Glaube
Weltuntergang gibt’s jetzt auf dem Tablet

Die Zeugen Jehovas steigen aufs Internet um. Damit ziehen sie Konsequenzen aus den Erfahrungen auf Regensburgs Straßen, Plätzen und an Haustüren.

19.07.2014 | Stand 16.09.2023, 7:18 Uhr
Helmut Wanner
„Wir haben da ein kleines Video für Sie…“ Die Verkündigung der Zeugen Jehovas, hier vor dem Alexcenter, nutzt die neusten Formen. −Foto: altrofoto.de

Für Trendforscher lohnte es sich, einen vorurteilsfreien Blick auf die Arbeit der Zeugen Jehovas zu werfen. Was deren Vollzeitprediger in den 1,8 Milliarden ehrenamtlich erbrachten Predigtstunden pro Jahr weltweit an den Haustüren der Dörfer und Städte erleben, wäre eine wertvolle Feldforschung. Zeugen Jehovas sind lebende Wachtürme des Wandels an Straßen, Plätzen und vor Haustüren. Sie zeigen die schleichende Veränderungen in der Gesellschaft an.

Jürgen Breedlove ist als Vollzeitprediger 70 Stunden pro Monat von Haustür zu Haustür unterwegs. Der IT-Techniker bei Conti Regensburg fasst in Stichpunkten seine Erfahrungen beim Feierabend-Predigen zusammen: Die Zuwanderung wird immer stärker; Jugendliche lesen kaum noch Gedrucktes („Wachturm lesen? Was soll ich damit?“); die Menschen haben keine Zeit, sie sind nur noch am Rudern, um finanziell über die Runden zu kommen; die Menschen sind gegenüber dem Glauben gleichgültig wie nie zuvor. Immer weniger ziehen bei Fragen des Lebens die Bibel zu Rate. Breedlove zitiert dazu aus dem Alten Testament Hosea 4,1: „Es ist keine Gotteserkenntnis im Land.“

„Wachturm“ im Umfang halbiert

Die Zeugen Jehovas haben nun weltweit daraus die Konsequenzen gezogen. Seit Januar 2013 wird der „Wachturm“ in Selters (Taunus) mit erhöhter Auflage (46 Millionen) und reduziertem Inhalt gedruckt. Der interaktive Jugendteil ist komplett ins Internet gewandert. Der Umfang halbierte sich von 32 auf 16 Seiten.

„Bei den Deutschen musst du sofort auf den Punkt kommen. Da tickt die Uhr rückwärts. Das Tablet ist hier gut, weil es ein neues Medium ist und Neugierde weckt.“ Seit einem Vierteljahr steigen die Prediger sukzessive auf Tablets um. Jeder Fünfte hat schon einen tragbaren Bildschirm in der Tasche. Sponsoren gibt’s keine. „Das ist eine persönliche Sache, das schafft sich jeder selbst an“, sagt Jürgen Breedlove.

Zwar werden bekannte Landmarken wie Wachturm-Mann Manfred Arlt (seit 1960 an der Maxstraße) oder Andreas Esbach (über 30 Jahre vorm Alex-Center) stehen bleiben. Alte Bäume verpflanzt man nicht. Auch der Laufkundschaft würde etwas fehlen, wenn sie sich nicht mehr an den alten Eichen reiben könnten. „Na, heute wieder Weltuntergang im Angebot?“

Aber an der Haustüre zücken die Prediger jetzt nicht immer erstmal ihren „Wachtturm“. Sie zeigen ein kleines Faltblatt, haben ein Tablet einsatzbereit und die Gesprächseinstiege ändern sich: „Angst und Sorgen – hört das nie auf? Was glauben Sie? Wollen Sie wissen, was die Bibel dazu sagt? Ich hab heute mal ein kleines Video mitgebracht. Wenn Sie drei Minuten Zeit haben?“

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Sind Jugendliche an der Haustüre, können sie sich über den QR-Code (QR steht für Quick Response, schnelle Antwort) auf dem Faltblatt gleich die entsprechende Internetseite zum Thema auf JWO (jw.org) aufs Smartphone laden. Für Kinder gibt es kleine Zeichentrickfilme zu allen relevanten Themen. Für Schulen wurden Whiteboards mit Tipps gegen Mobbing ins Netz gestellt („Stopp den Mobber, ohne selbst zu mobben“).

Auch der Ton ändert sich. Früher wurde an der Türe gestritten, Zeugen Jehovas wurden rausgeschmissen, weil sie die Dreifaltigkeit ablehnen. Heute kämpfen sie mehr mit der gähnenden Gleichgültigkeit.

Das liegt zum Teil an der Arbeit der Sektenbeauftragten der beiden großen Kirchen. Heute sind die Zeugen Jehovas bei der Sektenberatung „kein Thema mehr“, wurde der MZ kürzlich auf Anfrage bestätigt. Die katholische und die evangelische Kirche raten in einem gemeinsamen Faltblatt der Diözese Rottenburg-Stuttgart in leichtem Deutsch: „Fangen Sie keine Streitgespräche mit den Zeugen Jehovas an. Die Jehovas Zeugen haben gelernt, wie sie andere Menschen mit Gesprächen überzeugen können.“ In dem aktuellen Faltblatt von 2012 wird vor den der Zeugen Jehovas unter anderem mit dem Hinweis darauf gewarnt, dass sie keinen Sex vor der Ehe haben. Und: „Wenn man schwul oder lesbisch ist, wird man von den Jehovas Zeugen nicht aufgenommen.“

Sein Terrain ist Regensburg, hier kennt er jeden Winkel:Lesen Sie mehr von MZ-Redakteur Helmut Wanner.

Das Tablet im Predigtdienst

Die Zeugen Jehovas kennen keine rassistischen Ressentiments. „Glaubensgeschwister sind eine große Gottesfamilie“, sagt Jürgen Breedlove. Er kann Vietnamesen in ihrer Muttersprache begrüßen. An der Haustüre tritt er täglich verschiedenen Nationalitäten gegenüber. Auch seine Frau Sandra macht die Erfahrung, dass an den Haustüren oft nur gebrochenes Deutsch gesprochen wird. Das Tablet mache sie im Predigtdienst flexibler. „Wir fragen, aus welchem Land sie kommen. Über jw.org können wir den Leuten schnell die Seite in ihrer Sprache aufrufen. Jw.Org gibt es in über 300 Sprachen.“

In den Versammlungen der Zeugen im Königreichsaal in Burgweinting wird Englisch, Polnisch, Russisch und Vietnamesisch gepredigt. Sie haben ausgebildete Prediger, die Türkisch oder Afghanisch sprechen. Sandra Breedlove: „Bevor wir den Menschen in Deutsch verkündigen, wählen wir die eigene Sprache. Die Muttersprache geht mehr zu Herzen.“

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