Russland
„Djatlow-Tragödie“ bleibt ungeklärt

Erfroren und mit rätselhaften Wunden werden neun Skiwanderer 1959 im Ural gefunden. Der einzige Überlebende der Tragödie ist nun gestorben.

03.05.2013 | Stand 03.05.2013, 16:59 Uhr

Erfroren und mit rätselhaften Wunden werden neun Skiwanderer 1959 auf einem Bergpass am Ural gefunden. Die „Djatlow-Tragödie“ sorgt in Russland immer noch für Spekulationen. Nun ist der einzige Überlebende gestorben. (Symbolbild) Foto: dpa

Der Tod am eisigen Gebirgspass kommt rasend schnell für die neun russischen Skiwanderer im nördlichen Ural. Bei minus 30 Grad Celsius und minimaler Sicht gibt es in der einsamen Gegend für die Gruppe kein Entrinnen. Ein Suchteam findet später ihre Leichen – und stellt damals, im Frühjahr 1959, mysteriöse Verletzungen fest.

Ein brutaler Ritualmord? Die grausamen Folgen eines geheimen Raketentests? Der einzige Überlebende der „Tragödie am Djatlow-Pass“ ist nun in Russland gestorben. An diesem Wochenende wird Juri Judin in Jekaterinburg beigesetzt. Sein Tod facht mehr als 50 Jahre nach dem traurigen Ereignis die Spekulationen über die Ursache weiter an.

„Wenn ich Gott eine einzige Frage stellen könnte, dann diese: Was ist mit meinen Freunden passiert?“, sagt Judin immer wieder in den vergangenen Jahrzehnten. Doch wie alles an der Katastrophe ist auch seine Rolle mysteriös. Mit Hinweis auf eine Fußverletzung hat Judin die Expedition damals verlassen – das rettet ihm das Leben. Ahnte er etwas? „Ich hatte immer das Gefühl, dass er nicht alles erzählt“, sagt Autor Alexej Rakitin, der für ein Buch oft mit Judin gesprochen hat, der russischen Regierungszeitung „Rossijskaja Gaseta“.

Rettungskräfte suchen die Vermissten mit einem Hubschrauber

Drei Ingenieure und sieben Studenten sind damals rund 2000 Kilometer östlich von Moskau unterwegs. Es ist eine erfahrene Gruppe voller Tatendrang, zwischen 21 und 37 Jahre alt. Nach Judins Abreise schlagen die sieben Männer und zwei Frauen ihr Lager am 1100 Meter hohen „Berg der Toten“ (Cholat Sjachl) auf. Als sie sich nicht wie vereinbart melden, fliegen Rettungshubschrauber los. „Was wir fanden, ließ unseren Atem stocken“, erzählt Chefermittler Wladimir Korotajew.

In der Nacht auf den 2. Februar 1959, ergeben die Ermittlungen, müssen die Bergwanderer ihr Lager geradezu panisch verlassen haben. Dazu schlitzten sie ihre Zelte von innen auf und flohen trotz klirrender Kälte in Schlafkleidung. Die Suchmannschaft findet ihre Leichen nach und nach in einem nahen Wald. Mindestens drei haben tödliche Wunden, ohne dass es Anzeichen eines Kampfes gibt.

„Es waren innere Verletzungen wie nach einem Autounfall – allerdings mitten in der Wildnis“, sagt Korotajew dem Magazin „Argumenty i Fakty“. Haut und Haare einiger Toten seien grau gewesen, an ihrer Kleidung sei Radioaktivität gemessen worden.

Der gefürchtete Geheimdienst KGB und das sowjetische Militär schalten sich ein und legen den Fall bald zu den Akten. „Tod durch Erfrieren“, lautet die offizielle Version. Korotajew widerspricht und wird strafversetzt. „Die Parteiführung war nicht interessiert an Unruhe in der sowjetischen Bevölkerung“, meint der Ex-Chefermittler.

Akten liegen verschlossen in Sowjetarchiven

Lawinen oder Außerirdische als Todesursache – oder doch der Schneemensch Yeti? Es gibt nur wenige Mythen, die im russischen Internet so leidenschaftlich diskutiert werden wie die „Tragödie am Djatlow-Pass“. Die Akten lagern verschlossen in Sowjetarchiven.

„Was die Ursache angeht, neige ich zur „Raketenversion““, sagt Korotajew. Einheimische Jäger hatten von „fliegendem Feuer“ und „Götter in leuchtenden Kleidern“ in der fraglichen Nacht gesprochen – vermutlich ein Hinweis auf geheime Raketentests der Sowjetarmee in dieser einsamen Gegend. Das letzte Motiv auf dem Film eines der Toten sieht tatsächlich aus wie ein heller Flugkörper am Nachthimmel.

Die Urne von Juri Jefimowitsch Judin, der vor wenigen Tagen im Alter von 75 Jahren starb, soll auf dem Michailowski-Friedhof in Jekaterinburg nahe den Gräbern seiner Kameraden ruhen. „Sicher gibt es noch Menschen, die die Wahrheit kennen“, meint der Publizist Alexej Sjutkin. „Es ist Zeit, den Vorhang zu lüften“, fordert er. (dpa)