Festival
Die Wandlung von Freunden zu Todfeinden

Mit „Adressat unbekannt“ von Kathrine Kressman-Taylor wurde ein brisantes Stück beim Schaulust-Festival gezeigt.

04.07.2011 | Stand 16.09.2023, 21:07 Uhr
Uta Maydell

Regensburg. Enorm, wie lautstark und anhaltend Applaus ausfallen kann, auch wenn ein Parkett nur schwach besetzt ist, wenn Begeisterung so wenige Handpaare heftig in Bewegung setzt! So geschehen am Samstagabend im Haidplatztheater nach der Premiere von „Adressat unbekannt“. Begeisterung ging hier einher mit Betroffenheit und auch Erstaunen.

Die Vorstellung war einfach vorzüglich – in mehrlei Hinsicht: Richtiges Theater war‘s ja gar nicht. Da wurden „nur“ Briefe vorgelesen – deshalb Erstaunen und auch weil die Amerikanerin Kathrine Kressman-Taylor den kleinen Roman gleichen Titels schon 1938 veröffentlicht hat. Betroffenheit, weil das ganze Elend der Nazizeit hier mit knappsten Mitteln auf den Punkt gebracht wird. Und Begeisterung, weil die Protagonisten Markus Boniberger und Daniel Tille, von Hubert Schedlbauer geführt, so ausgezeichnet agieren. Der Vorlage entsprechend knapp das Bühnenbild: Zwei kleine Schreibtische samt angestaubten Hängelampen, im Hintergrund ein große Projektionsfläche, viel Licht-Regie und basta.

Richtig theatralisch wirkt die erste Szene: Schattenspiel der zwei Freunde, die in Rot getaucht, ihren Abschied am Bahnhof von San Francisco vorgeblich heiter „vertanzen“. Gemeinsam haben sie die Kunst-Galerie Eisenstein-Schulze geführt. Aber Martin Schulze folgt dem Ruf „Heim ins Reich“. Das ist 1932, Hitlers Machtergreifung zeichnet sich ab. Daniel Tille verkörpert diesen Martin, macht – nur durch Lesen und knappes Spiel am Pult – den Wandel eines weltoffenen Mannes zum zögerlichen Mitläufer und schließlich fanatischen Nazis deutlich. Brief für Brief erlebt man die Veränderung eines Mannes, wie sie inzwischen millionenfach bekannt ist. Verblüffend an Kressmans Text, dass er schon 1937 entstand und nichts an Faszination verloren hat.

RegensburgAuf der anderen Seite – nicht nur des Ozeans – der Jude Max Eisenstein, dem Markus Boniberger Gestalt gibt, schmal und schlaksig, hoch aufgeschossen, beweglich und mit markanter Nase schon fast klischeehaft. Er ist der Gewandtere von beiden, und geschmeidig überzeugt er in seinem Spiel. Unverbrüchlich scheint seine Treue zum Freund, dessen Veränderungen er nicht glauben mag. „Es war nicht mein Freund, der Ja sagt“, schreibt und fordert im nächsten Brief nur ein Wort, das „Nein“.

Aber das kommt nicht von Martin, der längst NSDAP-Mitglied ist, rasant Nazi-Karriere macht. Die zunehmende Entfremdung zeigt Max zunächst ratlos – und schließlich im Hass ebenso kompromisslos wie zuvor in seiner Anhänglichkeit. Max schreibt in seiner Verzweiflung noch einmal an den Ex-Freund, mit einer überlebenswichtigen Bitte: Er möge seiner kleinen Schwester Griselle helfen. Die junge Jüdin hat in Deutschland Theater-Karriere gemacht, bis sie im Herbst ‘33 aus der Berliner Szene verschwindet. Sie schafft die Flucht zu ihrem früheren Geliebten Martin, verfolgt von Nazi-Schergen. Doch Martin nimmt ihren Tod inkauf.

Das bringt für Max Eisenstein die Wende zur Unerbittlichkeit. Er weiß um die gefürchtete Zensur und mit seinen Briefen über fingierte Geschäfte („der Gott Moses stehe Dir zur Seite...“) liefert er Martin gezielt ans Messer. Auf dem letzten „ungeöffneten“ Umschlag, den er (März ‘34) in Frisco zurückbekommt, sieht er den Stempel „Adressat unbekannt“ und weiß sein Ziel erreicht: Martin ist tot.

Kressmans Texte haben durchaus Intensität für die Bühne, sie führen am Einzelbeispiel kraftvoll vor, was in den frühen 30er Jahren in Deutschland geschah, was hinterher keiner gewusst haben wollte. 2001 kam die erste Bühnenfassung in Mainz zur Uraufführung, und dass das Stück jetzt im Rahmen der Schaulust-Woche ins Haidplatz-Theater kam, ist unbedingt auf der Habenseite zu verbuchen.

Jammerschade nur, dass es nach einer Aufführung schon wieder „Aus und Vorbei“ heißen soll. Viel zu schade um diese gute Arbeit. Eine kleine Hoffnung für eine Wiederaufnahme als „mobiles Theater“ sieht Chefdramaturgin Friederike Bernau. Allerdings verlässt Markus Boniberger zum Spielzeitende das Theater Regensburg.