Auszeichnungen
Die Regensburger Kulturpreise 2022: Großes Kino!

27.10.2022 | Stand 15.09.2023, 3:08 Uhr
Medard Kammermeier auf Großleinwand: „Ein freier Mann, sein Kopf ein zwitscherndes Vogelnest von konfiszierlichen Filmen“, sagte Laudator Florian Sendtner (rechts). −Foto: www.altrofoto.de

Ohne Medard Kammermeier gäbe es Regensburgs reiche Kinolandschaft nicht. Im Marinaforum ehrte Regensburg den Filmpionier am Mittwoch für sein Lebenswerk mit dem Kulturpreis 2022.

Ohne Medard Kammermeier gäbe es keine Filmgalerie im Leeren Beutel, keine Stummfilmwoche, keine internationale Kurzfilmwoche, kein Cinema Paradiso, kein Heimspiel- oder Transit-Festival, kein Kino im Andreasstadel, kein Ostentor-Kino. Es gäbe sie nicht, nicht mehr oder ganz anders. Das kollektive Gedächtnis des Regensburger Publikums wäre leerer, langweiliger und ärmer.

Kino, das nicht nur kickt, sondern zu uns spricht, macht uns weltoffener, mitfühlender, reflektierter und klüger. Gutes Kino wohlgemerkt, oder: „Schöne Filme“ wie es Medard Kammermeier nennt. Florian Sendtner, der am Mittwochabend im Marinaforum die Laudatio auf den Regensburger Kulturpreisträger 2022 hielt, hat da zweifellos Recht: „Ohne die jahrzehntelange Ausdauer, ohne die uneinsichtige, unnachgiebige Liebe zu einem aufklärerischen Kino“ dieses oft mutigen, immer neugierigen Filmpioniers hätte das Kino in Regensburg sicher nicht diese Blüte erlebt. „Man müsste ihn adeln“, meinte Sendtner, mit Sir ansprechen – oder ihn mindestens mit dem Kulturpreis auszeichnen.

Bissig-scharf und bitter-süß

Florian Sendtner erinnerte, wie zäh sich Kino abseits des Mainstreams in einem konservativen Milieu behaupten mussten, teilte bissig gegen Politik und Kirche aus und stieß einen Teil der Festgesellschaft vor den Kopf. „Wenn es nicht um Medard ginge“, sagte CSU-Stadträtin Bernadette Dechant, „hätte ich den Saal verlassen.“

Medard Kammermeier, der abgeklärte Endsechziger, der wenig spricht und selten lacht, den die ganze Stadt kennt als ruhenden Pol im Strom bewegter Bilder: Beim Festakt war er strahlend und beinahe aufgekratzt zu erleben. Sympathie und Respekt für den Kinomacher waren bei minutenlangem, leidenschaftlichem Beifall im Saal beinahe zu greifen. Der Preisträger selbst hielt den Ball gewohnt flach. Er dankte seinen Mitstreitern – häufig waren es Mitstreiterinnen – und allen, die seine Arbeit erst ermöglicht hatten. „Ich war bloß derjenige, der immer dagesessen ist und ein bissl organisiert hat.“

„Dieser Abend ist für alle, die sich allein, im Netzwerk und oft im Ehrenamt für Kunst einsetzen. Hier wird der kulturelle Reichtum Regensburgs sichtbar“, betonte Kulturreferent Wolfgang Dersch. Mit den Auszeichnungen gibt die Stadt den Künstlern ein wenig zurück: Der Kulturpreis ist mit respektablen 10000 Euro dotiert, die drei Kulturförderpreise mit jeweils 2500 Euro.

Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer sprach vor allem von Krisen, Krieg und schwierigen Zeiten für die Kreativszene. Städtische Kulturförderung, auch wenn sie als als „freiwillige Leistung“ ausgewiesen sei, sehe sie als absolute Pflichtaufgabe an.

Sorgenvolle Stimmung verscheuchte, bevor sie aufkeimen konnte, die Band Roman S. feat. ABC mit unwiderstehlichem, mitreißendem New Orleans’ Straßenjazz, und Rebekka Maier mit einigen ihrer Chansons, mit ausdrucksvoller Stimme gesungen.

Als „Die Nowak“, als „Sängerin mit Selbstklavierbegleitung“, erhielt Maier einen der drei Kulturförderpreise. „In ihren Liedern feiert sie das Leben und die Liebe und rechnet mit der Welt ab: bissig-scharf und bitter-süß, zerbrechlich und kraftvoll“, würdigte Künstlerin Katharina Claudia Dobner. Frauen, die in der Musikbranche unterrepräsentiert sind, fördert Rebekka Maier zum Beispiel im Projekt „7*innen“. Ihr geht es „um Kollaboration statt Konkurrenz“, betonte Dobner. Wie freundschaftlich-professionell „Die Nowak“ und ihr Team arbeiten, zeigte ein Video auf Großleinwand. Es entstand bei Musikaufnahmen in Dobners „Villa Parnassia“ in Sünching.

Ein Kurzfilm ließ auch in die Arbeit von Nico Sawatzki eintauchen. Der Künstler, am Mittwoch ebenfalls mit einem Kulturförderpreis geehrt, machte ab 2012 als Autodidakt aus der Graffiti-Szene seinen Weg. Heute sind seine Arbeiten gefragt, auch in der Bayerischen Staatsgemäldesammlung vertreten. Mit Pinsel, Rakel und Spraydose, mit Zeit, Akribie und Geduld schafft er Bilder „von enormer Sogwirkung und hypnotischer Kraft“, wie Mathias Listl vom Museum für Konkrete Kunst Ingolstadt sagte. Die Werke, oft in Schwarzweiß, zeigen oft Landschaften und Architektur-Elemente in einer Art Nebel, die an die Weite der deutschen Romaniker erinnert.

Radio für die Geisterstadt

Der dritte Kulturförderpreis ging an das Ghost Town Radio und seinen Kopf Adam Lederway. Der Stadtamhofer aus New York begann im Frühjahr 2020 mit zwei Freunden, mitten im Lockdown, aus dem Wohnzimmer Musik in die „Geisterstadt“ zu senden. „Er hatte einen Radiosender erfunden, einfach so“, erinnerte Säm Wagner, Popmusikbeauftragter des Bezirks, in der Laudatio.

Lederway verschaffte Bands in der Zeit geschlossener Bühnen ein Publikum, später kamen Interviews und sogar ein Kinderprogramm dazu, und bald ging er praktisch täglich auf Sendung, immer live, ohne Mediathek. Heute zeigt Lederway, der im Frühjahr 2022 ein gefördertes Studio im Andreasstadel beziehen konnte, einer wachsenden Community, wie Radio geht. Mit welcher Leidenschaft der Netzwerker unterwegs ist, erfuhr Säm Wagner unmittelbar. Nach sechs Stunden Live-Plausch eines Freitagnachts fragte ein ermüdender Popkulturbeautragter, ob man nicht langsam enden könnte. Lederway war konsterniert: „Aber es hören doch noch acht Leute zu!“