Justiz
Dieb verfolgt und Faustschlag kassiert

Ein Drogensüchtiger entriss in Regensburg einer Frau die Geldbörse. Ein Zeuge zeigte Zivilcourage. Nun kam es zum Prozess.

10.09.2018 | Stand 16.09.2023, 6:00 Uhr
Marion Boeselager

Die Anwältin Dagmar Ciccotti übernahm die Verteidigung des Räubers. Foto: Boeselager

Eine 66-jährige Regensburgerin hatte nach einem Einkauf im Norma-Markt im Hauptbahnhof im Januar gerade an der Kasse ihre Geldbörse gezückt, um zu zahlen. Da griff der Mann in der Schlange hinter ihr plötzlich zu: „Er riss mir die Börse ruckartig aus der Hand“, erinnerte sich die Frau am Montag vor dem Landgericht, „und rannte raus“. Der junge Mann hinter der Kasse zögerte keine Sekunde, sondern zeigte Zivilcourage: „Er stellte die Kasse ab und lief dem Täter hinterher“, berichtete die Zeugin. Als die 66-Jährige ihren ersten Schock überwunden und sich „etwas gesammelt hatte“, verließ auch sie das Bahnhofsgebäude und sah: „Der Mann war schon gefasst.“ Der mutige Angestellte hatte ihn bis zum Bahnhofsvorplatz verfolgt und hielt den Dieb an der Jacke fest. Doch der wehrte sich, holte mit der Faust aus und schlug den Kassierer mitten ins Gesicht. Er erlitt Schmerzen und eine Rötung am Jochbein. Seit Montag steht der Täter, ein 49-jähriger, verheirateter Mann aus Amberg, nun wegen schweren räuberischen Diebstahls und Körperverletzung vor dem Landgericht. Er legte ein Geständnis ab.

„Ein herber Drogenrückfall“

Nach einem Rechtsgespräch hinter verschlossenen Türen stellte die Strafkammer unter Vorsitz von Richterin Dr. Bettina Mielke dem Angeklagten eine „bewährungsfähige Strafe“ für seine „Spontantat“ vor dem Hintergrund seiner Drogenabhängigkeit in Aussicht. Danach ließ der 49-jährige Elektriker die Hosen herunter: Er habe damals „einen herben Drogenrückfall“ erlitten, den er „nicht mehr unter Kontrolle brachte“. Mehrere Straftaten, darunter ein Einbruch in Landshut, seien in der Zeit passiert. Auslöser für den Rückfall war aus Sicht des Angeklagten eine lebensbedrohliche Erkrankung seiner Ehefrau. Sie war im Juni vergangenen Jahres mit einer schweren Staphylokokken-Infektion ihres Herzens und ihrer Haut in eine Nürnberger Spezialklinik eingewiesen worden. An die zehn Operationen musste sie über sich ergehen lassen.

Einhandmesser in Jacke gefunden

In der Zeit sei er sehr allein gewesen und wieder in die Drogenszene am Regensburger Bahnhof geraten. Die alten Kumpels suchte er auch im Januar auf, nachdem er seine Substitutionsdosis Polamidon bei einem Regensburger Drogenarzt abgeholt hatte. Er wollte mit ihnen einige Halbe trinken. Mit seiner Ehefrau hatte er „wegen meiner Eskapaden“ gerade Streit. Beim Einkauf der Biere „sah ich in der Börse der Frau vor mir einen 20-Euro-Schein. Das war genau der Preis für eine Heroinplombe“. Er packte die Börse und flüchtete.

„Beim Einkauf der Biere sah ich in der Börse der Frau vor mir einen 20-Euro-Schein. Das war genau der Preis für eine Heroinplombe.“Der Angeklagte

Doch kurz darauf bemerkte er den jungen Verfolger, der deutlich schneller lief als er. „Er hielt mich an der Jacke fest.“ Ein Passant und ein weiterer Norma-Mitarbeiter hätten versucht, ihn zum Bahnhof zu ziehen. „Da hab ich in meiner Angst und Panik zugeschlagen“, sagte der 49-Jährige. In seiner Jacke fand die Polizei später ein Einhandmesser. Das sei ihm damals nicht bewusst gewesen. Im Bahnhof habe er die Börse in einen Laden geschleudert. „Die Geschädigte fand das gute Stück kurz darauf mit komplettem Inhalt: ihren Papieren und 30 Euro.“ Der Angeklagte entschuldigte sich bei den Geschädigten. Der Prozess dauert an.

Aus dem Gerichtssaal:Die Mittelbayerische ist regelmäßig bei Prozessen am Regensburger Land- oder Amtsgericht vor Ort.Hier finden Sie alle Artikel und Berichte über die Gerichtsverhandlungen und die Urteile.

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