Als „Die Sünderin“ verboten wurde

60 Jahre „Freiwillige Selbstkontrolle“ in Deutschland. Ihre Geschichte zeigt auch den Wertewandel unserer Gesellschaft.

28.09.2009 | Stand 16.09.2023, 21:08 Uhr
Harald Raab

Wiesbaden.Heute kann sich jeder Jugendliche den Film „Die Sünderin“ (Regie Willi Forst, Drehbuch Georg Marischka, Musik Theo Mackeben) ansehen. Er wird die schemenhafte Sicht auf ein bisschen Blöße der Hildegard Knef eher langweilig finden. Die Freiwillige Selbstkontrolle (FSK) der Filmwirtschaft hat „Die Sünderin“ inzwischen ab zwölf freigegeben.

Die FSK ist jetzt 60 Jahre alt geworden. In ihrer Geschichte spiegelt sich die Prüderie, aber auch die wachsende Freizügigkeit der deutschen Gesellschaft eins zu eins wider. 1951, als „Die Sünderin“ mit einer Freigabe ab 18 Jahren in die Kinos kam, war ein Skandal fällig. In Regensburg ließ der CSU-OB Georg Zitzler die Vorstellungen in den heute nicht mehr existierenden Kammerlichtspielen verbieten.

Priester warfen Stinkbomben

Als die neugierigen Regensburger dennoch in den Kinosaal strömten, ließ er ihn von der Polizei räumen. Es kam anschließend zu Straßenprotesten, gegen die Stadtpolizisten mit vorgehaltenem Gewehr eingesetzt wurden. Angeblich soll der Oberbürgermeister auch erwogen haben, einen Schießbefehl zu erteilen. Nur der besonnene Polizeidirektor habe ihn davor zurückgehalten.

Die junge Bundesrepublik hatte ihr Aufregerthema. Nicht nur in Regensburg erhitzten sich die Gemüter. Der Erzbischof von Köln, Kardinal Joseph Frings, ließ einen Hirtenbrief los. Die Kirche verweigerte eine weitere Mitarbeit in den Gremien der FSK. Priester warfen Stinkbomben in Kinos und Politiker verurteilten „Die Sünderin“ auf Flugblättern. Originalton: „Die Sünderin – ein Faustschlag ins Gesicht jeder anständigen deutschen Frau! Hurerei und Selbstmord! Sollen das die Ideale eines Volkes sein?“

Selbst harmlose Filme wie „Ben Hur“ oder „Menschen im Hotel“ stellten damals eine Gefährdung der Moral dar und wurden von der FSK der Jugend vorenthalten. Großskandal Nr. 2 war fällig, als Ingmar Bergmans „Das Schweigen“ 1963 in die deutschen Kinos kam. Die FSK hatte inzwischen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1954 gelernt: Die Freiheit des Films ist als Kunstwerk nach Artikel 5 des Grundgesetzes geschützt. Die Prüfer gaben Bergmans Geschichte von der Tristesse zweier Frauen und eines Knaben in einem Hotel trotz Kopulations- und Masturbationsszenen als Kunstwerk ohne Schnittauflagen frei, der Film bekam das Prädikat „Besonders wertvoll“. Wieder marschierte die katholische Kirche an der Spitze der Moralhüter.

Wiesbaden.Auch Regensburg schwamm ganz oben auf der Empörungswelle. Bürgermeister Sigmund Silbereisen (CSU) gründete eine Regionalgruppe der katholisch grundierten Initiative „Die Saubere Leinwand“, damit es sittenstreng zugehe auf dem Vorführlaken.

Doch die Libertinage war nicht mehr aufzuhalten. Das beste Beispiel dafür ist der Film „Im Laufe der Zeit“ von Wim Wenders. Als er 1976 der FSK vorgelegt wurde, bekam er wegen einer angedeuteten onanistischen Bewegung die Freigabe erst ab 18. In Neufassungen durchlief der Streifen die Freigabestufen 16 und 12 Jahre. Vor drei Jahren wurde „Im Lauf der Zeit“ in der DVD-Fassung ab 6 freigegeben.

Das prüde Frauenbild von 1949

Christiane von Wahlert, die Geschäftsführerin der FSK in Wiesbaden, kommentiert den Wertewandel, der in der veränderten Praxis ihrer Institution zum Ausdruck kommt: „Unsere Gesellschaft ist toleranter geworden. Wir waren eine verklemmte, postfaschistische Gesellschaft mit einem prüden Frauenbild und einem heldenhaft verklärten Männerbild. Wir waren 1949 eine ziemlich darniederliegende Gesellschaft. Davon haben wir uns, Gott sei Dank, erholt.“

In der FSK sind Personen aus allen gesellschaftlichen Schichten und Altersgruppen ehrenamtlich tätig. In Siebenergruppen werden die Filme angesehen, diskutiert und bewertet. Die Mehrheit entscheidet, oft genug mit vier zu drei Stimmen. So sei im vergangenen Jahr auch der Film „Der Baader-Meinhof-Komplex“ trotz seiner äußerst brutalen Szenen ab 12 Jahren freigegeben worden. Man wollte ihn wegen seines „zeitgeschichtlichen Aufklärungspotenzials auch für Mittelstufenschüler zugänglich machen.