Barbershop
Dieser Duft von Freiheit und Abenteuer

Der Männerfriseur ist wieder da. Im Barbershop müssen Frauen draußenbleiben. Das Bier gibt’s aus der Flasche und gratis.

15.11.2016 | Stand 16.09.2023, 6:43 Uhr
Helmut Wanner
„Männer brauchen manchmal einen Platz, wo sie unter sich sein können.“ Dzemo Krilic bei der Arbeit im „Bader36“: −Foto: altrofoto.de

Wenn die Sonne über der Stadt untergeht, geht der Stern des „Bader 36“ auf. Am Eck Blaue Sterngasse/Obere Bachgasse öffnet Dzemo Krilic seinen Barbershop und wirft den Föhn an. Im Nu füllt sich der Raum. Wer zuerst kommt, mahlt zu erst.

„Mittwoch ist der Tag, an dem man sowieso was trinken geht. Da treff ich mich vorher hier“,Dominik“

Der Raum ist wie ein Reservat. Über der Eingangstüre würde die Küchenuhr von Junghans ticken, wenn sie denn aufgezogen wäre. Die Zeit ist stehen geblieben. So zeigt sie die Zeit von 1955. Die Zeiger stehen auf 8.30 Uhr. Auf dem Fensterbrett liegen Hefte vom Kaufhaus Schocken und Frisurenkataloge aus James Dean’s besten Zeiten. Die Jungs stehen nicht Schlange, sie sitzen auf hölzernen Klappstühlen. Die könnten mal der Rasierplatz eines Kinos gewesen sein, in dem die glorreichen Sieben liefen. Auf dem Tisch, der aussieht wie eine im Raum abgestellte Palette, stapeln sich alte Playboy-Nummern und Zigarettenschachteln. Katharina Witt wird Anfang Dezember 51. Hier füllt sie „forever young“ das Cover des 2001-Hefts. Die „Bunte“ liegt im Frauen-Salon.

Der Barbershop als Stammtisch

Mit dem Zigarettenrauch verbreitet sich verruchte Vertrautheit. Zwei weiße Bosch-Kühlschränke (Baujahr 1960) stehen im Raum, alle von oben bis unten gefüllt mit Bier. „Die richtigen sind im andern Kühlschrank“, sagt Dominik, der sich als Student der erneuerbaren Energie vorstellt. Er geht über den schwarzen Dielenboden quer durch den Raum, holt ein Eichhofener Hell her raus und reicht es zusammen mit seinem Gasfeuerzeug, dem Bieröffner. Die Kronkorken fliegen, dann knallen Flaschen aneinander. „Warum bist denn du da?“, fragt einer. - „Weil’s hier super is. Mittwoch ist der Tag, an dem man sowieso was trinken geht. Da treff ich mich vorher hier“, sagt Dominik. Er hat Tobias mitgebracht. Der Barbershop ist der neue Stammtisch. Das Bier geht aufs Haus.

Dzemo Krilic hat den Laden als Dependance eröffnet. Sein Laufsteg 36 ist gleich gegenüber. Nachdem die junge Frau mit den zwei seidigen Collie-Hunden ihren Wollladen zugesperrt hatte, zog Krilic ein. Er hat bei Armin Brandt gelernt, stammt aber aus einer bekannten Gastronomen-Familie („Pam-Pam“ und „Café am Peterstor“).

Seit September 2015 weht hier der Duft von Freiheit und Abenteuer. Krilic weiß: „Männer brauchen manchmal einen Platz, wo sie unter sich sein können. In Gemeinschaft von Frauen ziehen sie sich zurück.“ Die beiden Abende, die er offen hält, werden gut angenommen, zieht der 34-Jährige Bilanz. Er wird von seinem Bruder Daniel (23) unterstützt. Der geht gerade zur Meisterschule und wird den Laden übernehmen. Ab 2017 wird dann vier Abende aufgesperrt. Das ist eine kleine Erfolgsgeschichte des Handwerks. Man feiert die Wiederkunft des Herrenfriseurs. Krilic: „Das ist in Regensburg schon der vierte oder fünfte Laden.“ In Deutschland öffnet jede Woche einer.

Das Fluidum euphorisiert. Alt duzt jung und umgekehrt. Die Verbrüderungs-Szenen spiegeln sich in einer Friseurwand aus dem 19. Jahrhundert. Die Whiskeyflaschen sind alt, die Kasse ist zum Kurbeln und der Fotoapparat über dem Spiegel ist garantiert ohne Chip. „I’m goin‘ get up in the mornin‘, I believe I’ll dust my broom.“ Aus den alten Dampfradios von Graetz und Grundig stampft der alte Bluesstandard von Elmore James.

Rauch und unkorrekte Sprüche

Jeden Mittwoch und Freitag öffnet sich für das gezähmte Tier im Mann das Loch im Zaun. Alle vier Wochen und maximal bis 22 Uhr. „Hier ist ein Freiraum gegen die Überreglementierung“, sagt Johannes. Er ist ein verheirateter Familienvater. Bevor er zum Elternabend in die Schule geht, nimmt er Kontakt zu seinen atavistischen Instinkten auf. Er lässt sich den Kippenduft um die Nase wehen, lacht über ein paar unkorrekte Sprüche, bevor er sich auf den Stuhl legt. Die Stühle, auf denen eingeseift und mit dem Messer rasiert wird, haben „Sail away“-Geschichte: Einer segelte auf einem spanischen Kreuzfahrtschiff über die Weltmeere.

Johannes hat in einer Hand die Kippe, in der anderen sein Helles und wird philosophisch: Schritt für Schritt seien Freiheiten des Mannes eingeengt worden. Die neuen säkularen Gebote sagen dem Mann, wie er sich zu benehmen hat. „Er“ darf im Wirtshaus nicht rauchen, muss frauenfeindliche Sprüche meiden und aus der Flasche trinkt man nicht. Nicht dass alle Männer gerne rauchen undPlayboygucken, aber sie hätten gerne die Chance dazu. Das schönste Gesicht des Sozialismus, die Eisprinzessin aus Chemnitz, liegt nackt auf dem Tisch – das Heft bleibt unberührt.