Interview
„Der Nikolaus muss positiv kitzeln“

„Ich sehe den Nikolaus als sinnvoll an – insofern man ihn nicht als Persönlichkeit gestaltet, die mit Angst belegt ist.“

02.12.2016 | Stand 16.09.2023, 6:38 Uhr
Helga Lindner, Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin −Foto: Lindner

Frau Lindner, der Nikolaus, der Kinder besucht, hat in unseren Breiten lange Tradition, sich auch durchaus verändert. Grundsätzlich gefragt: Ist er aus kinderpsychologischer Sicht sinnvoll?

Ich sehe ihn schon als sinnvoll an – insofern man ihn nicht als Persönlichkeit gestaltet, die mit Angst belegt ist. Es geht um Aufregung, Erwartung, Lampenfieber – das ist völlig in Ordnung, wenn das Treffen zwischen Kind und Nikolaus in einem geschützten Rahmen stattfindet. Es sollen nach dem Besuch des Nikolaus keine schlechten Erinnerungen, sondern ein gutes Gefühl bleiben.

Woher kommt diese natürliche Autorität des Nikolaus?

Es ist keine Autorität per se, sondern die Faszination der gesamten Erscheinung. Der Mythos, die Geschichte, die Erzählungen, das Brauchtum – eben das ganze Drumherum – ergibt den Respekt vor dem Nikolaus. Es geht dabei aber nicht um die Figur an sich. Überspitzt ausgedrückt: Käme ein Bär einmal pro Jahr zu uns und wäre mit all den Attributen belegt, die der Nikolaus in sich vereint, dann hätte man eben vor dem Bären diesen Respekt. Es geht soweit, dass Kinder, sogar wenn sich der Papa vor ihnen als Nikolaus ankleidet, dennoch nicht den Papa, sondern den Nikolaus sehen.

Das Outfit des heiligen Nikolaus ist also ein wichtiger Bestandteil des Brauchtums?

Als Erkennungszeichen schon: Mitra, Bart, roter Umhang, goldenes Buch – das ist in den Köpfen von uns allen drin. Wäre der Umhang traditionell aber blau, dann wäre das das Erkennungszeichen.

Was darf der Nikolaus und was sollte er nicht tun?

Das ist schwierig. Negative Bestrafung ist oftmals Teil der Erziehung. Ich lehne das grundsätzlich ab – so auch beim Nikolaus. Wir sollten Kindern lernen, etwas aus eigenem Anlass nicht mehr zu tun, nicht aus Angst vor Bestrafung. Der Nikolaus darf schlechtes Verhalten ansprechen, muss aber mit positiven Aussagen kitzeln. Es reicht ja oft schon, dass der Nikolaus sagt: „Den Dutzi brauchst Du als so großes Kind doch gar nicht mehr“, dass ein Kind ihn abgibt. Aber wie gesagt, der Nikolaus soll keine mit Angst belegte Figur sein.

Dann ist der Krampus als „böse Gestalt“ fehl am Platz?

Nein. Die Kinder sind ihr Leben lang mit negativen Erscheinungen konfrontiert – als Beiwerk zum Nikolaus ist der Krampus deshalb völlig ok. Solange er nicht wirklich zuschlägt und die sichere Umgebung der Kinder gegeben ist. Die sind da feinfühlig, sie wissen automatisch: „Meine Eltern würden niemanden freiwillig ins Haus lassen, der mir wehtut.“

Wie waren denn ihre Erfahrungen mit dem Nikolaus?

Ich hatte als Kind nie welche. Ich bin evangelisch, da ist der Brauch nicht so verbreitet. Es hat am 6. Dezember nur an der Tür gebumpert, dann stand ein Stiefel draußen – vom Weihnachtsmann befüllt. Aber bei meinen Kindern war er schon, das wollte ich Ihnen nicht vorenthalten.

Und?

Da kamen immer alle Nachbarskinder zusammen. Sie haben den Nervenkitzel geliebt und jeder bekam am Ende ein Nikolaussäckchen, das hat die Anspannung gleich gelöst.