Kirche
Gibt es das Wunder von Konnersreuth?

15.09.2012 | Stand 16.09.2023, 7:25 Uhr
Harald Raab
Für die einen ist Therese Neumann schon jetzt eine Heilige, andere halten sie für eine religiöse Hysterikerin. −Foto: dpa

Wenigstens das ist unstrittig: Therese Neumann, die Resl von Konnersreuth, starb am 18. September – vor 50 Jahren. 4000 Menschen kamen zur Beerdigung in den kleinen Oberpfälzer Ort. Ein Nachrichtenmagazin titelte damals despektierlich: „Das Wunder von Konnersreuth starb an einem Herzinfarkt, dem Leiden der Manager.“ Bestätigt ist die Todesursache von einem Arzt. Die Resl-Verehrerinnen konnten das so nicht hinnehmen. Sie wollten auch hier göttliches Ausnahmewalten am Werk sehen. Von einer Konnersreutherin ist folgende Beschreibung der aufgebahrten, mit blumengeschmückten Toten, überliefert: „Jeden Tag bin i reingangen und hab reingschaut. Am ersten Tag war sie tot. Am zweiten scho nimma. Hab i gedacht, i hab mi getäuscht. Am dritten Tag bin i erschrocken, bin i hoam ganga, hab zu meim Mo gsagt, geh mal mit nauf zur Resl, die schaugt ganz anders aus. Samma raufganga, sagt er: Tatsächlich! Und am vierten Tag hatt’s ausgschaugt, als wenn’s bloß die Augen aufmachen braucht: rosig anghaucht. I hätt’s net beerdigt.“

Heilige oder Hysterikerin?

Für die einen ist Therese Neumann längst eine Heilige, die viele Wunder gewirkt, ein heiligmäßiges Leben geführt und über 30 Jahre als Nahrung nur den Leib Christi, die Hostie, empfangen haben soll. Am Karfreitag – so beschwören ihre Anhänger – pflegten sich Wundmale an ihren Händen und Füßen zu zeigen. Blut fließe aus ihren Augen. Sie soll in ihren ekstatischen Phasen Aramäisch, die Sprache Jesu, gesprochen haben. Für die anderen ist sie eine religiöse Hysterikerin, wenn nicht gar eine Schwindlerin, die bewusst die Menschen getäuscht und die Gutgläubigkeit vieler Katholiken und so mancher Kleriker ausgenutzt habe.

Die Bischöfe Michael Buchberger, Rudolf Graber und Manfred Müller hatten abgelehnt, einen Seligsprechungsprozess einzuleiten. Erst Bischof Gerhard Ludwig Müller, jetzt Präfekt der Glaubenskongregation in Rom, hat diesen 2005 in Gang gesetzt.

Resls Lebens- und Leidensweg ist hinlänglich beschrieben, von Verehrern, aber auch von ihren Gegnern. Rom wird jetzt zu entscheiden haben, wem Glauben zu schenken ist. Domvikar Georg Schwager, zuständig für das Seligsprechungsverfahren im Regensburger Ordinariat, bestätigt, dass es viel zu prüfen gebe. Unverschämt sei allerdings die Behauptung der Gegner, das Blut ihrer Stigmatisierung sei Menstruationsblut.

Die Resl-Gläubige und Schriftstellerin Luise Rinser war von ihr fasziniert. Die Resl habe die leicht skeptische Klugheit einer Bäuerin, die fähig sei, in fremden Herzen zu lesen, und die ihre Stigmen mit einer ruhigen Selbstverständlichkeit trage. Sie sei voll konzentriert auf den Heiland. Der Lemberger Erzbischof Josef Teodorwicz verfasste gar eine mystisch unterfütterte Biografie der Oberpfälzerin.

Bekanntheit weit über deutsche Grenzen hinaus, das wurde 1898 der Schneiderstochter Therese an der Wiege nicht gesungen. Sie war das erste von elf Kindern. Sie musste sich mit 14 Jahren als Magd verdingen. Als es 1918 auf dem Hof ihres Bauern brannte, half sie beim Löschen. Sie fiel beim Schleppen der schweren Wassereimer hin, verletzte sich wohl am Rückgrat, war von da an ein Pflegefall.

Gespräche mit Verstorbenen

Es kam zu Lähmungen, zeitweiliger Blindheit und Taubheit. Ein Jahr später diagnostizierte der Waldsassener Sanitätsrat Dr. Seidl „schwere Hysterie“. Resl behauptete, sie leide stellvertretend für andere. Sie könne deren Gebrechen auf sich nehmen. Sie lud sich die quälenden Kopfschmerzen ihres Bruders, den Rheumatismus ihres Pfarrers und ihres Vaters auf. Die anderen waren geheilt.

Die Resl behauptete auch, dass sie mit dem Jenseits in Verbindung stehe. Leute suchten sie auf, um durch sie von himmlischer Instanz Rat in schwierigen Lebenssituationen zu erlangen. Sie unterhielt sich mit den Seelen Verstorbener, die im Fegefeuer schmorten. In einer ihrer Ekstasen will sie auch beim Tod Papst Pius XII. dabei gewesen sein. Sie habe gesehen, wie sich die Seele vom Leib trennte, begleitet vom Schutzengel Jesus gegenübertrat und entschwebte.

Als ein junger Kooperator das Wundergeschehen anzweifelte, wurde er schnell versetzt. Der junge Priester soll von einer Nichte der Resl informiert worden sein, dass sich neben dem Zimmer der Leidenden eine Kammer befinde, in der Speisen aufbewahrt wurden. Auch habe sie die Tante einmal beim Essen überrascht. Einer medizinischen Untersuchung in einem Krankenhaus hat sich Resl stets widersetzt. Es liegen aber Urinproben vor. Nach diesen müsste sie Nahrung zu sich genommen haben.

Inspiration für den NS-Widerstand

Im September 1927 reiste der Journalist Fritz Gerlich aus München an, um „den Schwindel von Konnersreuth“ aufzudecken. Die Begegnung mit der tiefgläubigen „Resl“ beeindruckte den Freigeist jedoch so nachhaltig, dass er katholisch wurde und die Glaubwürdigkeit der Stigmatisierten in vielen Artikeln verteidigte.

Nicht nur Gerlich erfuhr nach der Begegnung mit der außergewöhnlichen Frau eine innere Wandlung. Vor dem heraufziehenden Nationalsozialismus versammelte die einfach gebildete Schneiderstochter Anfang der 1930er Jahre einen Kreis Intellektueller um sich, die sich dem Faschismus mutig entgegenstellten.

Zum „Konnersreuther Kreis“ zählte neben Gerlich auch der Widerstandskämpfer und Kapuzinermönch Ingbert Naab, der, von Neumann ermuntert, unermüdlich vor den Nazis warnte. Auch Edith Stein gehörte dazu, die wegen ihrer jüdischen Abstammung 1942 in Auschwitz ermordet wurde. Gerlich, der in seiner Zeitung „Der gerade Weg“ unerschrocken gegen die braune Gefahr schrieb, war bereits 1934 von der SS im KZ Dachau umgebracht worden.

Heute ist es ruhig geworden in Konnersreuth. Es gibt keinen Kitsch-Laden und keine billigen „Resl-Devotionalien“. Nur auf ausdrücklichen Wunsch holt die Nichte, die einen kleinen Schreibwarenladen gegenüber der Kirche betreibt, einen hölzernen Rosenkranz hervor, der Christus am Kreuz so zeigt, wie ihn die „Resl“ während ihrer Passionen gesehen haben will. Die Konnersreuther wollen keine Frömmelei, um den Seligsprechungsprozess nicht zu stören. Dafür ist ihnen ihre „Resl“ viel zu heilig.