 Bänden eine der feinsten Adressen für Ornithologen in Deutschland. Wolfgang Stieglitz ist natürlich gerne bereit, mit seiner Sammlung auf Reisen zu gehen und sie auch noch zu erweitern – „wenn was reinkommt“, sagt er. Sein Traum wäre es, die Stieglitz-Sammlung zu einem Bildband zu machen. Gespräche dazu laufen.