Regensburg.
„Bayerisch“ heißt auf bairisch „boarisch“

Der feine Unterschied zwischen dem alten und dem jungen „ei“.

03.04.2008 | Stand 03.04.2008, 18:22 Uhr

Eines der markantesten Kennzeichen der Dialekte in Altbayern ist der Zwielaut „oa“ anstelle von hochsprachlich „ei“: „oa Oa(r), zwoa Oa(r), a gloana Stoa, a Stoandl, Boandl, hoaßn, Goaß, dahoam, Hoamad, den hod da Bliiz gstroaft“ usw., „ein Ei, zwei Eier, ein kleiner Stein, kleiner Knochen, heißen, Geiß, daheim, Heimat, … der Blitz gestreift“. Ein Dialektunkundiger könnte nun fälschlicherweise annehmen, die erkannte Umsetzungsregel dürfe auf alle Wörter mit schriftsprachlichem „ei“ angewandt werden. Arg blamieren würde er sich allerdings, wenn er in dem ehrenwerten Bemühen, den bairischen Dialektklang zu treffen, zählen würde: „oans, zwoa, droa“. Und wie soll er sich erklären, dass zwar „schreien“ oder „scheißen“ mit „ei“ gesprochen werden, die von ihnen abgeleiteten Hauptwörter aber mit „oa“, nämlich „Schroa, Gschroa, Schoaß“?

Siehst du, könnte der gelackmeierte Mundartdilettant wettern, im Bairischen geht eben alles durcheinander, der Dialekt ist chaotisch und verworren, eben doch nur eine heruntergekommene Abart des Deutschen. Weit gefehlt! Genau das Gegenteil ist der Fall: Sprachgeschichtlich sind die süddeutschen Dialekte wesentlich korrekter als die Hochsprache. Die Mundart unterscheidet heute noch exakt zwischen dem „ei“ des Alt- und Mittelhochdeutschen und dem jungen „ei“, das erst im späten Mittelalter aus dem langen „î“ entstanden ist. Im süddeutschen Raum hat sich das alte „ei“ fortentwickelt zu „oi“ (wie es im Schwäbischen gilt und teilweise auch im Nordbairischen), und dieses im Bairischen dann zu „oa“. Das junge „ei“ wird auch im Dialekt als „ei (genauer „ae)“ gesprochen. In der Hochsprache aber sind altes und junges „ei“ zusammengefallen, so dass „weiß, meine“ entweder Zeitwortformen sind (sie weiß, ich meine) oder Eigenschaftswort (weiße Farbe) bzw. besitzanzeigendes Fürwort (meine Frau).

Wo die Standardsprache nivelliert, führt unser Dialekt die alten Lautverhältnisse getreu fort: „(sie) woaß – (de Wand is) weiß, (i) moan – meine (Kinder)“. Wortpaare wie „weit–breit, steigen–zeigen, feig–Teig, streichen–seichen, (ich) greife–Seife“ reimen sich hochsprachlich einwandfrei, im Dialekt jedoch nicht. Im jeweils ersten Wort liegt nämlich junges „ei“ vor und damit bairisch „ei“, im zweiten altes „ei“, welchem bairisch „oa“ entspricht.

Nur in wenigen Einzelfällen verrät die Rechtschreibung die unterschiedliche Herkunft, so etwa wenn sich „Seite“ orthographisch abhebt von „Saite“, oder „Leib, Weise, Leiche“ von „Laib, Waise, Laich“. Wo die Orthographie „ai“ setzt, kann man sicher sein, dass ein altes „ei“ vorliegt. In der Hochsprache klingen solche Wortpaare gleich, nicht jedoch im Dialekt, der klar unterscheidet, ob im mittelalterlichen Deutsch ein langes „î“ vorlag oder aber ein „ei“: „Seitn, Leib (Leiberl, leibhaftig), Weis (aus der Weis, zitzerlweis), Leich“ – aber „Soatn, (Brot-) Loab (Loawal), Woasal (Waisenkind), (Frosch-) Loach (loacha)“.

Weitere Wörter mit altem „ei“ sind etwa „eins, eine, einer, zwei, kein, klein, Weizen, Meister, Eiche, Schweif, Seife, heiß, Gemeinde, reisen, schweißen, zeigen, heikel, allein“. Der heute um sich greifende Dialektabbau, d. h. die Annäherung der Mundarten an die Schriftsprache, bringt allerdings mit sich, dass immer mehr Wörter mit „ei“ gesprochen werden, obgleich ihnen die „oa“-Aussprache zukäme: „Kreis, Kleid, Seil, Teil, teilen, heilen, Maier, Kaiser, Mai“ und viele weitere. Nach wie vor aber bleibt’s dabei: Eine Eisstockmannschaft ist eine „Moarschaft“. Und „bayerisch/bairisch“ heißt auf bairisch „boarisch“.