Menschen
Die Cousine der Ratzingers

Die Brüder Joseph und Georg könnten den Bischofshof am Regensburger Dom womöglich noch mehr schätzen: Gisela arbeitet hier.

07.01.2018 | Stand 16.09.2023, 6:15 Uhr
Helmut Wanner

„Das war mein Wunschziel“: Gisela Aidenberger an der Rezeption des Hotels Bischofshof am Dom. Die Niederbayerin kam im Juli 2017 vom Hotel Passauer Wolf nach Regensburg. Foto: Wanner

Die Rezeptionistin Gisela Aidenberger, geborene Ratzinger, sieht Schwester Laurente jede Woche den Domkapellmeister ins Pfarrerstüberl schieben, weil dem apostolischen Protonotar wieder einmal ein Tafelspitz oder ein Kaiserschmarrn vom Schmalhofer schmecken könnten. Aber ansprechen hat sie Georg Ratzinger bisher nicht getraut. Sie lebte in Scheidung. Demnächst ist sie rechtskräftig.

Es gibt Verwandte, von denen liest man eben erst aus der Zeitung, dass man sie hat. Dabei arbeiten sie ums Eck oder laufen einem wöchentlich mehrmals über den Weg. Gisela Aidenberger ist seit dem 1. 7. 17 Rezeptionistin im Hotel am Dom. Das Bischofshof war das Stammlokal der Ratzingerbrüder, als Joseph noch Professor an der Uni und Georg Domkapellmeister war. Und das Bischofshof war das Wunschziel von Gisela Aidenberger, die 30 Jahre im Empfang arbeitet, davon 25 Jahre im Hotel Passauer Wolf. „Ich liebe meinen Beruf.“

Ur-Ahn Sebastian Räzinger

Ein ungarischer Gast hatte ihr in Passau einmal die Hand geküsst, als er ihren Vornamen las: Gisela, Heilige und Königin von Ungarn, 985 in Bad Abbach geboren. Der Geburtsname Ratzinger wird dagegen erst in Regensburg zum Thema. Gisela ist eine Ratzinger-Cousine achten Grades. Ihr Onkel Konrad Ratzinger hat die Verwandtschaftsbeziehung im Matrikelamt von Passau nachgeforscht und auf Papier zu Hause dokumentiert, damals zu der Zeit, als wir Papst waren.

„Papst em. Benedikt XVI., sein Bruder, der Domkapellmeister Georg Ratzinger und ich haben einen gemeinsamen Vorfahren, einen Sebastian Räzinger aus Schardenberg bei Schärding. Der lebte im 17. Jahrhundert. Es gibt zwei Linien, eine österreichische und eine bayerische. Eine führt zu Papst Benedikt und seinen Bruder, die andere zu mir“, sagt Gisela Aidenberger in der Altstadt-Galerie ihres Freundes und Mentors, des Kalligrafen Johann Maierhofer. Die Lust am Schreiben verbindet die beiden. Gisela will noch in diesem Jahr wieder Ratzinger heißen und damit an eine kreative Zeit in ihrem Leben anknüpfen. Unter dem Namen Gisi Ratzinger hatte sie als Schulmädchen, als es Facebook und Co nicht gab, zwei dicke Romane ins Ringbuch geschrieben. Alle hatten ein Happy End und waren begehrt. Die Einser-Schülerin lieh die Romane in drei Parallelklassen aus. „Es gab Wartelisten.“ Auf der letzten Seite sammelte sie „ernst gemeinte Kritiken“. Der dritte Roman läutete eine Ehekrise ein. Ihr Mann widmete ihrem Hobby nicht die nötige liebevolle Aufmerksamkeit. Die Wege trennten sich. „Reise ums Ich“ gibt es als E-Book.

Seit sie Johann Maierhofer kennt, schlägt sie neue romantische Seiten auf. Beide schätzen das Schreiben als Form der Meditation. Ihren vierten Roman will sie bei einem richtigen Verlag herausbringen. Der Arbeitstitel lautet: „Zu Gast im eigenen Leben.“ Ihr Protagonistin ist Lisa Seibold, kurz „Sisi“. Neun Kapitel sind schon fertig und der letzte Satz. „Sie war zurück in ihrem neuen alten Leben.“

Ihre Professionalität im Job und ihre private Situation sind Gründe, warum sie scheut, mit der Ratzinger-Verwandtschaft im Bischofshof in Kontakt zu treten. „Das ehemalige Oberhaupt der katholischen Kirche und eine geschiedene Frau, wie geht das zusammen?“ In Zusammenhang mit dem Namen Ratzinger war Liebe bislang nur als „Caritas“ vorstellbar. Dass der apostolische Protonotar Georg Ratzinger auf seine Cousine Gisela trifft, ist möglich. Eine Gelegenheit dazu ergäbe sich am 15. Januar, wenn der Domkapellmeister seinen 94. Geburtstag feiert – wohl wieder im Pfarrerstüberl.

Gerade ist Georg ja bei seinem kleinen Bruder, wie er ihn immer nennt, in Rom. Am 28. Dezember ist er in die Ewige Stadt geflogen.

Gisela und Georg könnten gut plaudern. Kirche und Glauben sind Gisela Aidenberger ja nicht fremd. Wie alle Ratzingers vertraut sie auf die himmlischen Mächte. „Je älter ich werde, desto dankbarer werde ich. Immer wieder tritt die richtige Person zum richtigen Zeitpunkt in mein Leben,“ bekennt die 49-Jährige. Durch Zufall hatte sie die freie vierte Stelle in der Rezeption des Familienhotels entdeckt. Der Regensburger Kalligraf Maierhofer kreuzte ihre Bahn, als sie den Schreibkurs bei der vhs-Passau belegt hatte.

Ein Karton voller Briefe

„Über drei Monate haben wir uns nur Briefe geschrieben, ehe wir uns das erste Mal in Regensburg trafen.“ Einen ganzen Schuhkarton voll hat Johann Maierhofer aufbewahrt, keiner ist unter vier Seiten. Dass man sich in Zeiten von „What’sApp“ noch per Hand schreibt, ist ein Akt von Widerstand.

In ihrem neuesten Roman „Gast im eigenen Leben“ beschreibt sie die Schmetterlinge in ihrem Bauch, als sie erstmals die Treppe in der Dänzergasse hochstieg. Als sie Maierhofer sah, dachte sie an ihren Lieblingslehrer, wähnte sich in Ali Babas Schatzkammer und bewunderte die gerahmten Kalligraphien, die die Wände bedeckten.

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Wie die Ratzingerbrüder glaubt Cousine Gisela an die Schönheit. Die Liebe zum Dom aber teilt Gisela Aidenberger nicht. Im Gegensatz zum Domkapellmeister bevorzugt sie die Gottesdienste in der Schottenkirche. „Mit Gotik kann ich nichts anfangen. Die Romanik erdet mich“. Interessant wäre die Meinung des emeritierten Papstes dazu. Doch der wird bestimmt nicht mehr im Bischofshof einchecken. Aber vielleicht gibt es ja Post aus Rom und einen Brief zurück. Die Freude am Schreiben verbindet die Ratzingers, auch über die Distanz von acht Generationen.

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