Menschen
Ballett-Tänzer erlebte Tattoo-Premiere

Fabian Costa tanzte in „Le Cage aux Folles“ die Odette. Zu seinem Bühnenjubiläum ließ er sich die Steinerne Brücke stechen.

04.08.2016 | Stand 16.09.2023, 6:44 Uhr
Helmut Wanner
Letztes Abendmahl: Der Chef Tonco Serdarusic, der Klient Fabian Moreira Costa, der Künstler, Goran Loncar und das Team −Foto: altrofoto.de

Vorhang auf im „First Class Tattoo“-Studio in der Obermünsterstraße. Hier werden an diesem Vormittag des 3. August Dramen geschrieben – auf purer Haut.

Der junge Münchner Simon liegt auf dem Bauch und lässt sich auf den entblößten rechten Unterschenkel die Landkarte von Bayern in weißblauen Rauten einstechen. „Ich wandere nach Kanada aus und will ein Stück Heimat mitnehmen“, sagt der junge bärtige Bayer. Dieser Satz mit Heimat trifft dich unvorbereitet, wie etwas Großes, Fremdes, das dir an die Gurgel fährt und die Augen feucht machen will. Aber es geht noch weiter.

„Jetzt bin ich schon zehn Jahre in Regensburg. Das ist meine Heimat“Fabian Mareira Costa

Auf der Liege daneben liegt dieser athletische Brasilianer, der sich in die Unterseite des rechten Oberarms die Steinerne Brücke tinten lässt. Mit allen Bögen und dem Dom von Regensburg. Warum tut er das? „Jetzt bin ich schon zehn Jahre in Regensburg. Das ist meine Heimat.“ Fabian Mareira Costa ist Ensemble-Mitglied des Stadttheaters. Er tanzte die Odette in „Le Cage aux folles“. Über der bizarren Szene schwebt das letzte Abendmahl in Öl. Die Bühne am Eck Pfarrergasse, Obermünstergasse zeigt, wie Fabian Costa sagt, „meine Premiere, mein erstes Tattoo“.

Costa vertraut dabei der Kunst von Goran Loncar. Goran ist einer von einem halben Dutzend Künstler. „Not the best“, sagt der 52-Jährige über sich, aber mit dem buntesten Leben. 1964 in Deutschland geboren, 35 Jahre in USA, sechs Jahre in Herzegowina und seit mehr als vier Jahren in Regensburg.

Er wollte bei Tonco Serdarusic, dem Inhaber von „First Tattoo“, Material für sein Tattoostudio in Herzegowina einkaufen. Da behielt ihn „Tonco“ (sprich: Tontscho) gleich hier. Quer über seinen Hals hat der Tätowierer die Namen seiner Frau Nikolina eintätowiert. Diese Liebe ist für ewig.

„Sieben Mal gefallen ...

Goran ist Spezialist für die kleinen, schnellen Dinge. „500 Schrifts“, sagt er, macht er im Jahr. „Ich schreibe, was mir angeschafft wird.“ Eine Frau ließ sich quer übers Dekolleté den Satz tätowieren: „Sieben Mal gefallen, acht Mal aufgestanden.“ Ein anderer Kunde hatte Pech. Der Zwei-Meter-Mann ließ sich entlang seiner gesamten Seite in großen Buchstaben einschreiben: ANNA. „Seine Freundin wollte es so groß. Ein viertel Jahr danach kam er wieder. Mit einer anderen Frau.“

Unsere Beziehungen, unsere Verletzungen, unsere Siege, machen uns zu einzigartigen Menschen. Die einen stecken sie weg wie in eine Kiste, die anderen tragen sie auf der Haut. Immer mehr Menschen gestalten sich als Kunstwerk auf zwei Beinen. Dafür zahlen sie Beträge zwischen 60 und 7000 Euro. Das ist die Preisspanne. Bei Namen-Tattoos empfiehlt Tonco Serdarusic: „Nur Kinder und Hunde.“ Beziehungen hielten heutzutage nicht ewig und nicht einmal seines Geschlechts sei man sich heute sicher.

Er selbst hat Hals und Kopf und Hände frei gehalten. Aber (er hebt sein T-Shirt) „Franziska“ steht breit über den gesamten Bauch. Es ist der Name seiner ersten Tochter. Tonco ist Vater von drei. Der Mann ernährt sie mit einem exotischen Job, den die Handwerkskammer nicht als Lehrberuf anerkennt.

Aber Tonco ist ein bodenständiger Mensch. Er liebt Bayern wie seine Heimat Kroatien. Sein Studio ist seine Kirche. Aus dem Schaufenster blickt mild die Madonna von Lourdes. An jede Wand hat er einen Herrgottswinkel gezaubert. So richtig mit Kreuz und Korpus und den gerahmten Schwarzweißbildern von Jesus und seiner Mutter Maria, so wie man es in den Bauernstuben des Freilichtmuseums Neusath-Perschen noch bewundern kann. Das Schwert, das der Muttergottes durchs Herz fährt, schaut aus wie ein Tattoo aus seiner Maschine. „Das Motiv wird auch oft nachgefragt.“

Ein Team wie eine Familie

Während das Team leise und konzentriert am lebenden Objekt arbeitet, läuft „here comes the fire“, entspannte Reggae-Musik vom läuternden Feuer. Die Künstler Markus Scheuerer, Andreas Stutika, Ivan Eror, Goran Loncar und Tonco arbeiten bei geöffneten Fenstern wie eine Familie. „Musst du auch sein, sonst geht das nicht“, sagt Goran. „Wir arbeiten neun, zehn Stunden täglich, sechsmal die Woche.“

Denn das Geschäft im ehemaligen „Grünen Kranz“ boomt. Toncos Landsmann Goran sagt, dass er in all den Jahren in den Vereinigten Staaten kein Geschäft gesehen hat, das populärer wäre als das „First Tattoo“. Der Chef weiß das. „Das First Class ist eines der ältesten Studios in Deutschland. Sein Gründer Klaus Zimmer, den wir alle den Schwager nannten, war weltberühmt in der Szene.“ In die Brandlberger Straße kam die Kundschaft von weit her, um sich nachts und unerkannt unter die Tintennadel zu legen. Längst ist das Studio von der Peripherie ins Herz der Altstadt gewandert, es ist in der Stadtgesellschaft angekommen. Dort hängt das Bild des Schwagers im Herrgottswinkel. Er starb nach einem tragischen Unfall. Tonco hat den Laden übernommen.

Der Kroate hat die perfekte bayerischen Zunge und eine Vita wie ein Paradiesvogel. Als Mitglied der berühmten Savage Skull hatte er einst bei Pater Emmeram Unterschlupf gefunden. Ein Fotoband von Stefan Hanke hat das dokumentiert. Tonco erinnert sich, dass er ihn einmal nachts an den Almer Weiher fuhr. „Pater Emmeram wollte baden.“ Für Leute wie Fürstin Gloria hat der gelernte Automechaniker „Harleys“ aufgemotzt. Seit langem hat er die Branche gewechselt. Das boomende Tattoo-Geschäft ist für Tonco nichts weniger als das Ergebnis der Evolution.