Medizin
Der lange Leidensweg bis zur Diagnose

Doris Fischer erfuhr am neuen Zentrum für Seltene Krankheiten am Uniklinikum Regensburg, warum ihr Brustkrebs besonders ist.

26.02.2015 | Stand 16.09.2023, 7:01 Uhr
Ein Arzt bei der Begutachtung von Mammografie-Bildern. Sie zeigen einen kleinen Tumor in der Brust. Ist er genetisch bedingt, zählt er zu den sogenannten Seltenen Erkrankungen. −Foto: dpa

Erst 34 Jahre alt, die Kinder noch klein und dann die beängstigende Diagnose Brustkrebs. Dabei hatte Doris Fischer (Name geändert) weder geraucht noch getrunken, auch eine hormonelle Ursache wurde nicht gefunden. Schon damals sprach ein Arzt den Gedanken aus, dass es sich aufgrund ihres jungen Alters um eine erbliche Form handeln könnte, erzählt die heute 52-Jährige. Doch erst als ihre Mutter 2012 ebenfalls an Brustkrebs erkrankte, entschloss sich die Familie zu einer genetischen Untersuchung. Die Ergebnisse waren eindeutig, aber auch überraschend und die Familie wurde – auch weil Doris Fischer eine eineiige Zwillingsschwester hat, zu einem interessanten Forschungsfeld am neuen Zentrum für Seltene Erkrankungen am Uniklinikum Regensburg.

Rund vier Millionen Betroffene

Zwischen drei und vier Millionen Menschen leben in Deutschland mit geschätzt rund 7000 Seltenen Erkrankungen. Seit 2008 wird an jedem letzten Tag im Februar auf die Betroffenen aufmerksam gemacht. Von seltener Erkrankung spricht man, wenn von 10 000 Menschen nicht mehr als fünf betroffen sind.

Das ist bei Doris Fischer und ihrer Familie der Fall. Obwohl statistisch jede neunte Frau in ihrem Leben an Brustkrebs erkrankt, sind nur rund fünf Prozent der Fälle erblich bedingt. Die Betroffenen tragen ein krankheitsauslösendes Gen in sich. Aufgrund dieser Mutation ist die Erkrankungsrate besonders hoch und liegt bei rund 80 Prozent für Brustkrebs und zusätzlich noch ähnlich hoch für Eierstockkrebs. Auch Männer, die dieses Gen in sich tragen, können an Brustkrebs erkranken. Umso erstaunlicher ist es, dass die eineiige Zwillingsschwester von Doris Fischer, bei der die Genmutation ebenfalls nachgewiesen wurde, bislang nicht erkrankt ist. „Gerade in solchen Fällen ist es besonders spannend nach Faktoren zu suchen, die dem Ausbruch der Krankheit Vorschub leisten“, sagt Dr. Ines Schönbuchner, die am Zentrum für Humangenetik am Uniklinikum Regensburg die Familie betreut.

Das Zentrum für Humangenetik ist eine der 17 Fachkliniken, die dem neuen Zentrum für Seltene Erkrankungen (ZSER) am Uniklinikum Regensburg angeschlossen sind. Bundesweit gibt es 21 solcher Zentren in Deutschland. In Bayern neben Regensburg die Haunerschen Unikinderklinik in München sowie das Uniklinikum Würzburg. Seit der Eröffnung im September treffen täglich Anfragen aus ganz Ostbayern, aber auch aus Berlin oder Hamburg in Regensburg ein. „In den meisten Fällen melden sich Patienten, deren Krankheit bislang nicht benannt werden konnten“, berichtet Prof. Dr. Mark Berneburg, der Sprecher des Zentrums. Die „Waisen der Medizin“, wie man die Betroffenen Seltener Krankheiten auch nennt, durchleben oft lange Odysseen auf der Suche nach der richtigen Diagnose, nach Informationen und Experten. Im ZSER kümmert sich ein Lotse um die Anliegen, leitet die Betroffenen nach einem ersten Gespräch an die Fachkliniken weiter oder vermittelt den Kontakt zu anderen Zentren mit den entsprechenden Experten. „Jedes der Zentren für Seltene Erkrankungen hat seine Experten auf bestimmten Gebieten, deshalb findet auch untereinander ein Austausch statt“, sagt Berneburg.

Erleichterung nach der Diagnose

Doris Fischer ist heute froh, dass innerhalb der Familie geklärt ist, wer außer ihr das Hochrisikogen namens BRCA2 in sich trägt. Ihre Mutter war nicht die Überträgerin wie sich überraschend herausstellte. Deshalb muss es väterlicherseits vererbt worden sein. Neben Doris Fischer und ihrer Zwillingsschwester sind auch drei Töchter betroffen, die beiden Söhne dagegen nicht. „Wir leben jetzt nicht in Angst. Für uns ist das Wissen eher eine Entlastung als eine Belastung“, sagt Doris Fischers Nichte Nina, die ebenfalls BRCA2-Trägerin ist. „Ich erlaube mir keine Nachlässigkeiten bei der Vorsorge, deshalb würde der Krebs im Ernstfall früh erkannt werden“, ist sich die junge Frau sicher. Den radikalen Schritt, den die Schauspielerin Angelina Jolie gegangen ist, bei der ebenfalls ein sogenanntes Hochrisiko-Gen für Brustkrebs entdeckt wurde, kann sie deshalb nur schwer nachvollziehen. „Ich würde mir die Brüste nicht vorsorglich entfernen lassen.“ Ihre Ärztin Ines Schönbuchner sieht das genauso. „In Deutschland entscheiden sich 85 Prozent der betroffenen Frauen für eine intensive Früherkennung, in den USA ist das Körperempfinden dagegen ein völlig anderes. Dort wird das Brust viel häufiger vorsorglich entfernt und neu aufgebaut.“ Allerdings rät die Ärztin Frauen, die die Genmutation in sich tragen, nach abgeschlossener Familienplanung zu einer vorsorglichen Entfernung der Eierstöcke. „Leider gibt es für Eierstockkrebs keine zuverlässigen Vorsorgemaßnahmen. Deshalb wird der Krebs oft sehr spät erkannt.“

Ziel am ZSER ist neben der Diagnostik und der medizinischen Versorgung betroffener Patienten auch die Forschung. „Wir können nur dann zu wirksameren Therapien kommen, wenn wir die Entstehung der Erkrankungen verstehen“, sagt Berneburg. Von der Forschung profitierten am Ende nicht nur die Menschen mit Seltenen Erkrankungen. So wurde etwa für die wenigen Patienten mit Xeroderma pigmentosum („Mondscheinkrankheit“), die unter anderem Prof. Berneburg in Regensburg an der Klinik für Dermatologie behandelt, eine Creme mit einem Reparaturenzym entwickelt, das aus Schalentieren gewonnen wird. Heute gibt es diesen Hautschutz als After Sun Creme in Apotheken zu kaufen. „So hat die Forschung für Menschen mit einer Seltenen Erkrankung auch etwas für die Allgemeinheit geleistet“, freut sich Berneburg.

Hauptsächlich sind es junge Patienten, die in den Zentren auf eine Diagnose hoffen. Erbliche Veranlagungen spielten bei Seltenen Erkrankungen häufig eine Rolle. „Für die Familien ist es eine Erleichterung, wenn die Krankheit endlich einen Namen habt“, sagt Berneburg, wenngleich er zu bedenken gibt, dass es im ZSER häufig um Krankheiten gehe, die chronisch verlaufen und nicht geheilt werden können.

Die Öffentlichkeit sensibilisieren

Doris Fischer sagt, dass sie mit diesem Wissen über ihren genetisch bedingten Brustkrebs sehr gut leben kann. „Es belastet mich nicht. Das intensive Vorsorgeprogramm, das halbjährlich eine Ultraschalluntersuchung und jährlich eine Magnetresonanztomographie (MRT) beinhaltet, gibt mir Sicherheit.“ Früh erkannter Brustkrebs ist heute in 95 Prozent der Fälle heilbar.

Aufmerksamkeit für die Menschen, die oft schon einen langen Leidensweg hinter sich haben, das wünscht sich der Schauspieler und Regisseur Marcus Mittermeier, der die Schirmherrschaft für das ZSER übernommen hat. Ihm geht es vor allem darum, die Öffentlichkeit für dieses Thema zu sensibilisieren. „Je rascher eine Diagnose gestellt werden kann, desto kürzer wird der Leidenweg für die Betroffenen.“ Mit dem Zentrum für Seltene Erkrankungen sei jetzt eine entsprechende Anlaufstelle in Regensburg geschaffen worden. „Damit wurde ein wichtiger Baustein in der medizinischen Versorgung unserer Region geschlossen“, so Mittermeier.

So sieht das auch Doris Fischer. „Man fühlt sich einfach sicher, wenn man weiß, wohin man sich mit seiner Krankheit wenden kann.“

Info: An diesem Samstag, 28. Februar, findet ab 11 Uhr eine Informationsveranstaltung für Seltene Krankheiten im Donau-Einkaufszentrum Regensburg 1. Flur statt. Neben Prof. Berneburg und Schauspieler Marcus Mittermeier wird eine Familie anwesend sein, deren Kind an Xeroderma pigmentosum (Mondscheinkrankheit) erkrankt ist.