Sicherheitsreport 2023
Deutsche sagen „Ja, aber“ zur Nato: Angst vor Krieg hat zugenommen

07.02.2023 | Stand 15.09.2023, 1:43 Uhr
An der Grenze zu Russland: Ein Bundeswehrsoldat des deutschen Einsatzkontingents in Litauen trägt Logo und Schulterpatch der Nato-Einsatzgruppe „Enhanced Forward Presence“ (eFP). Fast die Hälfte der Bevölkerung fühlt sich persönlich davon bedroht, dass Deutschland in eine militärische Auseinandersetzung verwickelt werden könnte. −Foto: Michael Kappeler, dpa

Die Angst vor einem Krieg und auch davor, dass Deutschland direkt beteiligt werden könnte, hat stark zugenommen. Teil des Bündnisses wollen sie sein, die Folgen zu tragen, fällt den Menschen ein Jahr nach Kriegsbeginn schwer.



Der Ort, an dem am Dienstag in Berlin eine höchst brisante Studie vorgestellt wurde, ist eingekeilt zwischen dem Museum des Kalten Kriegs und dem Bud-Spencer-Museum. Man könnte von einem Spannungsverhältnis von Abschrecken und Zuschlagen sprechen. Das passte gut, denn in dem bewegt sich auch der „Sicherheitsreport 2023“, den das Meinungsforschungsinstitut Allensbach im Auftrag des Centrums für Strategie und Höhere Führung Anfang Januar erstellte. Befragt wurde dabei eine repräsentative Auswahl an Bürgerinnen und Bürgern zu ihren Ängsten und Sorgen und besonders zu ihrem Verhältnis zu Bundeswehr und Nato. Die Ergebnisse offenbaren, wie stark sich in vielen Bereichen das Bewusstsein der Menschen durch den Krieg Russlands in der Ukraine wandelt – und wie sehr sie doch noch alten Denkmustern verhaftet bleiben.

Angst vor Krieg hat stark zugenommen

2021 fühlten sich lediglich zehn Prozent der Deutschen direkt bedroht. Anfang 2023 waren es 47 Prozent. Erstmals seit Jahrzehnten ist deshalb eine Mehrheit von 67 Prozent dafür, mehr in die Bundeswehr zu investieren. Nur 14 Prozent sehen dabei aber schon Fortschritte. Kein gutes Zeugnis für die Regierung. Wirklich frappierend sind die Ergebnisse in Bezug auf die Nato. Laut der Studie befürworten 86 Prozent zwar Deutschlands Mitgliedschaft in der Nato. Trotzdem sind 35 Prozent der Bundesbürger dafür, sich im Bündnisfall herauszuhalten, 20 Prozent sind unentschieden. Würden etwa die baltischen Staaten angegriffen, so sind nur 40 Prozent bereit, sich zu beteiligen. 39 Prozent erwarten, dass Deutschland sich raushält. Im Osten ist die Quote der Nein-Sager höher als im Westen.

Heißt also: Den abstrakten Schutz, den die Nato bietet, nimmt die Mehrheit gerne an. Doch die konkreten Verpflichtungen, der sich daraus eigentlich zwangsläufig ergibt, lehnen viele ab. Dass der Wert schon vor dem Ukraine-Krieg ähnlich hoch war, ist dazu kein Widerspruch. Im Gegenteil. Es beweist vielmehr, dass die Bürger noch nicht bereit sind, die Konsequenzen der vom Kanzler beschworenen Zeitenwende in all ihren Dimensionen anzunehmen. Bundeswehr aufrüsten Ja, Bundeswehr einsetzen Nein.

Der kleine Zuwachs auf der Seite jener, die mehr tun wollen, lässt sich sogar parteipolitisch zuordnen. Es sind die Grünen-Wähler, die eher bereit sind, die Bündnisverpflichtungen zu akzeptieren. Fast 60 Prozent von ihnen plädieren für die Beteiligung nach Artikel 5. Bei der SPD sind es nur 44 Prozent. „Der Kanzler schaut offenbar auf seine eigenen Leute“, sagte Klaus Schweinsberg vom Centrum für Strategie. Die Neigung der Anhängerschaft kann ein Erklärungsansatz sein für die progressive Haltung der Grünen in puncto Waffenlieferungen an die Ukraine. Und die zögerliche Haltung des Kanzlers. Der argumentiert zwar in der Regel mit „den Bundesbürgern“, hat aber womöglich vor allem seine potenziellen Wähler im Blick.

CDU gibt Scholz Schuld an Haltung zum Bündnis

CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter gibt Scholz jedenfalls die Schuld daran, dass viele Menschen die Bündnisverpflichtungen aus dem Nato-Vertrag ablehnen. Er sagte der Mediengruppe Bayern: „Dass offenbar 40 Prozent der Deutschen Artikel 5 nicht ernst nehmen und somit ein Grundprinzip europäischer und transatlantischer Sicherheitsordnung in Frage stellen, ist maßgeblich der mangelhaften und kontraproduktiven politischen Kommunikation des Kanzlers zuzurechnen, dessen SPD ja bereits in den vergangenen Jahren die Nato mit dem 2-Prozent-Ziel oder der nuklearen Teilhabe in Frage stellte.“ Kiesewetter wirft Scholz vor, Zweifel an der Bündnissolidarität geweckt zu haben. „Es war der Bundeskanzler selbst, der die Bündnissolidarität aus Artikel 5 in Frage gestellt hat, in dem er die USA nötigte, Abrams-Lieferungen zuzustimmen.“ Scholz hat durch das Junktim in der Tat den Eindruck erweckt, dass ihn die Einbindung in die Nato allein nicht überzeugt. Deshalb wollte er die USA als Atommacht zusätzlich unmittelbar beteiligen. „Die Infragestellung der Bündnissolidarität durch Deutschland schwächt die Nato“, so Kiesewetter. Das ständige Brechen zuvor gesetzter roter Linien und die Verbreitung der russischen Erzählweise durch das Kanzleramt, dass eine nukleare Eskalation drohe, trage zur Verunsicherung der eigenen Bevölkerung bei.