Serie
Die kostbarste Zutat ist die Zeit

Unterwegs mit den Lebzeltern der Bäckerei Rosner: Die Firma sorgt für köstliches Gebäck und gutes Betriebsklima – nicht nur in der Schokoliermaschine.

11.12.2013 | Stand 16.09.2023, 7:21 Uhr
Reinhold Willfurth

Klaus Zielinski (r.) und Wolfgang Neumann schütten Mandeln in den Kochkessel. Foto: Gabi Schönberger

Der Herbstnebel hat Waldsassen in Watte gepackt – in Zuckerwatte mit einem Hauch weihnachtlicher Gewürze, dem Duft nach zu urteilen, der durch die Straßen des Städtchens zieht.

Produziert wird dieser betörende Duft in einer nüchternen Halle in einem ernüchternden Gewerbegebiet am Rande der Innenstadt. Ein paar Maschinen und viele fleißige Hände schaffen dort von September bis Dezember weihnachtliche Gefühle, verpackt in diskusartige Kuchen mit zehn Zentimetern Durchmesser, geadelt von prominenten Genießern und exportiert in alle Welt. Immer der Nase lang also zur „Gläsernen Lebkuchenmanufaktur“ der Bäckerei Rosner in Waldsassen (Kreis Tirschenreuth).

Es ist kurz nach neun Uhr, und für Klaus Zielinski ist der Arbeitstag fast vorbei. Mit der Würde eines in Ehren ergrauten Bäckergesellen schrubbt er bedächtig seine Kessel und Tiegel, bereitet Maschinen und Gerät auf den nächsten Tag vor. Im Hintergrund geht es geschäftig zu. Die 10 000 Lebkuchen, die Zielinski heute morgen aus einem der beiden mannsgroßen Öfen geholt hat, müssen mit Mandeln verziert, mit Schokolade überzogen, in Zellophan verpackt und in Schachteln gepackt werden.

Klaus Zielinski könnte sich eigentlich in aller Ruhe zurücklehnen. Schließlich ist der Seniorchef im Rentenalter, und seine Idee war der Grundstein für die Manufaktur, in der bis zu 35 Menschen den Hunger nach Lebkuchen aus Waldsassen stillen. Dabei waren die Lebzelten zunächst nur eine Art Notlösung.

Zielinski, Bäcker- und Konditormeister aus dem Schwarzwald, war auf Wanderschaft, als er 1969 in Waldsassen seine spätere Frau Maria Rosner kennenlernte und nach der Heirat die seit 1757 bestehende Bäckerei übernahm. „Beim Tortenbacken braucht man viel Eigelb und wenig Eiweiß“, sagt er. Auf der Suche nach einem Verwendungszweck für das überschüssige Eiweiß sei er auf ein altes Rezeptbuch für Lebkuchen gestoßen. Seitdem ist zu befürchten, dass sich das Missverhältnis von Eiweiß zu Eigelb im Hause Rosner umgedreht hat. Denn bald sprach sich herum, dass diese Lebkuchen aus Waldsassen besonders köstlich sind.

Geadelt durch Fürstin Gloria

Zu dieser Erkenntnis war auch die Regensburger Fürstin Mariae Gloria von Thurn und Taxis gelangt. Und als sie 1988 in der längst verblichenen TV-Sendung „Leo’s Magazin“ die Rosnerschen Lebkuchen schlicht zu den „besten der Welt“ adelte, wurde die Welt darauf aufmerksam. „Da brach in der Familie Rosner das Chaos aus“, erinnert sich Juniorchef Wolfgang Neumann an den Bestellboom, der über Nacht über den Familienbetrieb hereinbrach. Neumann ist eigentlich Ingenieur für Holztechnik. Seinen Job in der Autobranche gab er 2001 mit fliegenden Fahnen zugunsten der heimischen Lebküchnerei auf. „Wir Oberpfälzer haben so tolle Dinge zu bieten, bloß lassen wir’s die Menschen nicht immer wissen“, erklärt er seine Begeisterung für das heimische Handwerk.

Zusammen mit seiner Frau, der Zielinski-Tochter und Konditormeisterin Karin Neumann, hat er die Manufaktur gebaut. „So haben wir als kleine Bäckerei eine Chance gegen die Großen“, sagt Neumann, „und eines unserer vier Kinder kann den Betrieb einmal übernehmen“. Seit 2006 gibt es in der 7000-Einwohner-Stadt Waldsassen nur mehr eine einzige selbstständige Bäckerei. „Als wir erklärten, dass die Manufaktur nur drei Monate im Jahr in Betrieb sein wird, haben die von der Bank schön geschaut“, sagt Neumann. Die Kreditgeber sind längst beruhigt: „Die Hälfte unseres Jahresumsatzes machen wir in dieser Zeit“.

Da kann es freilich hektisch zugehen. Die Rosnerschen Lebkuchen werden nicht wie die Nürnberger Konkurrenz Monate im voraus gebacken, sondern es wird – wie in der Autoindustrie – „just in time“, also möglichst kurz vor der Hauptsaison um Weihnachten, gebacken. Um das Rezept macht man in Waldsassen kein großes Gewese. Es sind die üblichen Zutaten, allerdings ohne chemische Hilfsmittel. Das Geheimnis besteht aber darin, dass sich die Lebzelter trotz des Zeitdrucks Zeit lassen – drei volle Tage von der ersten Vorbereitung bis zur Verpackung. Am ersten Tag erhitzt der Seniorchef Nüsse, Mandeln, Zitronat, Orangeat und Zucker in einem großen Kochkessel. Über Nacht kühlt die heiße Masse ab. An Tag zwei kommen Gewürze und die Triebmittel Hirschhornsalz und Ammonium dazu. Die „Lebkuchendressiermaschine“ streicht die Masse auf die Oblaten. Dann dürfen sich die Rohlinge noch einmal einen Tag im Trockenraum ausruhen. Erst am nächsten Tag werden sie dann 18 Minuten bei 180 Grad gebacken.

„Man geht gern in die Arbeit“

Brigitte Heindl und Monika Neumann lassen sich nicht aus der Ruhe bringen. Vier Wägen à 20 Bleche mit jeweils 35 frisch gebackenen Lebkuchen stehen vor der stets gut temperierten Schokoliermaschine. Neumann legt die Küchlein aufs Band. Mit einem Schlosserhammer zertrümmert sie regelmäßig eine Tafel Schoko-Konvertüre und füttert die Maschine damit. Auf der anderen Seite steht Brigitte Heindl und legt die frisch überzogenen Lebkuchen behutsam auf ein Blech. Seit acht Jahren ist Heindl Lebzelterin. Ihr Urteil zum Betriebsklima hier: „Man geht gern in die Arbeit“. Zusammen mit ihren Kolleginnen sorgt sie dafür, dass die Rosner-Lebkuchen auch das Prädikat „handgemacht“ verdienen. Naschen ist nicht nur erlaubt, sondern sogar notwendig: „Einmal haben wir ein Gewürz vergessen. Durch Naschen wurde das Gottseidank sofort entdeckt“, sagt Wolfgang Neumann. Er weiß, dass er auf seine Frauen zählen kann.

Weggeworfen wird bei Rosner nichts. Der „Ausschuss“ wird sorgfältig aufgehoben. Die Lebkuchen und andere Leckereien mit ihren winzigen Fehlern bekommen die Gäste der Gläsernen Manufaktur – als kleinen Vorgeschmack auf das, was sie im angeschlossenen Verkaufsraum erwartet.