Kriminalität
Die „vierte Mafia“ Italiens schlägt zu

Die Feriengegend Gargano wird von einem Vierfachmord erschüttert. Die Clans gelten als besonders aggressiv und gewalttätig.

13.08.2017 | Stand 16.09.2023, 6:18 Uhr

Franco Roberti, der Leiter der italienischen Antimafia-Behörde, bei einer Pressekonferenz: Die Clans des Gargano „sind eindeutig gewalttätiger und aggressiver als die besser organisierten Mafias wie ‚Ndrangheta, Cosa Nostra und Camorra“, sagt er. Foto: dpa

Es gab ein ungeschriebenes Gesetz der Mafia in Apulien: Im August wird nicht getötet. Der Gargano, die Gegend am Sporn des italienischen Stiefels, ist auch bei deutschen Touristen beliebt. Verbrechen zur Hochsaison gelten als geschäftsschädigend, zumal die Organisierte Kriminalität in Apulien über die Schutzgelderpressung von Unternehmern auch vom Tourismus profitiert. Seit diesem Mittwoch und dem Mord an vier Männern bei San Marco in Lamis gilt die alte Regel nicht mehr. Am helllichtem Tag erschossen zwei flüchtige Killer den 50 Jahre alten Mafiaboss Mario Luciano Romito aus Manfredonia und seinen Fahrer. Zwei Bauern, die offenbar Zeugen des Verbrechens wurden, bezahlten ebenfalls mit dem Leben.

„Wilder Westen in Apulien“, titelte der Corriere della Sera am Donnerstag. Innenminister Marco Minniti und Polizeichef Franco Gabrielli kündigten an, zu einer Krisensitzung in die Provinzhauptstadt Foggia zu kommen. Der Vierfachmord mitten im Ferienmonat August wirft ein Schlaglicht auf die bislang wohl am meisten unterschätzte Mafia Italiens, die nicht mit der weiter südlich operierenden Sacra Corona Unita zu verwechseln ist. Die Polizei verzeichnet 35 Morde in den vergangenen zwei Jahren. Franco Roberti, der Leiter der italienischen Antimafia-Behörde, spricht von 300 Morden in den vergangenen 30 Jahren, verursacht durch Rivalitäten verfeindeter Clans. 80 Prozent der Verbrechen seien unbestraft geblieben.

Die Rache-Logik der Clans

Die Clans des Gargano „sind eindeutig gewalttätiger und aggressiver als die besser organisierten Mafias wie ‚Ndrangheta, Cosa Nostra und Camorra“, sagte Roberti am Donnerstag. Auch das Verbrechen von San Marco in Lamis folgte, den Ermittlern zufolge, der Rache-Logik der Clans. Die einst verbündeten Familien der Romito und der Li Bergolis sollen seit Jahren eine sogenannte Faida austragen, bei der 2009 bereits der Bruder von Mario Luciano Romito ermordet wurde. Franco Romito soll den Carabinieri Hinweise auf Mitglieder der Li Bergolis gegeben haben, seither befinden sich die Clans im Krieg. Wie brutal die Bosse dabei vorgehen, zeigen auch die Morde an den offenbar unbeteiligten Bauern. Weil sie unfreiwillige Zeugen des Attentats bei einem stillgelegten Bahnhof wurden, wurden auch sie Opfer der Killer, die mit einer Kalaschnikow und einem Jagdgewehr töteten. Der Tatort liegt nur wenige Kilometer vom berühmtesten Wallfahrtsort Italiens San Giovanni Rotondo entfernt. Sechs Millionen Pilger besuchen dort jährlich das Grab des Kapuzinermönchs Padre Pio.

„Hier gibt es einen Krieg, aber keiner nimmt davon Notiz“, sagte Antimafia-Staatsanwalt Giuseppe Volpe aus Bari. Zuletzt berichteten italienische Medien über die Organisierte Kriminalität im Raum Foggia im März, als es nach der Räumung eines illegalen, von den Clans kontrollierten Flüchtlingslagers zu Spannungen mit der Polizei kam. Unbekannte feuerten damals Schüsse auf ein Polizeiaut0 ab.

Bislang agierten sie ungestört

Insgesamt teilen sich 28 Clans die illegalen Geschäfte in der Provinz Foggia auf. Haupteinnahmequellen der laut Roberti „vierten Mafia“ Italiens sind Drogenhandel und Schutzgelderpressungen. Insbesondere im Ferienort Vieste, den jährlich zwei Millionen Touristen besuchen, sollen Erpressungen an der Tagesordnung sein. Mehrere Clans in der Gegend haben sich außerdem auf Raubüberfälle von Geldtransportern in ganz Italien, auf die Herstellung von Falschgeld und die illegale Entsorgung von Giftmüll spezialisiert. Bislang konnten die Mafiosi des Gargano weitgehend ungestört agieren. Aus Angst vor Racheakten gibt es so gut wie keine Anzeigen bei der Polizei. Zuletzt arbeitete vor zehn Jahren ein Mafia-Kronzeuge mit der Justiz zusammen. Die Ermittler sind zudem materiell unterversorgt. Staatsanwalt Volpe aus Bari sagte, er habe ein Auto von den Carabinieri leihen müssen, weil der Staatsanwaltschaft das Geld für den Reifenwechsel fehle.

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