Totenkult
Ein Abschied wird zum Stadtgespräch

Eine Beerdigung mit einem Meer von Blumen und Gestecken sorgt auf dem Oberen Katholischen Friedhof für Aufsehen.

27.03.2015 | Stand 16.09.2023, 7:10 Uhr
Helmut Wanner
„Du bist nicht mehr da, wo du warst. Aber du bist überall, wo wir sind.“ Der letzte Gruß an die Verstorbene. Stirbt ein Angehöriger der Sinti, so ist er nicht vergessen. −Foto: Christian Sauerer

Was eine Gesellschaft im Innersten zusammenhält, offenbart sich auch durch ihre Bestattungskultur. Grabreihen bekommen Lücken. Die Urnennischen wachsen. Die Menschen drängen auch im Tod zur Anonymität.

Und dann dies: Auf dem Oberen Katholischen Friedhof hat man so einen „pompe funèbre“ noch nicht gesehen. Vor einer Gruft im Ostteil des Friedhofs stehen mannshohe Herzgestecke aus Rosen und Reseda. Sie wurden von auswärts mit dem Lkw angeliefert und blieben noch Wochen stehen. Eine ganze Allee an aufwendigen Blumengestecken säumte den Weg zur Gruft einer Familie, in der eine Frau in mittleren Jahren aus Niederbayern jetzt zur letzten Ruhe gebettet wurde – in einem Sarg de Luxe vom Typ „San Francisco“. Nach Schätzungen von Experten muss die Beerdigung ein Vermögen gekostet haben.

„Werte, die früher üblich waren“

Es war eine Sinti-Beerdigung. Wer liegt hier? Zu den persönlichen Umständen gibt es keine Auskunft. „Tod ist ein Tabuthema bei Sinti und Roma. Wir bewahren Werte, die früher in der deutschen Mehrheitsgesellschaft üblich waren“, sagt auch Jacques Delfeld, Referatsleiter im Dokumentations- und Kulturzentrum deutscher Sinti und Roma, Heidelberg.

Jüngere Sinti und Roma würden sich nie erlauben, ihre Senioren zu duzen. Wie einzelne Vertreter des Adels in Deutschland gebrauchen sie bei der Anrede die dritte Person. Jacques Delfeld erklärt das mit einem Beispiel: „Wenn jetzt ein älterer Herr zur Türe hereinkäme, würde ich ihn begrüßen und fragen, wie geht es Euch, Onkel.“

Die Zahl der in Deutschland lebenden Sinti ist nicht genau anzugeben. Ungefähr 100 000 Menschen dürften es sein. „Sie sind zu 100 Prozent sesshaft“, sagt Jacques Delfeld. Darunter seien berühmte und sehr berühmte Menschen aus Literatur, Kunst und Sport. „Aber ich oute sie nicht, wenn sie es nicht selber tun“, sagt Delfeld. Viele Sinti und Roma verbergen ihre Identität. Sich als Sinti zu bekennen, bringe keine Vorteile in Deutschland.

Von Marianne Rosenberg („Du gehörst zu mir“) wurde jetzt zu ihrem 60. Geburtstag bekannt, dass sie aus einer von den Nazis verfolgten Sinti-Familie stammt. „Marmor, Stein und Eisen“-Sänger Drafi Deutscher (1946 bis 2006) war ein Roma. Fußball-Nationalspieler Andrea Pirlo bekannte sich selbst dazu. Weitere bekannte Sinti und Roma sind die Schauspieler Yul Brynner (1920 bis 1985), Pola Negri (1897 bis 1987), die Musiker Ron Wood (1947, Rolling Stones), Manitas de Plata (1921) und Django Reinhard (1910 bis 1953).

Die Stunde der Blumenkünstlerin

Bei allem Familiensinn: Eine Beerdigung wie auf dem Oberen Katholischen Friedhof ist auch unter Sintis nicht alltäglich. „Ich könnte mir das nicht leisten“, sagt der Referatsleiter beim Doku-Zentrum in Heidelberg auf Nachfrage.

Die Blumenkünstlerin Georgeta Röhrle aus Binswangen bei Augsburg allerdings scheint öfter von Sintis beauftragt zu werden. Sie ist gut beschäftigt, ohne groß Werbung machen zu müssen. „Ich arbeite seit 15 Jahren hauptsächlich für Sinti“, sagt die Trägerin des Bayerischen Staatspreises und Meisterin der Blumenkunst auf Anfrage. „Pro Woche mache ich 40 bis 50 Gestecke dieser Art. Ich bin in der ganzen Bundesrepublik unterwegs. In Wuppertal, Berlin und Dinkelsbühl.“

Für Circus Barelli fertigt sie gerade ein Grabmonument aus Blumen an, mit aufsteigenden Pferden und einem Elefanten, der über allem thront. „Eine Schau, das müssten Sie gesehen haben.“ Georgeta Röhrle ist ein Fan der Beerdigungs- und Familienkultur der Sinti und Roma. Von ihnen könne man sich was abschauen, ist sie überzeugt. „Die haben eine Achtung vor den alten Menschen. Die schieben keinen ab.“