Soziales
Mehr als 16 000 Regensburger sind pleite

Neuer Schulden-Atlas liefert alarmierende Zahlen. Jeder Zehnte kann seine Rechnungen nicht begleichen. Gefährdet: Senioren.

10.12.2016 | Stand 16.09.2023, 6:35 Uhr
Wenn sich Betroffene nicht mehr aus der Schuldenfalle befreien können, hilft nur die Privatinsolvenz. −Foto: dpa

In der reichen Donaustadt steigt die Zahl der Privatleute, die pleite sind. Laut Schulden-Atlas 2016 von Creditreform können 10,12 Prozent ihre Rechnungen oder Kredite nicht mehr bezahlen, das sind bei 163 857 Einwohnern – Stand Dezember – beinahe 16 600 Menschen. Dabei herrscht in der Stadt Vollbeschäftigung, es gibt fast so viele Jobs wie Einwohner. Fünf Jahre zuvor, 2011, lag die Verschuldungsquote bei 9,5 Prozent.

Tiefrote Zahlen in der Altstadt

Schreiner Hans B. ist ein Betroffener. Er war 20 Jahre angestellt. Als der Betrieb dichtmachte, verlor der Endfünfziger den Job.

Wegen des knappen Geldes gerieten er und seine Frau häufig in Streit, die Scheidung folgte. Banken und Inkassofirmen verlangten Geld für Kredite, die er nicht mehr zurückzahlen konnte. Der Gerichtsvollzieher stand vor der Tür. Hans B. suchte Hilfe bei der Caritas.

Diese und die Diakonie beraten Klienten, denen das Wasser bis zum Hals steht. 600 Betroffenen im Jahr helfen allein Alfred Damberger von der Caritas und seine Kollegen.

Die Studie von Creditreform zeigt, dass die Altstadt mit durchschnittlich zwölf bis knapp 14 Prozent das am massivsten überschuldete Viertel ist. Finanziell sehr schlecht geht es dort Männern im Alter zwischen 60 und 69 Jahren. Beinahe 18 Prozent sind pleite, darunter Rentner mit geringen Altersbezügen. Bei den 50- bis 59-Jährigen sind es 16,8 Prozent.

Die Altstadt fiel schon im Armutsbericht der Stadt von 2011 auf. Berater Damberger weiß von Hausbesuchen, dass es im Zentrum noch billigen Wohnraum in unsanierten Altbauten gibt. Dort lebten – oft ältere – Leute mit Niedrigeinkünften, Migranten, Arbeitslose. RegensburgerSenioren sind häufiger von Armut betroffenals die in vergleichbaren Großstädten. Der Armutsbericht bezifferte das Prokopf-Nettoeinkommen im Zentrum laut Damberger auf 970 bis unter 1310 Euro. Prokurist Heinz Gärtner von der Creditreform Regensburg bestätigt, besonders die 60- bis 69-jährigen Rentner oder „frühzeitig Freigesetzten“ kämpften mit Überschuldung. Wenn die Wohnung saniert und verteuert werde, kommen sie nicht über die Runden.

Trennung kann den Ruin bringen

Der Wirtschaftsdienstleister Creditreform nennt fünf Gründe für Überschuldung: Der häufigste ist Jobverlust. Krankheit, Sucht, Unfall rangieren auf Platz zwei, unwirtschaftliche Haushaltsführung auf Rang drei. Gescheiterte Selbstständigkeit treibt Menschen in die Pleite. Trennung oder ein Todesfall können den finanziellen Ruin bedeuten. Viele der Ratsuchenden bei der Caritas beziehen Niedriglöhne oder haben den Job verloren. Alfred Damberger sagt: „Die planen etwas und denken, sie können den Kredit bezahlen, auf einmal werden sie arbeitslos oder ihr Einkommen sinkt nach der Scheidung.“

Wie sieht es in den Stadtteilen außerhalb des Zentrums aus? Auf Pump leben viele Bewohner des weniger gut situierten Nordens mit Konradsiedlung, Wutzlhofen, einigen Teilen Sallerns, Gallingkofen sowie des Südostens, vom Galgenberg bis zum Kasernenviertel. Heinz Gärtner erklärt, dort seien mehr Arbeiter und Migranten zu Hause. Überraschend: Auch die als gut situiert geltenden Stadtteile Oberisling und Graß mit ihren Neubauten stehen nicht besser da. In all diesen Quartieren sind elf bis knapp zwölf Prozent zahlungsunfähig. Gärtner führt das bei Oberisling und Graß auf wachsende Zuzüge zurück, „die nicht der traditionellen Bewohnerschaft entsprechen“.

Zumindest für den Schreiner Hans B. gibt es Hoffnung. Er hat mit Hilfe der Caritas eine sechsjährige Privatinsolvenz mit strengen Auflagen durchlaufen und ist schuldenfrei. Jetzt läutet kein Gerichtsvollzieher mehr.