Clemens Prokop warnt vor Gefahren
Missbrauch durch „Gender-Doping“? Das Selbstbestimmungsgesetz wirft auch im Sport Fragen auf

30.04.2024 | Stand 30.04.2024, 15:45 Uhr

Die US-Amerikanerin Lia Thomas (l.) startete ursprünglich bei den Männern. Als Transgender-Schwimmerin gewann sie bei den Frauen den College-Titel über 500 Yards Freistil. Foto: Imago/ Brett Davis

Hat das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz, das es trans-, intergeschlechtlichen und nichtbinären Menschen erleichtern soll, ihren Geschlechtseintrag und Vornamen zu ändern, Auswirkungen auf den Sport? Der ehemalige Regensburger Landgerichtspräsident und langjährige Sportfunktionär Clemens Prokop (67) sieht im Interview jedenfalls Missbrauchspotenzial, das die Chancengleichheit gefährden könnte.

Herr Prokop, der Bundestag hat mit den Stimmen der Ampel das umstrittene Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag beschlossen. Sehen Sie als Jurist und früherer Präsident der deutschen Leichtathletik Folgen, die den Sport betreffen?
Clemens Prokop: Zunächst muss man den Unterschied zur früheren Gesetzeslage betrachten. Der Aufwand zur Änderung des Geschlechtseintrags war hoch, erforderte Gutachten, ein formales Verfahren sowie eine Entscheidung des Gerichts. Dieser Weg ist nun deutlich verkürzt, weil ein einfacher Antrag beim Standesamt genügt, keine Vorgaben zu geschlechtsangleichenden medizinischen Maßnahmen gemacht wurden und nach einer Sperrfrist von einem Jahr das Geschlecht wiederum gewechselt werden kann. Die formalen Hürden und Hindernisse sind jetzt deutlich niedriger. Vermutlich wird das zur Folge haben, dass damit eine höhere Zahl von Geschlechtsänderungen vorgenommen wird.

Und was leiten Sie daraus ab?
Prokop: Damit stellt sich die Frage: Wie wirkt sich das auf den Sport aus? Wird die Trennung von Männer- und Frauensport aufgehoben, weil jeder Athlet faktisch selbst bestimmen kann, in welcher Kategorie er starten möchte? Der Sport orientiert sich grundsätzlich an dem von Staat zuerkannten Geschlecht. Nach diesen Kriterien wären auch Athleten, die eine körperliche Entwicklung zum Mann durchlaufen haben, nach dem Antrag auf Geschlechtsänderung bei den Frauen startberechtigt – und dies selbst in Fällen, in denen der Wechsel der Geschlechtszuordnung nicht der tatsächlichen eigenen Identität entspricht. Ein solcher möglicher Missbrauch wird bereits als sogenanntes Gender-Doping diskutiert. Der gezielte Wechsel des Geschlechts, um größeren sportlichen Erfolg zu haben, beträfe dann vor allem die Wettbewerbe der Frauen.

Inwiefern?
Prokop: Durch den Wechsel eines als Mann entwickelten Athleten zum Frauensport werden biologische Vorteile genutzt, die den Leistungsvergleich verändern. Dafür gibt es einige Beispiele. Ich nenne exemplarisch die amerikanische Schwimmerin Lia Thomas, die ursprünglich bei den Männern startete und im amerikanischen College-System um die Nummer 460 im Ranking geführt wurde. Durch den Wechsel zu den Frauen wäre sie jetzt eine der besten Schwimmerinnen der Welt. Dies zeigt, dass eine Geschlechtsänderung in jedem Fall ein Problem ist, dem sich der Sport stellen muss, um das Prinzip der Chancengleichheit im Wettkampf zu bewahren. Nicht nur in Deutschland übrigens; bereits 14 andere Länder haben weltweit inzwischen vergleichbare Gesetzesregelungen.

Ist nach Ihrem Eindruck das Problem im Sport angekommen? Ist es bereits Diskussionspunkt?
Prokop: Auf der Ebene einiger internationaler Verbände ist es als potenzielles Problem bereits angekommen. Andererseits befürchte ich, dass die möglichen Auswirkungen noch nicht in allen Facetten der einzelnen Regelwerke berücksichtigt worden sind. Dies vor allem bei nationalen Verbänden, da die internationalen Verbände ihre Regelungen für internationale Wettbewerbe vorgenommen haben.

Im deutschen Gesetzgebungsverfahren hatte die Befürworterseite argumentiert, dass zwar theoretisch die Möglichkeit des Missbrauchs besteht, man aber in der Realität von einer wirklich sehr geringen Fallzahl ausgeht.
Prokop: Das mag zutreffen. Aber ich glaube, dass gerade im Sport schon eine besondere Missbrauchsgefahr besteht. Die jahrzehntelangen Doping-Erfahrungen haben gelehrt, dass der mögliche sportliche Ruhm – oftmals verbunden mit der Aussicht auf lukrative Einnahmen – Athletinnen und Athleten dazu veranlasst, hierfür selbst gravierende körperliche Schäden in Kauf zu nehmen. Für das sogenannte Gender-Doping heißt das: Ich verschaffe mir Vorteile durch einen Wechsel der geschlechtlichen Zuordnung.

Können Sie das näher erläutern?
Prokop: Es gab vor einigen Jahren eine US-Studie, bei der Athleten befragt worden sind, ob sie für einen Sieg bei Olympischen Spielen bereit wären, auch Mittel einzunehmen, die zur Folge hätten, dass sich ihre Lebenserwartung um einige Jahre verkürzt. Und ein großer Teil, rund 50 Prozent, hat bei dieser anonymen Befragung angegeben, dass sie hierzu bereit wären. So viel zu der Frage, was manche Athleten für sportlichen Ruhm alles zu investieren bereit sind.

Wie kann nun der Sport auf mögliches Gender-Doping reagieren?
Prokop: Es ist nicht nur das Problem des Gender-Dopings, sondern jede Änderung der Geschlechtszugehörigkeit berührt das Prinzip der Chancengleichheit im Wettkampf. Das Selbstbestimmungsgesetz stellt daher ausdrücklich fest, dass die Autonomie der Sportverbände, wen sie als Frau oder als Mann in den Wettbewerben definieren, unberührt bleibt. Also müssen die Sportverbände das mögliche Problem der Zuordnung selbst regeln. Allerdings knüpfen die Regelwerke des Sports grundsätzlich zunächst an die staatliche Geschlechtsdefinition an. Das heißt also, wer nach staatlichem Recht bei der Geburt Mann ist, ist Mann. Wer nach staatlichem Recht bei der Geburt Frau ist, ist Frau. Das ist der Grundsatz.

Ist es in der Realität so einfach?
Prokop: Nein. Das Internationale Olympische Komitee hatte früher die Differenzierung zwischen Mann und Frau nach dem Testosteronwert vorgenommen und bis zehn Nanomol Testosteron im Liter Blut Sportler nach Geschlechtsänderungen noch bei den Frauen starten lassen. Diese Regelung hat das IOC aber inzwischen gekippt und nun den internationalen Fachverbänden aufgegeben, diese Frage für ihren selbst Sport zu regeln.

Und einige Sportverbände sind dem nachgekommen?
Prokop: Der Internationale Leichtathletikverband hat im vergangenen Jahr eine Regel aufgestellt, wonach für die Zuordnung das Geschlecht der Geburt maßgebend ist, das staatlicherseits beurkundet wurde. Eine entsprechende Regelung hat auch der Internationale Schwimmverband getroffen. Für die Anerkennung einer Geschlechtsänderung kommt es in beiden Verbänden maßgeblich auf den Verlauf der Pubertät an.

Was bedeutet das?
Prokop: Wenn die Pubertät als Mann durchlaufen wird, dann werden spätere Geschlechtsänderungen nicht akzeptiert. Das heißt konkret, spätestens bis zum Alter von zwölf Jahren muss nachweislich die männliche Pubertät unterdrückt worden sein, zum Beispiel mit Pubertätsblockern. Falls das nicht geschehen ist, wird die staatlich festgestellte Geschlechtsänderung zur Frau vom Internationalen Leichtathletikverband und vom Internationalen Schwimmverband nicht anerkannt.

Wäre das auch Ihr konkreter Vorschlag, wie mit dem Thema umzugehen ist?
Prokop: Es ist ein schwieriges Problem. Pubertätsblocker und vergleichbare Maßnahmen sind medizinisch durchaus umstritten. Auf der anderen Seite ist es so, dass bis zum Beginn der Pubertät die sportlichen Leistungsunterschiede zwischen Männern und Frauen noch relativ gering sind. Mit der Pubertät verschiebt sich das, weil dann Männer statistisch gesehen etwa 40 Prozent mehr Muskelmasse als Frauen entwickeln und rund 30 Prozent weniger Körperfett aufweisen. Hinzu kommen ein größeres Lungenvolumen, ein größeres Herz, größere Hände und Füße. Es gibt also viele Merkmale, die darauf hindeuten, dass männliche Sportler nach durchlaufener Pubertät Vorteile erlangt haben, die auch durch spätere Hormonbehandlungen nicht mehr ausgeglichen werden. Dazu liegen vielfältige wissenschaftliche Studien vor.

Also ist die Orientierung an der Pubertät auch aus Ihrer Sicht sinnvoll?
Prokop: Grundsätzlich ja. Mit durchlaufener männlicher Pubertät werden bleibende biologische Vorteile erlangt. Und damit bewegen wir uns im Spannungsfeld zwischen der Chancengleichheit im Wettkampf und dem Diskriminierungsverbot. Auch wenn natürlich alle Athleten und Athletinnen unterschiedliche körperliche Möglichkeiten und Fähigkeiten besitzen, bin ich überzeugt, dass dieses Spannungsverhältnis zugunsten der biologischen Chancengleichheit entschieden werden muss, da andernfalls der Sport einen zentralen Inhalt aufgeben würde. Geschlechtsänderungen nach der männlichen Pubertät sollten deshalb nicht dazu führen können, dass im späteren Leben eine Teilnahme bei den Frauen-Wettbewerben im Sport möglich ist.

Mit Blick auf das Diskriminierungsverbot könnte das eine Frage sein, die wieder ordentliche Gerichte beschäftigen wird, oder?
Prokop: Das ist zu erwarten. Der Internationale Schwimmverband bietet zwar neben den Wettbewerben für Männer und Frauen eine offene Kategorie für Transgender-Athleten an, die aber bislang nicht genutzt wird. Und die Schwimmerin Lia Thomas hat bereits eine Klage gegen ihren Ausschluss von internationalen Wettbewerben angekündigt. Bei intersexuellen Athleten, die sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsanlagen haben, laufen derzeit unter dem Gesichtspunkt des Diskriminierungsverbotes bereits gerichtliche Auseinandersetzungen, da hier der Sport Testosteron-Grenzwerte als Teilnahmebeschränkung festgesetzt hat. Ich nenne nur den Fall der südafrikanischen 800-Meter-Olympiasiegerin Caster Semenya.

In der ganzen Diskussion stehen die Einzelsportler im Fokus. Wie sieht es eigentlich mit Teamsportarten aus?
Prokop: Der deutsche Fußball hat interessanterweise eine andere Regelung getroffen. Der DFB lässt zumindest im Amateurbereich die Sportler in der Geschlechtsklasse antreten, in der sie sich selber definieren. Das heißt, nach Geschlechtsänderungen können frühere Männer in Frauenmannschaften spielen. Es gibt also auch andere Modelle im Sport.

Interview: Heinz Gläser