Menschen
Ein Schulaufsatz für das Museumsarchiv

Günter Mühlbauer ist es zu verdanken, dass „Das schöne Schaufenster“ vom Forchthammer ins Haus der Bayerischen Geschichte kommt.

17.12.2014 | Stand 16.09.2023, 7:08 Uhr
Helmut Wanner
Günter Mühlbauer mit der Lok Trix HO, die er am 24. Dezember 1966 unterm Christbaum fand. −Foto: altrofoto.de

Es war kein Brief ans Christkind, den Günter Mühlbauer am 15. Dezember 1966 schrieb. Am Tag, als „Bend it“ von „Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich“ an Nummer 1 der Hitparaden stand, glaubte auch Günter Mühlbauer nicht mehr dran. Es war ein Schulaufsatz. Am vorletzten Schultag vor den Weihnachtsferien, einem verregneten Donnerstag, sagte das Fräulein Huber zu den Kindern der zweiten Klasse der Volksschule Schwabelweis: „So liebe Kinder, jetzt schreibt’s einmal einen Aufsatz.“

Das Thema war jedem freigestellt. Günter Mühlbauer war damals sieben Jahre alt. Aber er erinnert sich an den Tag wie heute, weil er den Grundstein für sein schönstes Weihnachtsfest legte. „Eine Viertelstunde habe ich bloß zum Fenster rausgeschaut. Und dann ist mir das Schaufenster eingefallen, das schöne Schaufenster vom Forchthammer.“ Das von Heinrich Forchthammer gegründete, mehrstöckige und verwinkelte Spielwarengeschäft am Kohlenmarkt 3 bis 5 würde heuer sein 125-jähriges Jubiläum feiern.

Am Glas die Nasen platt gedrückt

Das schöne Schaufenster war für alle Regensburger Buben der Generation der sogenannten Babyboomer die Sensation der Stadt. Richtige Trauben von Kindern standen vor der Auslage, und die ganz vorne drückten sich die Nasen platt. Heute lassen sich hinter dem Schaufensterglas Frauen und Männer von Andrea Harburg verwöhnen. Damals noch breitete sich hier vor den Augen der Kinder eine Eisenbahn-Landschaft im Maßstab 1:87 aus, ein wahres Wunderwerk.

Ab Ende November waren jedes Jahr Eisenbahnen von Märklin und Fleischmann ununterbrochen unterwegs, dampften durch Städte, eilten entlang von Bergen und Seen, rasteten in Bahnhöfen. Regelmäßig verschwanden Güterzüge in Tunnels und wurden mit klopfendem Herzen wieder erwartet. Es war unbestritten das schönste Schaufenster der Stadt. Schwer konnte man sich als Kind davon losreißen.

Der am 19. Februar 1959 geborene Schwabelweiser Schlosserssohn war von dem Schaufenster jedenfalls so beeindruckt, dass er darüber diesen Schulaufsatz schrieb. Die zehn Zeilen zeigten schon damals den kleinen Philosophen in ihm. Sie gehen so: „In der Weihnachtszeit sind die Schaufenster am schönsten. Wenn wir in die Stadt kommen, bleiben wir gerne davor stehen. Hinter einer Scheibe fährt eine elektrische Eisenbahn zu dem Abstellgleis. Ich möchte gerne die Trix-Eisenbahn haben. Oder soll ich mir das Tunnel wünschen? Am liebsten möchte ich alles haben. Aber das wäre auch nichts. Vater sagt immer: Wer viel hat, der möchte immer noch mehr und ist überhaupt nicht mehr zufrieden.“

Beim kleinen Günter war es „das Tunnel“, mit Betonung auf der letzten Silbe. Trix hat er mit zwei „g“ geschrieben und Schaufenster mit „z“ vor dem t. Den Aufsatz samt Unterschrift seiner heute 88-jährigen Mutter hat er sich aufgehoben. Als das Haus für Bayerische Geschichte nun einen Wettbewerb für die schönste Weihnachtsgeschichte auslobte, hat Mühlbauer sich an seinen Aufsatz erinnert, das auf kariertem Papier geschriebene Blatt kopiert und für den Wettbewerb eingereicht

Eine Trix HO im Originalkarton

„Ich heb‘ ja vieles auf“, sagt der 55-Jährige. Tatsächlich ist seine Art Vierseithof nahe bei der Schwabelweiser Kirche ein Museum seiner goldenen Kinderjahre, mit Sommerurlauben im Ferienheim Schliersee der Zuckerfabrik und knackigen Wintern an der Schwabelweiser Donaufähre. Mühlbauer lebt in einer Material-Fülle und dennoch in sehr kargen Verhältnissen. Im Schuppen hat er sich wohnlich eingerichtet, weil der am ehesten heizbar ist. Trotz des warmen Holzofens übersteigt das Thermometer kaum die 15 Grad-Marke.

In diesen Tagen kamen eine Dame und ein Herr aus Augsburg. Die Ausstatter des Hauses für Bayerische Geschichte hatten eine Schenkungsurkunde dabei, die Günter Mühlbauer unterschrieb. Er übergab eine Trix HO im Originalkarton sowie ein Spielzeugauto, das er 1964 zu Weihnachten bekommen hatte. Es war ein blinkendes Blechauto mit einem „Wackelmanschkerl“ am Steuer.

Als Gegenleistung unterstützte das Haus das Anliegen des bundesweit bekannten Trennungsvaters. Es stellte auf seiner Internetseite sozialkritische Kunst von Günter Mühlbauer unter, also ein Stück Rasen von der Papstwiese und – von der Pilgerfahrt zu Benedikt XVI. 2007 – das blaue, gebrochene Herz der Trennungsväter, das er dem Heiligen Vater überreichen konnte.

An diesem 24. Dezember um 14 Uhr wird Günter Mühlbauer in den Garten seines Vierseithofes am Schwabelweiser Kirchweg Freunde einladen zu Glühwein und Bratwürstln. Dann wird er sich als blauer Nikolaus verkdeiden und an sein schönstes Weihnachten denken – vor fast 50 Jahren, das mit einem Schulaufsatz begann. Es war zwar kein Brief ans Christkindl, aber muss doch an die richtige Adresse gelangt sein. Was fand Günter am Heiligabend 1966 unterm Christbaum? Die Trix H0 und „das Tunnel“ dazu.