Bühne
Ein Ort des Nachdenkens über die Welt

Das Junge Theater startet mit einem Stück über Demenz in die Saison. Die neue Leiterin Eva Veiders hat die Spielzeit unter das Thema „Vorurteile“ gestellt.

13.09.2012 | Stand 16.09.2023, 7:25 Uhr
Claudia Bockholt

Eva Veiders macht junges Theater für Regensburg. Foto: Hammerich

Vorurteile gegenüber Regensburg, kann es die geben? Da wohnen Bayern, die man manchmal schwer versteht. Aber sonst? Clara Fischer, neue Pressesprecherin des Theaters Regensburg, hat sich deshalb gewundert, als das Magazin der Süddeutschen Zeitung in einem Artikel über Eltern, die mit ihren Kindern überfordert sind, ausgerechnet in zwei Regensburger Familien hineinleuchtete. Also doch nicht alles nur proper und Puppenstube im schönen, gutbürgerlichen Welterbe?

Vorurteile – positive wie negative – sind so eine Sache. Auch Eva Veiders, die neue Leiterin des Jungen Theaters, hatte ein paar Vorstellungen und Ideen von der Stadt und vom neuen Arbeitsplatz im Gepäck, als sie - die zuvor nur in Norddeutschland längerfristige berufliche Stationen hatte – an die Donau kam. Und hat das, was wir über die anderen - und die anderen über uns – zu wissen glauben, gleich zum Leitthema der ersten Spielzeit gemacht.

Manchmal muss Veiders nachfragen, wenn sie mit einem waschechten Bayern redet. Ihre Erfahrung mit Vorurteilen: „Man lernt, dass man sich mit etwas beschäftigen muss, wenn man es kennenlernen will“. Das gilt natürlich auch für das Theater. Für die Dramaturgen und Regisseure, die wissen sollten, welche Themen die Jugend umtreiben. Das gilt auch für die Jugend, die öfter mal reingeguckt haben sollte, bevor sie Theater als langweilig oder gar als Fortsetzung von Schule mit anderen Mitteln abtut.

Der große Hamlet oder keiner

Letzteres ist mit Eva Veiders sowieso nicht drin. Die zierliche Frau mit den Wuschellocken bekommt da einen recht resoluten Ausdruck: „Ich mag es nicht, wenn einem die Message, die Verwertbarkeit für den Unterricht entgegenbrüllt“. Was sie außerdem nicht mag, ist das Herunterbrechen von Bühnenklassikern auf die junge Zielgruppe. Klare Ansage: Entweder man inszeniert den echten „Hamlet“ so, dass auch junges Publikum ihn versteht, oder man lässt es bleiben. Bloß keine „kindgerechte“ Adaption.

Eva Veiders will Geschichten erzählen, die über bloße Unterhaltung hinausgehen. Was nur unterhält, sagt sie, „das läuft ins Leere“. Für sie ist Theater im Idealfall ein Ort zum Nachdenken über die Welt, ein Ort des Austauschs, „wo man seine Ansichten ausprobieren kann“. Um möglichst viele junge Menschen zu erreichen, geht sie in die Stadt. So steht zum Beispiel Ende Oktober im W1, dem Zentrum für junge Kultur in der Weingasse, ein inszenierter Lyrikabend für die Altersgruppe 15+ auf dem Spielplan: „Dead End – Die besten Todestexte aller Zeiten“. Ein knallig-ironischer Titel für ein dunkles Thema, das Heranwachsende nicht erst seit Goethes Werther beschäftigt. Christina Seck spielt Texte von Hans Arp, Ernst Jandl über Goethe und Schiller bis hin zu Christoph Schlingensief. Stefan Cordes und Timo Wiesemann unterstützen die Protagonistin als lebendiges Bühnenbild. Ein Abend, der das sperrige Thema kaleidoskopartig und auch, aber nicht nur, mit Witz beleuchtet.

Lyrik und Musik auf neuen Bühnen

In Braunschweig, wo Veiders bis 2010 das Junge Schauspiel leitete, und schon zuvor hat sie neue Formate entwickelt, die Lyrik auf die Bühne bringen und Philosophie mit Schauspiel verbinden. Veiders will junge Leute nicht nur abholen, sondern anziehen. In Braunschweig inszenierte sie einen Liederabend unter dem (Tocotronic-Titel „Ich will Teil einer Jugendbewegung sein“. Anhand von Wandervogelliedern, FDJ-Hymnen, pazifistischem Folk, Beat- und Punksongs sowie aktueller Musik warf sie Fragen auf nach Gemeinschaftsgefühl und Ideologien, nach vom Staat verordneter Zugehörigkeit und dem Aufgehen in der Masse. „Eine Erzählung, die sich immer weiter auffächerte“, sagt sie. Man kam ins Gespräch, diskutierte, z. B. auch mit den als Hooligans verschrienen Ultras. „Es hat Spaß gemacht.“

Denkanstöße für die ganz Kleinen liefert auch bereits das allererste Stück der Spielzeit, das am Sonntag Premiere hat. Yvonne Klamant, vorher Ensemblemitglied und jetzt „Gast“ in Regensburg, spielt „Die Geschichte vom Fuchs, der den Verstand verlor“. Der alte Fuchs ist schusselig geworden, kann sich nicht mehr alles merken. Ihm passieren immer mehr dumme Sachen. Es geht um Demenz. „Viele Kinder erleben das früher oder später in der Familie“, sagt die Regisseurin. Das Stück erklärt, was Demenz bedeutet, und vor allem, dass sie mit einer gewissen Selbstverständlichkeit zum Leben dazugehört. Was selbst Erwachsene nicht immer begreifen, wird Kindern mittels einer schönen Geschichte nahegebracht. Gleichzeitig ist es ein Generationenstück. Die kleinen Füchse kapieren, dass der einst bewunderte alte Fuchs jetzt ihre Unterstützung braucht. Denn dass Kinder so etwas noch nicht können, ist auch nur so ein Vorurteil.