MZ-Serie
Die Königin der Münchner Boheme

Sie war Schauspielerin, Schlagersängerin, Goldschmiedin und Wirtin. Heute häkelt Petra Perle gerne Mützchen.

13.07.2016 | Stand 16.09.2023, 6:49 Uhr
Katja Meyer-Tien
In ihrem Wolllädchen „Hot Wollée“ in München sitzt sie gerne und häkelt vor sich hin: Petra Perle. −Foto: kmt

Das Fahrrad ist ein echter Hingucker. Immer wieder bleiben Leute stehen, staunen und machen Fotos von dem Gefährt mit den drei Rädern, dem großen Korb und den vielen bunten, selbst gehäkelten Verzierungen. Petra Perle beobachtet das Treiben durch das Fenster ihres Ladens hindurch, dann springt sie auf: „Da muss noch der Marterpfahl drauf, dann sieht es noch besser aus!“

Der mannshohe Marterpfahl, den Petra Perle dann in den Korb des Fahrrads hievt, ist ebenfalls gehäkelt. Voller Fantasie, sperrig, farbenfroh, witzig und nicht auf den ersten Blick ganz zu erfassen: Fast so wie Petra Perle selber. Die setzt sich nach getaner Arbeit wieder in ihren Sessel in ihrem kleinen Wolllädchen „Hot Wollée“, schnappt sich ein halbfertiges blau-weiß gemustertes Babymützchen und häkelt weiter, während sie mit ihren Gästen plaudert. Die Künstlerin, die in ihrem Leben so oft mit ihren Ideen für Wirbel und Schlagzeilen gesorgt hat, die Goldschmiedin war und Schlagersängerin, Schauspielerin und Gastwirtin, die mal für den Bundestag kandidiert hat und mal für den Münchner Stadtrat, ist zur Ruhe gekommen. Oder scheint das nur so?

Geboren wurde sie Anfang der 1960er Jahre in München, die Gegend rund um den Viktualienmarkt war ihr Spielplatz, das Glockenbachviertel immer schon ihr Zuhause.

Schon ganz früh lernte sie von ihrer Mutter das Stricken und Häkeln. Mit 14 begann sie ihre Ausbildung in der väterlichen Goldschmiedewerkstatt. Immer schon war ihr klar, dass sie etwas Handwerkliches machen wollte. „Handwerk ist etwas ganz tolles, damit kann man sich seine tägliche Portion Lob immer selber holen.“ Sie heiratete, heißt seither mit bürgerlichem Namen Karin Kümpfel, bekam zwei Söhne.

Mit 30 Jahren dann die Wende in ihrem Leben, die erste. Sie hatte genug vom Goldschmieden. Es gab keine Herausforderung mehr, sagt sie, nichts mehr zu erreichen. Und außerdem sei Goldschmieden ein sehr einsamer Beruf. Die junge Frau entfloh der Einsamkeit, nannte sich Petra Perle und kleidete sich ganz in Pink.

Zum „Wahren Grand Prix“ geladen

1992 bewarb sie sich beim Eurovision Song Contest mit einem Lied, das sie während ihrer zweiten Schwangerschaft geschrieben hatte: „Ich bekomme ein Baby, bald sind wir zu dritt, und du bekommst eins mit!“, trällert sie da. Und wurde nicht einmal zum Vorentscheid zugelassen, weshalb sie kurzerhand gemeinsam mit einigen Mitstreitern ein Jahr später in München zum „Wahren Grand Prix“ lud. Eine Veranstaltung, die in den kommenden Jahren den Schlager deutschlandweit aufrütteln sollte, und Petra Perle, von der „Zeit“ damals als Münchner „Königin der Boheme“ betitelt, war mittendrin.

Die Bewegung hatte ihr Ziel erreicht, als 1998 Guildo Horn beim Eurovision Song Contest für Deutschland sang. Es war das Jahrzehnt, in dem Petra Perle bundesweit sang und schillerte, schauspielerte, ein Buch veröffentlichte und sich sogar der Politik zuwandte: Mit der von ihr gegründeten Partei „Hausfrau 2000“ holte sie bei der Bundestagswahl 1998 als Direktkandidatin im Wahlbezirk München Mitte 0,5 Prozent der Stimmen.

Ein politischer Mensch

Alles nur Spaß? „Ich bin schon ein politischer Mensch“, sagt Petra Perle heute. Sie will etwas bewegen, aber eben anders als andere. Auch heute noch würde sie vieles gerne ändern, ein menschenwürdigeres Leben für Senioren möglich machen, mehr Mitsprache der Menschen bei politischen Entscheidungen, und vor allem: weniger Einfluss „von dem Scheißdrecksgeld“. 2014 ist sie als Stadtratskandidatin der Wählergruppe Hut angetreten. Die aber hat sie auch enttäuscht. Neulich, bei der Wahl zur Sozialreferentin im Münchner Stadtrat, haben zwei Stadträte aus Spaß oder Frustration „Petra Perle“ auf ihre Stimmzettel geschrieben, sie weiß bis heute nicht, was sie davon halten soll. Es zeigt aber, wie präsent sie bis heute ist.

Um die Jahrtausendwende zog sie sich zurück aus der Welt des Schlagers, 2004 begann sie wieder etwas ganz Neues: Sie wurde Wirtin des Turmstüberls im Valentin-Musäum. Bewirtete Gäste, führte sie durch das Museum und überraschte nebenbei immer wieder. Protestierte meckernd gegen eine Veranstaltung von Scientology, entwarf eine echte Steuererklärung auf einem Bierdeckel, rief 2011 das Münchner Brunnenfest ins Leben.

Rückzug in den Schrebergarten

Irgendwas war immer los, bis sie 2012 die Wirtschaft abgab, sich zurückzog, ins Private, in ihr Schrebergärtchen. Und dann in dem kleinen Wollladen wieder auftauchte, den es schon seit Jahrzehnten in der Münchner Müllerstraße gibt, und der ohne sie wohl hätte dichtmachen müssen.

Für Petra Perle schließt sich hier ein Kreis: Sie arbeitet wieder mit ihren Händen, in ihrem München, unter ihren Menschen, die im Minutentakt durch die immer offene Tür hineinschauen, auf ein paar Worte, Tipps, ein Schwätzchen. Petra Perle ist da, hilft, hört zu, erzählt, schwärmt von Geduld, Entspannung und Selbstvertrauen, das die Handarbeit den Menschen gebe. Wenn ein Rock mal nichts werde, dann könne man immer noch einen Kissenbezug daraus machen. Oder ein Blümchen über den Fehler nähen. „Das täte überhaupt gut“, sinnt sie weiter, während sie an dem Babymützchen häkelt, „wenn so mancher Blümchen über seine Fehler häkeln würde.“

Sie selber würde nicht viel anders machen in ihrem Leben. Sich vielleicht selber früher mehr zutrauen, die Jugend mehr genießen, nicht zu viel auf andere hören, Träume verwirklichen. Aber: „Es ist gut so wie es jetzt ist.“ In etwa acht Jahren will Petra Perle das Wollgeschäft wieder verkaufen. Und etwas anderes ausprobieren.

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