Album
Avidan liebt und leidet

Der israelische Sänger mit der exklusiven Stimme kleidet auf „The Study of Falling“ seine Gefühle in ruhige Americana-Klänge.

15.12.2017 | Stand 16.09.2023, 6:17 Uhr
Michael Scheiner

Auch auf seinem dritten Album thematisiert Asaf Avidan den Schmerz.Foto: OJOZ/Universal

Auch wenn Medien gelegentlich Janis Joplin und Robert Plant bemühen, um Asaf Avidans Gesang zu beschreiben, die Vergleiche hinken. Allerdings verfügt der israelische Musiker – Avidan spielt auch Gitarre und andere Instrumente – fürwahr über eine Stimme, die man selbst nach einmaligem Hören kaum jemals vergisst. Irgendwo zwischen hohem Tenor und Alt angesiedelt, vermutet mancher erstmal eine Frau dahinter.

Mitunter meint man, er singe im Falsett. Zudem quengelt er, lässt sein ungewöhnliches Organ sich überschlagen, klingt kratzbürstig und nutzt Ausdrucksweisen, die wenig Wohlmeinende gar an Katzengesang erinnern. Das mutet despektierlich an, kommt dem vokalen Phänomen dieses Troubadours aber trotzdem etwas näher. Mit dieser Wahnsinnsstimme hat er kürzlich sein drittes Soloalbum herausgebracht – und sich musikalisch damit neu positioniert.

Längst hat sich der in Jamaika und den USA aufgewachsene Avidan einen Starstatus erspielt – ganz gewiss in seiner Heimat Israel und in Frankreich. Dabei geht die Wertschätzung so weit, dass ihn der Kultursender arte heuer in das legendäre frühere Studio Schloss Hérouville eingeladen hat, inzwischen eine Künstlerresidenz, damit er neue musikalische Ideen ausprobieren und experimentieren konnte.

Ein talentierter Ausnahmekünstler

Auch in Deutschland ist der Sänger kein Unbekannter mehr. 2012 landete er mit dem Remix „One Day“ des Berliner DJs Wankelmut, nach seinem „Reckoning Song“, einen Nr. 1-Hit, der ihn weltweit bekannt machte. Zuvor hatte er sich schon mit seiner Folkrock-Band „The Mojos“ eine wachsende Fangemeinde erspielt. Die Band löste sich schließlich auf und Avidan vergrößerte mit zwei Alben, dem elektronisch angehauchten, düsteren „Different Pulses“ und dem schwermütigen, musikalisch frei flottierenden „Gold Shadow“ seinen Ruf als ungewöhnlich talentierter Ausnahmekünstler, intensiv, überwältigend und gefühlvoll bis zum Schmerz.

Um Schmerz geht es auch im aktuellen Album, wenn er davon singt, wieder verliebt zu sein „with my old pain“. Liebe funktioniert für den Sänger mit dem Irokesenschnitt und den markanten Tattoos scheinbar nie ohne Leiden und manchmal Hass. Hat er im Vorgängeralbum die Trennung von seiner Freundin verarbeitet, dreht sich’s diesmal um Polyamorie. Mit heiserem Pathos und theatralischem Schluchzen beschwört er in „Green and Blue“ seine Liebe zu zwei Frauen. Es geht unter die Haut, sticht wie mit Nadeln und hinterlässt aufgescheuerte Oberflächen auf Herz und Gemüt.

Musikalisch sind es vorwiegend ruhige Songs. Im Kontrast dazu die Lyrics – emotionale Gebirge voller Pathos. Gelassen nimmt einen Musik an die Hand, diese zu ersteigen. „The Study of Falling“ ist ein klassisches Americana-Album, bei dem der Besen gemütvoll übers Schlagzeug streicht, Gitarre und Bass eine Stimmung des Aufgehobenseins erzeugen. Für die herausragend feine Aufnahme hat sich der 37-Jährige die fast zwei Generationen älteren Larry Taylor (Bass), Mitgründer von Canned Heat, und Jim Keltner (Drums) ausgesucht, der mit Barbara Streisand und Booker T. ebenso gespielt hat wie mit Bob Dylan und Ry Cooder. Produziert hat Mark Howard, der auch an zwei von Avidans Favoriten gearbeitet hat, Tom Waits’ „Orphans“ und Dylans „Time Out of Mind“. Eine großartige Kombi, was dem Album vom ersten bis zum letzten Ton anzuhören ist.

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