Gastronomie
Die Mutter der Szenekneipen wird 50

Atelier Jean, Hinterhaus, Antagon: Das sind Namen für ein Phänomen studentischer Subkultur im Regensburg der 70er Jahre.

01.12.2017 | Stand 16.09.2023, 6:19 Uhr
Peter Pavlas

Das Hinterhaus in der Rote-Hahnen-Gasse führt heute ein ehemaliger Stammgast: Erich John. Foto: Erwin Wetzel

Seit fünfzig Jahren bietet das „Hinterhaus“, die erste Kleinkunst-Kneipe der Stadt, Facetten von Kultur, die das Leben bunter machen: anfangs Ausstellungen, Kabarett, Theater und Lesungen. Immer dabei waren Musik, moderate Preise und Gelegenheit zu kultivierter Konversation.

Verschlafen, grau und wenig inspirierend: So zeigten sich große Teile der Altstadt, bevor die Universität im November 1967 ihren Lehrbetrieb aufnahm. Frischer Wind ließ aber nicht lange auf sich warten: Schon im Mai 1967 eröffnete in den Räumen einer ehemaligen Schreinerei in der Roten-Hahnen-Gasse 2 das „Atelier Jean“, die zweite Privatgalerie der Stadt.

Erwin Wetzel machte es möglich

Der Wahlmünchener Künstler Johannes Schacht präsentierte vor schilfmattenbedeckten Wänden „Junge Grafik“, Gemälde und Plastiken. Unter anderen stellte Uwe Bremer Werke aus, wie Illustrationen für die Reihe „Bibliotheca Dracula“ des Hanser-Verlags. Lesungen und szenische Aufführungen ergänzten das Programm. In diesem neu gegründeten „Atelier“-Club kamen dessen Mitglieder auch zum zwanglosen Plausch auf ein Bier zusammen. An Gastronomie dachte Schacht damals noch nicht.

Möglich gemacht hatte all das Erwin Wetzel, dessen Familie die Immobilie besaß, und der 1972 die Kneipe unter dem Namen „Hinterhaus“ selbst weiterführte. „Ich war in den 60er-Jahren in der Münchner Kleinkunstszene verwurzelt, im Café Giesing oder im Fraunhofer, und beschloss, dass es so etwas auch in Regensburg geben soll“, erinnert sich Wetzel. Sein Konzept habe in dem nach Aufbruch dürstenden Umfeld sofort eingeschlagen. Fredl Fesl, Sigi Zimmerschied und andere, deren Stern gerade am Aufgehen war, bierselige irische Musiker oder Jazzformationen lockten das Publikum. „Willy Michl spielte an drei Abenden hintereinander, die Leute standen Schlange bis auf den Haidplatz.“ Zugleich habe man immer auf moderate Preise geachtet, beispielsweise gab’s die Spaghetti für 3,50 Mark.

Der „Che“ als Romanfigur

Die „Mutter aller Szenekneipen“ beschreibt Barbara Krohn in ihrem Roman „Weg vom Fenster“: „Ich war damals 15 oder 16. Die psychedelische Musik zog mich an, und ich wollte unbedingt erfahren, wie die Welt außerhalb des katholischen Heliand-Bundes aussah“, beschreibt Konstanze ihre Besuche dort. Auch das Hippie-Unikum Chaim alias „Che“ sei dort verkehrt.

„Kinder, Kinder“, erinnert sich Gundi grinsend an das oft schräge Publikum. „Da gab es den Jörg, der Schmuck aus Sargnägeln machte und der dort unbedingt meine Schwester treffen wollte“. Mike hatte im „Atelier“ die ungewöhnlichste Weihnachtsfeier seines Lebens erlebt: Schauspieler vom Theater rezitierten unter der Leitung von Manfred Janikulla Gedichte, die alles andere als betulich oder feierlich waren. Und dann all die damals gerade gegründeten Bands. „Die spielten erst ein Set, und dann übten nacheinander der Drummer, der Gitarrist und der Bassist unbekümmert ihre Solos auf offener Bühne drauflos.“

„Kabarett und öffentliche Lesungen spielen heute keine so große Rolle mehr bei uns. Aber das gemütliche Studentenflair wollen wir unbedingt erhalten.“Erik John

Tief in Evis Gedächtnis gegraben hat sich der Auftritt des Schweizer Kabarettisten Franz Hohler in vollem Haus. Sie war eine Zeit lang dort Köchin und schätzte es, selbst über das Menü bestimmen zu dürfen: „Gulasch, Chili; in der Früh zusammenräumen und übernächtig in Göllers Englisch-Vorlesung zu gehen kam schon mal vor“. Bei den Konzerten waren die Musiker ihrem Publikum sehr nahe, und „unplugged“ zu spielen war die Regel. Rudi Zitzelsberger habe die Kneipe später übernommen. Ende der Neunzigerjahre stieg dann Stammgast Erik John als Wirt ein, und er ist es bis heute. Auch wenn sich die Rezeptionsgewohnheiten der Gäste über die Jahrzehnte geändert hätten, lege er doch großen Wert auf das, was das Hinterhaus seit jeher charakterisiere. „Kabarett und öffentliche Lesungen spielen heute keine so große Rolle mehr bei uns. Aber das gemütliche Studentenflair wollen wir unbedingt erhalten. Wir bieten kommunikationsfähigen Menschen an unseren großen Tischen die Gelegenheit, miteinander ins Gespräch zu kommen.

Diese Art von Kneipe ist in Regensburg vom Aussterben bedroht.“ Weiterhin setzt John auf günstige Preise bei Essen und Trinken. Konzerte seien nach wie vor wichtig. „Charts-Titel, Hip-Hop oder Rap kämen im Hinterhaus aber schlecht an. Bei unserer Musikauswahl hängen wir bewusst etwas zurück.“ Seit einem halben Jahrhundert bringt das „Hinterhaus“ vielerlei Farbe in die Stadt, von Uwe Bremers neongrünen oder kanariengelben Werbezetteln für seine Grafiken dereinst bis zu einem bunten Musik-Mix und einen verlässlichen Rahmen für unaufgeregtes Ratschen.

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