Kunstgeschichte
Der Bildhauer der Kalvarienberg-Kirche

Bildhauer der Gesten und Gesichter: Franz Anton Neu aus Prüfening als Kalvarienberg-Gestalter in Kelheim und Mariaort.

01.04.2021 | Stand 16.09.2023, 3:47 Uhr
Jutta Göller
Die Mariaorter Kalvarienbergkirche von innen −Foto: Denbsky-Gombert

In der Kalvarienberg-Kirche von Mariaort bei Kleinprüfening kann man in der Karwoche dem toten Christus ins Gesicht schauen. Geschaffen hat die Holzplastik des Heiligen Grabes der Prüfeninger Bildhauer Franz Anton Neu, nach der Dialekt-Aussprache auch Ney geschrieben.

Franz Anton Neu (1698-1758) war der Sohn des Landshuter Bildhauers Anton Neu und heiratete 1720 in Prüfening Maria Josepha Haz. Das Paar bekam zwischen 1722 und 1740 fünfzehn Kinder, von denen die meisten bald nach der Geburt starben.

Nachgewiesen ist Neu durch Rechnungen als Bildhauer des Hochaltars in der Frauenbergkapelle von Weltenburg und der großen Holzfiguren in der Staubinger Kirche St. Stephan. Sein charakteristisches Merkmal sind die „gebrochen gegeneinander versetzten Körperachsen“, wie der Kunsthistoriker Karl-Heinz Betz feststellt. Das heißt zum Beispiel: Hände nach rechts, Körperdrehung und Blick nach links, wie bei der Gottesmutter auf dem Kelheimer Kalvarienberg. Im Barockzeitalter appellieren in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts Kreuzwege und Kalvarienberge in expressiven Stilformen an das Mit-Fühlen der Gläubigen an der Leidensgeschichte Jesu Christi.

Um 1750 lässt in Kelheim der kurfürstliche Verwalter des Weißen Brauhauses auf dem Goldberg, dessen Grund zum adeligen Damenstift Niedermünster in Regensburg gehört, den ersten Kreuzweg anlegen. Heute noch wird der Kelheimer Kalvarienberg von der Pfarrei Kelheimwinzer betreut, da Kelheimwinzer früher ebenfalls Grundbesitz des Reichsstiftes Niedermünster war, wie auch der Frauenforst nördlich des Goldbergs.

Geschlechter: Androgyne Figuren, männlich?, weiblich?, divers?, nämlich lebhaft bewegte große Engel, zum Teil leicht bekleidet, laden auch in der Mariaorter Kalvarienbergkirche zum Aufstieg bis zum Kreuzaltar ein.Entstehung: Die Kalvarienbergkirche oberhalb der Wallfahrtskirche, nahe der heutigen Eisenbahnlinie, entstand im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts nach dem Muster der „Scala Santa“, der Heiligen Treppe in Rom im Bereich des Lateran.

Die monumentale Halle oben auf dem Goldberg birgt eine wertvolle, künstlerisch hervorragende Kreuzigungsgruppe mit überlebensgroßen hölzernen Figuren unter den drei Kreuzen, deren Schöpfer in der Kunstgeschichte unbekannt ist. Es gibt aber stilistische Hinweise, dass der Bildhauer der Plastiken Franz Anton Neu war.

Theologisch gesehen ist das Zentrum einer solchen Kalvarien-Szene der Erlösungstod Christi am Kreuz. Die Kreuze hängen aber hoch über den Köpfen der Betrachter. Uns Erdlinge interessieren vielleicht noch mehr die Personen am Boden – wie sie auf den Tod Jesu reagiert haben: Die drei Figuren, Maria, die Mutter Jesu, die halb knieende Maria Magdalena und der Lieblingsjünger Johannes scheinen in lebhafter Gestik miteinander im Gespräch zu stehen.

Bis ins 20. Jahrhundert hinein glaubte man, dass der Lieblingsjünger Johannes und der Evangelist gleichen Namens ein- und dieselbe Person seien. Johannes wird oft in grünem Gewand und mit rotem Mantel dargestellt, den er von Jesus übernommen hat, und meistens mit jugendlichem, bartlosen Gesicht und langen Haaren. Dieser androgyne Charakter, männliche und weibliche Züge vereinend, hat dazu geführt, dass er in moderner Zeit manchmal mit einer Frau verwechselt wird.

Was war oder ist der Sinn einer solch aufwühlenden Inszenierung des Karfreitag-Geschehens? Wie es in einem der bekanntesten ökumenischen Passionslieder heißt, vertont vom evangelischen Komponisten Johann Sebastian Bach: „Wenn ich einmal soll scheiden,/ so scheide nicht von mir./ Wenn ich den Tod soll leiden,/ so tritt du dann herfür./ Wenn mir am allerbängsten / wird um das Herze sein,/ so reiß mich aus den Ängsten / kraft deiner Angst und Pein.“

Lassen Sie sich aus den Pandemie-Ängsten reißen, gehen Sie in der Karwoche oder an Ostern auf den Kelheimer Kalvarienberg oder besuchen Sie die Mariaorter Kalvarienberg-Kirche – in diesen Zeiten freilich mit Abstand und in der Kirche mit Maske.