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Der Mann hinter dem Gold

Luggi Rederer ist für viele Landshuter ein Glücksbringer. Als goldene oder silberne Skulptur ist er längst Teil der Stadt.

21.12.2018 | Stand 16.09.2023, 5:50 Uhr
Michaela Schabel

Die Menschen mögen Luggi Rederer, weil er immer einen Spaß, ein freundliches Wort oder ein kleinen Schabernak auf Lager hat. Foto: Schabel

ine Japanerin streichelt über die goldene Jacke, zwickt in den Stoff hierhin und dorthin. Ja, das ist tatsächlich eine Skulptur. Umso mehr erschrickt sie, als der Mann in Gold plötzlich einen Urlaut von sich gibt. Fast in jeder größeren Stadt stehen inzwischen Männer oder Frauen in Gold oder Silber still, versuchen durch Bewegungslosigkeit die Passanten zu beeindrucken und dafür monetär belohnt zu werden.

Luggi Rederer in Landshut sticht heraus. Seit 18 Jahren ist er, je nach Tagesstimmung, der Mann in Gold oder Silber, als Jahrgang 1950 mit Abstand der Älteste weit und breit. Ab halb zehn steht er an der Ecke Theatergasse/Altstadt auf einem kleinen Schemel wie eine naturalistische Skulptur. Bis 17Uhr steht er bei jedem Wetter da, egal ob heiß oder kalt. Nur bei starkem Regen verlässt er seinen Posten. Der würde die Farbe wegwaschen. Und natürlich gibt es kleine Pausen für einen Kaffee, der ihm rundherum spendiert wird.

Vom Hansdampf zur Skulptur

Ist das nicht langweilig, den ganzen Tag so dazustehen? Luggi Rederer lacht. „I leb mei Leben. I mecht nix anders macha.“ Nach dem Stillstehen ist er geradezu süchtig. Was verwundert, denn davor war er ein Hansdampf in allen Gassen, jahrzehntelang immer unterwegs als Straßenmarkierer, dann Hilfsarbeiter, später Hausmeister. „I hab alles ausprobiert und alles angestellt, was’ gibt, gute und schlechte Sachen“, bekennt er freimütig.

Nicht in der Arbeit, aber am Wochenende wurde der Alkoholkonsum zum Problem. Als ihn die Frau mit den vier Kindern verließ und er aus Eifersucht in deren neue Wohnung eindrang, um den Sohn als Geisel zu nehmen, brachte die Untersuchungshaft mit der Wahl zwischen Verurteilung oder Therapie die entscheidende Veränderung und ein Besuch in Nürnberg die absolute Wende. Dort sah Luggi Riederer zum ersten Mal einen goldenen Mann. „Das kann ich auch“, sagte er sich. Ohne irgendein Training begann er 2001 zuerst einmal pro Monat als Mann in Gold dazuzuverdienen. Das lief so gut, dass er seinen Hausmeisterjob zwei Jahre später aufgab.

Seine Haut schützt er mit einer dichten Schicht Melkfett und sprüht darauf goldenen oder silbernen Autolack. „Das ist billiger als Theaterschminke. Die wäre viel zu teuer.“ Die Hosen werden mit der Zeit porös. Die Haut muss es aushalten. Deshalb achtet er darauf, möglichst wenig Hautfläche zu besprühen, trägt immer Hut oder Mütze, im Winter Ohrenschützer, nicht wegen der Kälte, sondern, um die Haut zu schonen. Inzwischen gehört der goldene Mann genauso wie der Martinsdom zum Stadtbild der Landshuter Altstadt. Tagtäglich kommt er mit seinem „Kettenfahrzeug“, so nennt er sein Fahrrad, parkt es vis-a-vis seines Standorts, damit er es immer im Blickfeld hat, postiert seinen Schemel, einen abgeblätterten Goldkelch für die milden Gaben und lässt sich bewundern, im Sommer im Hemd, im Winter mit Lederjacke und einem Stock. Bis zu 20 Minuten kann er bewegungslos geradeaus schauen. Die wenigen Tage, an denen er nicht da ist, gastiert er andernorts. Egal ob beim Kirchweihfest in Erding, auf dem Kunstmarkt in Regen, dem Mittefastenmarkt in Dingolfing oder in Heidenheim, seiner zweiten Heimat als goldener Mann, er ist immer ein Hingucker für Groß und Klein. Zwischendrin posiert er vor Promiwänden, für Werbung, auf privaten Festen und gerne auf Hochzeiten.

Als einziger Aktionskünstler darf Luggi Rederer in Landshut überall stehen, selbst während der Landshuter Hochzeit. Dann klingelt die Kasse ganz besonders und zuweilen kommt dann internationale Fotopost als Dankeschön für herzliche Umarmungen oder einen Rollentausch mit Kindern, die mal kurz auf den Schemel dürfen.

Eine Skulptur, die sich auch rührt

Mitten unter den Menschen zu sein, das macht Luggi Rederer Spaß. „I kenn die Menschen genau. I kann in den Gesichtern lesen und auch helfen.“ Eine schwangere Frau, die immer sehr traurig an ihm vorbei ging, ihm ihre Angst vor einer weiteren Fehlgeburt erzählte, baute er auf. „Du muss an dich selbst glauben.“ Wenn sie jetzt mit ihrer Tochter vorbeikommt, weiß er: „Was i dua, hod a Sinn.“ Bei kurzen Plaudereien mit den Passanten lockert Luggi Rederer die Muskeln und heitert die Menschen auf. Mit vielen ist er per du. Er fühlt sich nicht als Außenseiter, gehört dazu und genießt es, dass ihm jeder hilft. „Mi megn d’Leit“. Für manche ist er ein richtiger Glücksbringer.

„I kenn die Menschen genau. I kann in den Gesichtern lesen und auch helfen.“Luggi Rederer

Aber es gibt natürlich auch unangenehme Zeitgenossen. Einer spuckte ihn immer an. Erst als er ihn ganz unverhofft am Krawattl packte, hörte er auf. Eine alte Frau beschimpfte ihn jedes Mal, wenn sie vorbeikam: „Jetzt steht er schon wieder da und bettelt.“ Mit „Fräulein denk ans Sterbn und halt dei Goschen“ brachte er sie zum Schweigen.

Doch in erster Linie überrascht Luggi Rederer durch spaßige Intermezzi. Er schüttelt die Hand und – schwupps – lässt er sich auf den Schemel fallen, lächelt. „Sie sind einfach umwerfend.“ Mit Schalk und Charme erobert Luggi Rederer die Menschen. Er hat immer einen neuen Witz und eine Portion Selbstironie auf Lager. Auch wenn die Augen vom Autolack brennen. „I arbeit, solang i leb.“ Luggi Rederer lacht über das ganze Gesicht. Er ist durch und durch eine Frohnatur. Genau deshalb mögen ihn viele Menschen, werfen eine Münze oder mehr für ihren Glücksbringer in den kleinen Kelch.

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